nicht den lumpigsten Willen läßt er durch: „Lieber-
mann verwendet hier einige Farben", das tut er
allerdings selten, „einige Farben, besonders blau
und gelb, in schreiender Buntheit, ganz schart
nebeneinander." Der Visionär, Herr St, weiß Be-
scheid. Die Farben sind nachträglich eingesetzt.
„Auch das ist natürlich gekonnt, aber nicht durch-
tühlt, und daher laut, aber nicht stark." Die ur-
sprünglichen Impressionisten werden nachträglich
abgesetzt. Aber es kommt dafür um so schöner:
„Um so schöner ist ein neues Selbstbildnis von
19i6. Die phrasenlose Ehrlichkeit ist hier geradezu
erschütternd, weil sie einen unverkennbar müden,
ja tragischen Ausdruck mit vornehmer Diskretion
und doch ohne Retouche wiedergibt." Während
sonst zur vornehmen Diskretion vor allem die Re-
touche gehört. Diese ehrliche Phrasenhaftigkeit
wirkt geradezu erschütternd: „Das Bild ist auch
deswegen so ergreifend, weil es die halbe Ge-
stalt in ganzer Größe aber aus nächster Nähe
zeigt." Worauf Herr St seine ganze Gestalt
in ganzer Größe zeigt: „Leider ist es nicht
ganz Kunst geworden, da es um eine Spur das
Spiegelbild nicht ganz überwunden hat." Trotzdem
es umso schöner geradezu erschütternd ohne Re-
touche ist, wird die Spur von seinen Spiegelbil-
dern doch in Aeonen untergehen (Aeonen ist etwas
für Wissende). Schade, daß der Liebermann die
eine Spur nicht verwischt hat, dann hätte Herr
St die ganze Kunst gesehen. „Eine wunderbar
musikalische Stimmung hat der Orpheus von Co-
rinth, eines der ganz seitenen gelungenen impres-
sionistischen Bilder, die das Realistische ins Mär-
chenhafte steigern, die äußere mit der inneren
Phantasie versöhnen." Bei Corinth hört Herr St
wieder den Goldton, bei Corinth findet er endlich
den Punkt, auf dem er auch noch Platz hat. „Noch
eigener und selbständiger ist Charlotte Berend,
als Porträtistin von Schauspielerköpfen. Beson-
ders Pallenberg als Zawadill ist geradezu glänzend
durch mutige Verwendung der ordinärsten
Pastellfarben-Kontraste wiedergegeben." Das ist
nun wieder Vision, trotzdem sie einige Farben in
schreiender Buntheit ganz scharf nebeneinander
verwendet. Aber bei einem Charakterkopf darf
man die ordinärsten Farben nicht scheuen. Herr
St wird immer psychologischer. „Von Feigl sah
man Bilder bei Cassirer, Zeichnungen und Radie-
rungen im Graphischen Kabinett I. B. Neumann.
Dieser vergeistigte Träumer ist zu ehrlich, mit
einer Mode zu gehen, aber auch nicht stark genug,
einen Stil aus sich heraus zu schaffen." Deshalb
hat sich dieser vergeistigte Träumer I. B. Neu-
mann auch schon in das Graphische Kabinett zu-
rückgezogen. Ich habe zwar die Kunstabende
schon vorgemacht, die Herr St im Graphischen
Kabinett nachgemacht hat. Aber Saalvermieter
sind mir noch nie als vergeistigte Träumer er-
schienen. Dazu fehlt mir doch der Wille, auch ist
meine Vision nicht stark genug. „Seine Bilder sind
trüb gemalte mit Farben ausgefüllte Graphik, seine
Graphik ist mehr nebensächlich hingewischt,
als erarbeitet." Also, die Graphik ist mit trüben
Farben ausgefüllt und außerdem nebensächlich
hingewischt, worauf Herr St die Vision fühlt: „Aber
in allem fühlt man, was bei scheinbar bedeutende-
ren und jüngsten Künstlern fehlt — eine Seele,
deren Lyrik von selbst in viele schöne Zeichnun-
gen und Lanschaftsbilder aus Prag übergeht, und
nicht etwa nur eine Fertigkeit." Das Malen mit
Seele ist lyrischer, die Seele selbst ist durch-
sichtig trübe gemalt und Herr St kann sich auf
den Punkt stellen, von dem die Seele gesehen ist.
Also betrübt betritt er die Ausstellung Der Sturm.
Zum ersten Male. Aber er weiß schon Bescheid:
„Die Ausstellung des Sturm gibt keine gute
Uebersicht über die von ihr vertretene Malerei."
Herrn St übersieht, daß er übersichtig ist. Er weiß
bereits aus dem Katalog, was Der Sturm vertritt.
Während bei Cassirer zwei Mädchen nur über
einem Skizzenbuch sitzen, muß es im Sturm ja
ganz toll aussehen: „Auch sind die großen und
kleinen Talente durcheinander geworfen und alles
aufgehängt, was ohne Qualitätsunterschied modern
aussieht." Die großen und kleinen Talente werden
in Sturm herausgeworfen, sodaß nur der Kunst-
kritiker modern aussieht. Nun redet sich Herr St
in den Expressionismus hinein: „Franz Marc.
Seine Größe besteht darin, daß er ganz innere
Gesichte nach außen gebracht und das Geistige,
über das Kandinsky nicht hinauskam, in über-
zeugende malerische Mittel verwandelt hat." Herr
St. will sagen, daß er bei dem Buch „Das Geistige
in der Kunst" von Kandinsky, noch nicht einmal
zur Lektüre gekommen ist, immerhin aber wenig-
stens den Titel kennt. Und während Corinth die
äußere mit der inneren Phantasie versöhnt, bringt
Marc innere Gesichte nach außen. So denkt Herr
St den Expressionismus. „Aber auch das Male-
rische ist nicht sein Ziel, sondern die Wiedergabe
seiner Vision." Nur, Herr St. ist eine Vision keine
Wiedergabe sondern eine Gabe. „Muche ordnet
nur malerische Effekte geometrisch an, aber in
Farben, deren Schwingungen von seiner schöpfe-
rischen Kraft überzeugen." Effekte werden zwar
nicht gezeugt, aber Muche zieht es sicher vor,
Geometer zu sein, als Herrn St durch eine künst-
lerische Zeugung zu überzeugen. Auch der Chagall
ist unordentlich. Er hebt die benutzten Gegen-
stände nicht auf: „Chagall ist dagegen ein Phan-
tast, der die Gegenstände nicht gänzlich aufhebt,
sondern nur durcheinander wirft." Herr St ist
ganz erschlagen. Erst wirft der Sturm die großen
und kleinen Talente und dann Chagall die Gegen-
stände durcheinander. Die Seele des Herrn St ist
verletzt. „Wie bei Muche hat auch bei Chagall
nicht das einzelne Werk sondern irgend eine Spur
von Kraft in ihm die verführerische Gewalt." Ja,
Muche und Chagall, er ist verführt der Herr St.
Aber ich will auch einmal denken: ich denke, es ist
besser, ihn schnell wieder abzuführen. Sonst füllt
er die Kunst auch noch mit seiner Seele aus.
Vor Nachahmung wird gewarnt
Lovis Corinth fühlt sich seit Ausbruch des
Krieges verpflichtet, jedes Jahr zweimal über den
Genius der deutschen Kunst zu schreiben. (Im
Frieden tat er es einmal. Nun ist zwar der Genius
eine römische Angelegenheit und Herr Corinth eine
berliner. Da aber Herrn Corinth, der sich früher
einmal mit Malen beschäftigt haben soll, die Far-
ben fehlen, stellt sich sein Wort an falscher Stelle
ein. In einem Buchchen verkündet er: „Gern
möchte ich den deutschen Maler überzeugen, daß
er vor keinem Künstler Europas sich zu beugen
braucht. Daß er vielmehr ebenso tüchtig dasteht
wie die Kollegen anderer Länder." Kollegen
brauchen sich nur gleichzeitig zu beugen, sie alle
müssen sich aber den Künstlern Europas unter-
ordnen. Hierauf verrechnet Herr Corinth: „Lassen
wir die großen Maier Frankreichs, die wir selbst
am meisten würdigen. Nimmt man aber diese
Größen fort: die Schule von Barbizon, die Im-
pressionisten, so bleibt eigentlich nichts mehr
übrig." Nimmt man hingegen in Deutschland diese
Gerne-Größen fort, Herrn Corinth und seine
Freunde, so bleibt endlich etwas übrig, nämlich
Platz für die Künstler in Deutschland, den die
tüchtigen Kollegen besetzt hielten „Oder haben die
Franzosen größere Genies als wir in unserem
Feuerbach und Marees besitzen?" Selbst nach
Fortnahme der Größen Frankreichs können wir in
Deutschland Feuerbach und Marees den Kollegen
überlassen. Wir haben sogar Künstler Europas in
Deutschland, selbst wenn wir die Schule von Ber-
lin und die Impressionisten fortnehmen. Bleiben
wir in der Gegenwart: „Bleiben wir aber in der
Gegenwart und lassen wir die Lebenden nach
dem Friedensschluß zur Geltung kommen." Lassen
wir. „Auf welcher Seite sind die größeren Ta-
lente? Die Talente bilden sich gegenseitig im
Lärm, aber sie bilden nicht." In Frankreich ist in
letzter Zeit die exotische Richtung emporgekom-
men. Eine Richtung, welche die Franzosen selbst
nicht ernst nehmen können." Die Franzosen, Herr
Corinth, sind nämlich auch nur Kollegen, und Kol-
legen nehmen nur sich selbst ernst. „Der letzte
Große war eigentlich mit Cezanne gestorben. Jetzt
stagniert es in Frankreich." Von jeher war der
letzte Große eigentlich immer gestorben. Bleiben
wir aber in der Gegenwart: „Aber in Deutschland
ist von einem Erlahmen absolut nichts zu merken,
sondern es gährt viel mehr als vor dem Kriege .."
Die zweijährigen Kriegswunderkinder geben eine
hübsche Hopfenblüte. „Vor dem Kriege waren
Deutschlands Künstler vollständig wieder im
Schlepptau anderer Völker gebannt." Das Bannen
im Schlepptau ist eine Unsitte: „Heute aber haben
sie diese Unsitte abgeworfen und erheben sich
zu neuen Taten." Die Taten sind zwar etwas
wässerig, weil die Herren Künstler offenbar zu
lange im Schlepptau lagen. „Künstler, welche
überall geschätzt werden, haben wir auch heute
aufzuweisen, Künstler, welche in ihrem ernsten
Streben uns voranschreiten." Erst wurden sie
nachgeschleppt und jetzt schreiten sie voran. Da
haben wir aufzuweisen, erstens: „Den alten
Thoma in seinen besten Bildern, Trübner, der im-
mer strebend sich bemüht und Klinger. Diese
Künstler sind unser Stolz und wahrlich der
Nachahmung würdig." Wenn der alte Thoma in
seinen besten Bildern schreitet, werden die Nach-
ahmer nur noch die Rahmen ins Schlepptau neh-
men können. Trübner schreitet in ernstem Streben
voran und bemüht sich immer strebend, sodaß er
wohl auf dem selben Flecke bleibt. Und Klinger,
unser Stolz. Wahrlich, Corinth ist würdig, sie
nachzuahmen. Und wenn er nicht zur Zeit mit
Liebermann noch böse wäre, wäre er als Vierter
im Bunde und auch zur Nachahmung empfohlen.
Die drei Corinther werden wahrscheinlich er-
staunt sein, wenn sie die Epistel des Lovis lesen.
Wie sie gähren, diese Jubelgreise. Der Krieg
nimmt ihnen das Schlepptau, Corinth nimmt es
auf und schleppt sie in die Kunst. Die Kunst läßt
sich entschuldigen, sie ist zu Schiff nach Welt.
Wenn Herr Corinth mit Recht auf Deutschland
stolz sein will, so will ich ihm das Recht und die
Rechten hierzu geben: Franz Marc und Oskar Ko-
koschka. Vor Nachahmung wird dringend ge-
warnt.
Das ist die Liebe
Steif geheftet für Mk. 2.80, in Halbleinen für
Mk. 4.— tritt das Liebespaar in die Kunst. Auch
er, Herr Reinhard Piper, der Versammler der
Liebespaare in der Kunst, hat die Liebe in ein
Werk verlegt: „Wie jeder Dichter, so hat auch
jeder große Künstler einmal der Liebe in einem
Werke Tribut gezollt, von den Meistern der ägyp-
tischen Plastik bis zu unsern Jüngsten." Die Jüng-
sten sind die Frucht der Aleister der ägyptischen
Plastik und der Tribut ist bereits auf zwei Mark
achtzig herabgesetzt. Ja die Liebe: „Und es sind
nicht die schlechtesten Werke geworden die ihnen
die Liebe eingegeben." Löffelweise: „Am besten
nennen wir die Titel der einzelnen Abschnitte:
„1. Adam und Eva" (bekanntes Liebespaar); „2.
Götter und Helden" (bedenkliches Liebespaar);
„3. Deutsches Volkslied" (nur einmal im Leben);
75
mann verwendet hier einige Farben", das tut er
allerdings selten, „einige Farben, besonders blau
und gelb, in schreiender Buntheit, ganz schart
nebeneinander." Der Visionär, Herr St, weiß Be-
scheid. Die Farben sind nachträglich eingesetzt.
„Auch das ist natürlich gekonnt, aber nicht durch-
tühlt, und daher laut, aber nicht stark." Die ur-
sprünglichen Impressionisten werden nachträglich
abgesetzt. Aber es kommt dafür um so schöner:
„Um so schöner ist ein neues Selbstbildnis von
19i6. Die phrasenlose Ehrlichkeit ist hier geradezu
erschütternd, weil sie einen unverkennbar müden,
ja tragischen Ausdruck mit vornehmer Diskretion
und doch ohne Retouche wiedergibt." Während
sonst zur vornehmen Diskretion vor allem die Re-
touche gehört. Diese ehrliche Phrasenhaftigkeit
wirkt geradezu erschütternd: „Das Bild ist auch
deswegen so ergreifend, weil es die halbe Ge-
stalt in ganzer Größe aber aus nächster Nähe
zeigt." Worauf Herr St seine ganze Gestalt
in ganzer Größe zeigt: „Leider ist es nicht
ganz Kunst geworden, da es um eine Spur das
Spiegelbild nicht ganz überwunden hat." Trotzdem
es umso schöner geradezu erschütternd ohne Re-
touche ist, wird die Spur von seinen Spiegelbil-
dern doch in Aeonen untergehen (Aeonen ist etwas
für Wissende). Schade, daß der Liebermann die
eine Spur nicht verwischt hat, dann hätte Herr
St die ganze Kunst gesehen. „Eine wunderbar
musikalische Stimmung hat der Orpheus von Co-
rinth, eines der ganz seitenen gelungenen impres-
sionistischen Bilder, die das Realistische ins Mär-
chenhafte steigern, die äußere mit der inneren
Phantasie versöhnen." Bei Corinth hört Herr St
wieder den Goldton, bei Corinth findet er endlich
den Punkt, auf dem er auch noch Platz hat. „Noch
eigener und selbständiger ist Charlotte Berend,
als Porträtistin von Schauspielerköpfen. Beson-
ders Pallenberg als Zawadill ist geradezu glänzend
durch mutige Verwendung der ordinärsten
Pastellfarben-Kontraste wiedergegeben." Das ist
nun wieder Vision, trotzdem sie einige Farben in
schreiender Buntheit ganz scharf nebeneinander
verwendet. Aber bei einem Charakterkopf darf
man die ordinärsten Farben nicht scheuen. Herr
St wird immer psychologischer. „Von Feigl sah
man Bilder bei Cassirer, Zeichnungen und Radie-
rungen im Graphischen Kabinett I. B. Neumann.
Dieser vergeistigte Träumer ist zu ehrlich, mit
einer Mode zu gehen, aber auch nicht stark genug,
einen Stil aus sich heraus zu schaffen." Deshalb
hat sich dieser vergeistigte Träumer I. B. Neu-
mann auch schon in das Graphische Kabinett zu-
rückgezogen. Ich habe zwar die Kunstabende
schon vorgemacht, die Herr St im Graphischen
Kabinett nachgemacht hat. Aber Saalvermieter
sind mir noch nie als vergeistigte Träumer er-
schienen. Dazu fehlt mir doch der Wille, auch ist
meine Vision nicht stark genug. „Seine Bilder sind
trüb gemalte mit Farben ausgefüllte Graphik, seine
Graphik ist mehr nebensächlich hingewischt,
als erarbeitet." Also, die Graphik ist mit trüben
Farben ausgefüllt und außerdem nebensächlich
hingewischt, worauf Herr St die Vision fühlt: „Aber
in allem fühlt man, was bei scheinbar bedeutende-
ren und jüngsten Künstlern fehlt — eine Seele,
deren Lyrik von selbst in viele schöne Zeichnun-
gen und Lanschaftsbilder aus Prag übergeht, und
nicht etwa nur eine Fertigkeit." Das Malen mit
Seele ist lyrischer, die Seele selbst ist durch-
sichtig trübe gemalt und Herr St kann sich auf
den Punkt stellen, von dem die Seele gesehen ist.
Also betrübt betritt er die Ausstellung Der Sturm.
Zum ersten Male. Aber er weiß schon Bescheid:
„Die Ausstellung des Sturm gibt keine gute
Uebersicht über die von ihr vertretene Malerei."
Herrn St übersieht, daß er übersichtig ist. Er weiß
bereits aus dem Katalog, was Der Sturm vertritt.
Während bei Cassirer zwei Mädchen nur über
einem Skizzenbuch sitzen, muß es im Sturm ja
ganz toll aussehen: „Auch sind die großen und
kleinen Talente durcheinander geworfen und alles
aufgehängt, was ohne Qualitätsunterschied modern
aussieht." Die großen und kleinen Talente werden
in Sturm herausgeworfen, sodaß nur der Kunst-
kritiker modern aussieht. Nun redet sich Herr St
in den Expressionismus hinein: „Franz Marc.
Seine Größe besteht darin, daß er ganz innere
Gesichte nach außen gebracht und das Geistige,
über das Kandinsky nicht hinauskam, in über-
zeugende malerische Mittel verwandelt hat." Herr
St. will sagen, daß er bei dem Buch „Das Geistige
in der Kunst" von Kandinsky, noch nicht einmal
zur Lektüre gekommen ist, immerhin aber wenig-
stens den Titel kennt. Und während Corinth die
äußere mit der inneren Phantasie versöhnt, bringt
Marc innere Gesichte nach außen. So denkt Herr
St den Expressionismus. „Aber auch das Male-
rische ist nicht sein Ziel, sondern die Wiedergabe
seiner Vision." Nur, Herr St. ist eine Vision keine
Wiedergabe sondern eine Gabe. „Muche ordnet
nur malerische Effekte geometrisch an, aber in
Farben, deren Schwingungen von seiner schöpfe-
rischen Kraft überzeugen." Effekte werden zwar
nicht gezeugt, aber Muche zieht es sicher vor,
Geometer zu sein, als Herrn St durch eine künst-
lerische Zeugung zu überzeugen. Auch der Chagall
ist unordentlich. Er hebt die benutzten Gegen-
stände nicht auf: „Chagall ist dagegen ein Phan-
tast, der die Gegenstände nicht gänzlich aufhebt,
sondern nur durcheinander wirft." Herr St ist
ganz erschlagen. Erst wirft der Sturm die großen
und kleinen Talente und dann Chagall die Gegen-
stände durcheinander. Die Seele des Herrn St ist
verletzt. „Wie bei Muche hat auch bei Chagall
nicht das einzelne Werk sondern irgend eine Spur
von Kraft in ihm die verführerische Gewalt." Ja,
Muche und Chagall, er ist verführt der Herr St.
Aber ich will auch einmal denken: ich denke, es ist
besser, ihn schnell wieder abzuführen. Sonst füllt
er die Kunst auch noch mit seiner Seele aus.
Vor Nachahmung wird gewarnt
Lovis Corinth fühlt sich seit Ausbruch des
Krieges verpflichtet, jedes Jahr zweimal über den
Genius der deutschen Kunst zu schreiben. (Im
Frieden tat er es einmal. Nun ist zwar der Genius
eine römische Angelegenheit und Herr Corinth eine
berliner. Da aber Herrn Corinth, der sich früher
einmal mit Malen beschäftigt haben soll, die Far-
ben fehlen, stellt sich sein Wort an falscher Stelle
ein. In einem Buchchen verkündet er: „Gern
möchte ich den deutschen Maler überzeugen, daß
er vor keinem Künstler Europas sich zu beugen
braucht. Daß er vielmehr ebenso tüchtig dasteht
wie die Kollegen anderer Länder." Kollegen
brauchen sich nur gleichzeitig zu beugen, sie alle
müssen sich aber den Künstlern Europas unter-
ordnen. Hierauf verrechnet Herr Corinth: „Lassen
wir die großen Maier Frankreichs, die wir selbst
am meisten würdigen. Nimmt man aber diese
Größen fort: die Schule von Barbizon, die Im-
pressionisten, so bleibt eigentlich nichts mehr
übrig." Nimmt man hingegen in Deutschland diese
Gerne-Größen fort, Herrn Corinth und seine
Freunde, so bleibt endlich etwas übrig, nämlich
Platz für die Künstler in Deutschland, den die
tüchtigen Kollegen besetzt hielten „Oder haben die
Franzosen größere Genies als wir in unserem
Feuerbach und Marees besitzen?" Selbst nach
Fortnahme der Größen Frankreichs können wir in
Deutschland Feuerbach und Marees den Kollegen
überlassen. Wir haben sogar Künstler Europas in
Deutschland, selbst wenn wir die Schule von Ber-
lin und die Impressionisten fortnehmen. Bleiben
wir in der Gegenwart: „Bleiben wir aber in der
Gegenwart und lassen wir die Lebenden nach
dem Friedensschluß zur Geltung kommen." Lassen
wir. „Auf welcher Seite sind die größeren Ta-
lente? Die Talente bilden sich gegenseitig im
Lärm, aber sie bilden nicht." In Frankreich ist in
letzter Zeit die exotische Richtung emporgekom-
men. Eine Richtung, welche die Franzosen selbst
nicht ernst nehmen können." Die Franzosen, Herr
Corinth, sind nämlich auch nur Kollegen, und Kol-
legen nehmen nur sich selbst ernst. „Der letzte
Große war eigentlich mit Cezanne gestorben. Jetzt
stagniert es in Frankreich." Von jeher war der
letzte Große eigentlich immer gestorben. Bleiben
wir aber in der Gegenwart: „Aber in Deutschland
ist von einem Erlahmen absolut nichts zu merken,
sondern es gährt viel mehr als vor dem Kriege .."
Die zweijährigen Kriegswunderkinder geben eine
hübsche Hopfenblüte. „Vor dem Kriege waren
Deutschlands Künstler vollständig wieder im
Schlepptau anderer Völker gebannt." Das Bannen
im Schlepptau ist eine Unsitte: „Heute aber haben
sie diese Unsitte abgeworfen und erheben sich
zu neuen Taten." Die Taten sind zwar etwas
wässerig, weil die Herren Künstler offenbar zu
lange im Schlepptau lagen. „Künstler, welche
überall geschätzt werden, haben wir auch heute
aufzuweisen, Künstler, welche in ihrem ernsten
Streben uns voranschreiten." Erst wurden sie
nachgeschleppt und jetzt schreiten sie voran. Da
haben wir aufzuweisen, erstens: „Den alten
Thoma in seinen besten Bildern, Trübner, der im-
mer strebend sich bemüht und Klinger. Diese
Künstler sind unser Stolz und wahrlich der
Nachahmung würdig." Wenn der alte Thoma in
seinen besten Bildern schreitet, werden die Nach-
ahmer nur noch die Rahmen ins Schlepptau neh-
men können. Trübner schreitet in ernstem Streben
voran und bemüht sich immer strebend, sodaß er
wohl auf dem selben Flecke bleibt. Und Klinger,
unser Stolz. Wahrlich, Corinth ist würdig, sie
nachzuahmen. Und wenn er nicht zur Zeit mit
Liebermann noch böse wäre, wäre er als Vierter
im Bunde und auch zur Nachahmung empfohlen.
Die drei Corinther werden wahrscheinlich er-
staunt sein, wenn sie die Epistel des Lovis lesen.
Wie sie gähren, diese Jubelgreise. Der Krieg
nimmt ihnen das Schlepptau, Corinth nimmt es
auf und schleppt sie in die Kunst. Die Kunst läßt
sich entschuldigen, sie ist zu Schiff nach Welt.
Wenn Herr Corinth mit Recht auf Deutschland
stolz sein will, so will ich ihm das Recht und die
Rechten hierzu geben: Franz Marc und Oskar Ko-
koschka. Vor Nachahmung wird dringend ge-
warnt.
Das ist die Liebe
Steif geheftet für Mk. 2.80, in Halbleinen für
Mk. 4.— tritt das Liebespaar in die Kunst. Auch
er, Herr Reinhard Piper, der Versammler der
Liebespaare in der Kunst, hat die Liebe in ein
Werk verlegt: „Wie jeder Dichter, so hat auch
jeder große Künstler einmal der Liebe in einem
Werke Tribut gezollt, von den Meistern der ägyp-
tischen Plastik bis zu unsern Jüngsten." Die Jüng-
sten sind die Frucht der Aleister der ägyptischen
Plastik und der Tribut ist bereits auf zwei Mark
achtzig herabgesetzt. Ja die Liebe: „Und es sind
nicht die schlechtesten Werke geworden die ihnen
die Liebe eingegeben." Löffelweise: „Am besten
nennen wir die Titel der einzelnen Abschnitte:
„1. Adam und Eva" (bekanntes Liebespaar); „2.
Götter und Helden" (bedenkliches Liebespaar);
„3. Deutsches Volkslied" (nur einmal im Leben);
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