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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Neuntes Heft (Dezember 1916)
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Runge, Wilhelm: Lieder
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Essig, Hermann: Der Wetterfrosch, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0104

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Lieder
Wilhelm Runge
Runzle Sorgen kauern senke Lider
Augen brechen morsch
M elk blättert Blut
Welt geht hüstelnd durch die kahien Adern
und der Sehnsucht dunkle Tannen treiben hoch
Schatten scheiten scharf
die sonnen Wangen blassen
Seele stöbert störrisches Gesträuch
stößt das wimmre Denken in dieDornen
sprengt das zerre wildverwachsne Schreien
und zerreißt die himmelsglücken Sterne
Quellen flattern
Stöhnen trinkt mit langem Zug.
* *
*
Fragen trotzt den träumen Willen groß
Glauben tastet himmelhohe Wege
blutig betet Sehnsucht ihre Knie
Wünschen weht verlassen wanken Wind
Wissen zerrt durch erdenfurches Sorgen
Sinnlos stirbt Geboren
biert den Tod
Wanken nestelt Stehn
des Blutes Sterne strotzen
jauchzen träumt die Seele
nirgend-irgendhin.

Zeiten wintern
Zeiten sommern
sonnenspielig
Erde schlenkert wiesenflatternd hin
Blühen weht die hitzen Sterne durstig
Ahnen schwellt vielhimmelblaue Segel
Überdenken wanderwundern Wolken
Endlos rätselt neckig blaue Weiten
Fragen wirft vertrotzt das quäle Blut
Fraglos wandelt sternensinnen Weg
Lächeln leise schlingt verliebt Geleiten
Brechend bröckelt Wissen stummen Staub
Wunder wirft die sinnversage Welt
Tränen taumeln Glück
' das Blut bebt Beten
Zeiten sommern
Zeiten wintern
sonnenspielig.
X X
X
Sonne putzt die blindbeschlagnen Stunden
Trotzen drängelt rüplich durch die Welt
bläst dem Wollen scharf ins glimme Feuer
drunter-drüber-unter-übermut
Scheine zausen Laub
Kühl glucken Schatten
über schlummre Wälder blakt der Wind
Ruhe reicht der Welt das sanfte Händchen
Schäkern schmeichelstreichelt liebes Kind
Zärtlich lächelt schläfern atemleise
Kleiner Bubi
Kleinem Mädi-
dut.
X X
X
Sonne runzelt
Trübsal bettelt bitte bischen Traum
Trübsal magert feistes Denken ein
wackelnd schwappt Verzweifeln
Träume stossen stolpernd blindes Schwätzein
Fassungslos schluckt müd
Sonne glättet
Adern lichten hoch
Leise weht der Augen Zittergras
Wollen wirft Gebückt und reckt Entlastet

würfelt in der Seele Nichts die Welt
Lähmen lauscht
rennt hin und blickt Gewonnen,
X X
X
Freuen sonnt vielmärchensommerschwer
Herz reißt auf und lüftet weit ein Lächeln
Jubel beugt kleinkinderglücklich raus
reißt zurück
verschrocken lehnt verstumm
Schelten bellt und springt
Wut schwingt die scharfen Beile
starrend steht der Augen dichter Wald
gelichtet.
* *
*
Denken döst in schauklen Schlummermatten
Necken wippt geplauderhinundher
Ernst schmiegt Fleiter um den zarten Nacken
Horchen äugelt sinnenschwer
zuckt zusammen
duckt
und üb erschlägt
schreit umklammert zappelnd fortgetragen
Hastig
schämt
das Lachen
hinterher.


Der Wetterfrosch

Hermann Essig
Fortsetzung
Während es dem Frosch im Nacken lag wie ein
Stierjoch, lag über der Erde der gleissende Glanz
der Sonne und alles war in lebendiger Bewegung,
schuf Wege und Bahnen, Niemand tats wie der
Frosch und hüllte sich lebendig in Vergessen und
Abscheu. Die Aeste der Bäume zitterten in der
Sonne, als sprängen ihre Knospen auf, und ihr
glitzernder Flimmer fiel zu Boden.
Der Knabe hatte eben doch schon zu lange mit
Schick verkehrt, auch er saß allein und verlassen,
traurig auf einem Schichthaufen Schlagsteine an
der Landstraße, die zur Stadt führte. Er konnte
es nicht fassen vom Schick, vom guten treuen
Schick — das wars, warum er traurig war, und
das wars eben, warum Schick so dümmste. —
Nach seinem großen Erlebnis — er hielt sich
noch wochenlang den Hinterkopf — ging der
Knabe in sich und suchte. Da fand er, daß er der
schwer leidende Sohn seines Vaters war. Auch
das Heer fands, „du bist krank, geh zum Tischler
und bestell den Bretternen", sprach das Heer. Das
stimmte zu seiner Grabesmelodie, die in ihm wie
die große Orgel rauschte.
Er setzte sich auf den Steinhaufen beim letzten
Hause vom Dorf und sah krank aus. Obgleich er
sich nie im Spiegel sah, wußte er doch, daß er
bleich war und es abwärts mit ihm ging. Er
wartete aufs Ende und weinte bei dem Gedanken.
Er war gerührt, daß ers nicht mehr erlebte, wenn
der „Buckelschalle" — so hieß der Steinklopfer —
auf der Blecheinlage seiner Hosen saß, um die
Steine zu schlagen und zu klopfen. Es stand gewiß
so mit ihm, auf den übernächsten Steinhaufen
saßen schon die hartfederigen Raben und guckten
mit weiter Speiseröhre nach ihm.
So um die schläfrig zaudernde Mittagszeit
wars, glöckelte was daher.
Man sah nichts, aber es kam näher.
Ein Schlitten mit kling klang Pferden bespannt
kam von der Stadt her, kling klang . . kling klang
. . träträträ war es ganz nahe. Er hielt an ihm an.
Nein er machte nur kehrt. Der Knabe hatte

Angst, er werde jetzt angeredet, er rückte
sich schnell aus seiner bleichen Stimmung
zurecht, damit er dem feinen Fräulein auch
richtig antwortete. Er atmete richtig auf, wie die
Pferde wieder anzogen und ihn in Ruhe ließen.
Aber wie das Alädchen jetzt pfeilschnell in die
Ferne entschwand, merkte ers deutlich „es war
das Mädchen vom großen See in dem Schlitten".
Die wars. So sah sie aus.
Schwanenweiß. Sie hatte ihn sogar ganz
freundlich angesehen. Der Entschluß „fort vom
Steinhaufen, in die Stadt auf den großen See"
schwang ihn rasch herab, löste seine festgeklebten
Hosen. Auch erschien schon die Abordnung vom
Heere, ihn zu interviewn. „Wegen deinen Glotzern
ist sie umgekehrt"; einen Streich mit einer
Peitsche um die kältegespannten Waden, die aus
den Rohrstiefeln herausstanden, und die Abord-
nung hatte ihren Auftrag erfüllt und verschwand
in einem Stall zum Vieh.
Der Knabe zog die Beine an und war sich
doppelt bewußt, daß das Mädchen seinetwegen
erschienen war. Es war ihm wie dem gepeitschten
Pferd, das blind an allem vorbeischießt. Er hätte
nur mögen Sätzen können, wie des Schulzen
großer tigerhoher Bernhardinerhund, um seine
Schlittschuhe rascher unterwegs nach der Stadt
zu haben.
Mit den Schlittschuhen an der Hand mußte er
ja leider mit gemessenem Gang einherschreiten,
springen nahm sich schlecht aus.
Aus jedem Hause kam ein Soldat gelaufen, hing
zehn Schritte weit an den Schlittschuhen, um Vor-
haben zu erfragen und zugleich endlich einmal
dem Froschstupfer seine eisernen Schuhe zu
prüfen, ob sie auch echte seien zum eigentlichen
Drauffahren, spuckte schnell noch auf die Klapper-
dinger und lief zurück. Da gabs oft abzuwischen,
bis der Knabe freie Landstraße gewonnen hatte —
„schnuppe, der große See war Stadtmarkung".
Der Heerführer versäumte trotzdem nicht, freund-
lich für Eventualitäten, den genauen Plan zu er-
fahren. „Der Heerführer war gar nicht so übel",
das gab dem Knaben wieder das Rätsel für unter-
wegs auf: „warum war der so freundlich zu ihm
und führte trotzdem den Feind wider ihn?"
Es waren Kleinlichkeiten, die hinter ihm lagen.
Vor ihm, oh! . . . der große See.
Da lag er vor ihm als eine schwere Prüfung
und schöne Lockung zugleich. Wagen oder nicht
wagen?! Das waren ja alle so vornehme große
gewandte Menschen und Künstler, die an ihm vor-
bei auf dem See gingen.
Er stand und betrachtete lange und wurde
immer kleinherziger, es sprach ganz weise in ihm,
„kehre lieber um und geh auf den Froschteich,
da kannst du auch was Tüchtiges lernen, dann
wenn dus kannst hats noch Zeit für den großen
See". Auch eine Treumahnung vernahm er: „Was
bist du Schick schuldig, Schick, der dir die Schlitt-
schuhe geschenkt hat?" Wenn man nicht ganz
das Herz hat, hört man überall Rat und Mahnung.
Er erfand einen Ausweg: „er suchte mit den
Augen das schwarze Gewimmel ab, ob das Mäd-
chen darunter war. Wenn sie nicht da war, hatte
das Schlittschuhlaufen sowieso' keinen Zweck". Er
stierte auf das Gewimmel und konnte einzelne
Menschen gar nicht unterscheiden, es ging vor
seinen Augen wie im Schatten eines Lattenzauns.
Manchmal sah er einen Herrn ein weißes Fräulein
führen, aber die wars nicht. Er stand steif und
unschlüssig am Eingang.
Plötzlich erdröhnte die Luft, es war als zer-
platzte eine Bombe, so rappelte alles durchein-
ander. Das Rauschen und Schwirren wurde lauter
und alles kam allmählich in eine schöne Ordnung,
eine Richtung nach hinten, fern um die Biegung,
 
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