Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

DOI Heft:
Achtes Heft (November 1916)
DOI Artikel:
Leer, Francisca van: Die Not
DOI Artikel:
Heynicke, Kurt: Gedichte
DOI Artikel:
Behne, Adolf: Bekenntnis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0099

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Not
Sophie van Leer
Tief im Qarten bauen sie einen Zirkus. Die
Sonne glüht ihre hämmernden Hände.
„Warum verbieten die Eltern?"
„Du bist ein Junge und ich bin kein Kind mehr."
„Verstehst du das?"
„Nein."
„Es ist, wenn ich abends zu Bett gehe. Ich
falte die suchenden Hände. Morgens hegen sie
weit von mir und klammern die Bettkante. Ich
liege auf einer Planke gestrafft. Das Meer spielt
mit meinem Herzen, und ich werde nicht mehr
fertig mit meinen Aufgaben."
„Wirst du nicht versetzt?"
„Nein."
Der Mohn flammt im Kornfeld.
Sein Kopf sinkt in die Halme.
„Wie deine Augen singen. Wie der Mohn in
deinem Haar klingt. Komm. Auf meinem Kissen
liegt der Mond. An der Decke läutet ein Käfer.
Der Wind wogt ins Fenster. Nacht rauscht und
summt die bösen Träume in den Schlaf. Komm.
Warum lernen wir?"
„Wir müssen uns vergessen."
„Ich kann die Prüfung doch nicht bestehen. Und
dann muß ich fort."
„Warum lernst du nicht?"
„Nichts ist gut und schön -wie du."
„Nun mußt du fort. Alle Nächte wache ich auf
deiner Schwelle. Deine sehnenden Schmerzen
beugen meine Arme. Mein Knß blüht, brennende
Mohnblume, auf meinen Lippen. Der Kelch meines
Herzens ist über dich ausgegossen. Die Stunden
irren von mir zu dir und jagen sich im Kreise.
Weit ist mein Himmel zu dir gebreitet. Ich bin
die Flamme, die loht, wenn du fern die Träume
niederbetest. Schwarze Särge sind die Tage. Jede
Sonnenstunde will ich begraben. Denn ich will
nicht mehr leben."
„Ich werfe meine Stimme in die leere Zeit. Leid
brennt auf meiner Stirn. Mein blinder Blick zer-
schellt in meiner blinden Seele. Und meine Hände
tasten nach dem Tod."
* *
*
Der Regen flüstert auf dem Hof. Wasser-
tümpe! frösteln. Ein Wolkenball treibt träumend
durch die Aeste.
Papier knistert im Schulzimmer. Erschrocken
blättert ein Buch. Der Lehrer bückt, und legt einen
Brief auf sein Pult. Seine Stimme liest in Höhnen:
„Wie ich mich nach dir sehne. Nachts trinkt
der Mond meine Tränen."
Die Kinder lachen. Er reißt das Blatt in kleine
Fetzen.

Zwei kleine Schlangen winden ihre Köpfchen
durch lautloses Qras.
Die beiden Kinder kauern im Gestrüpp.
„Wir suchen uns. Wir finden uns. Die alten,
alten Menschen, die schütteln unsre Worte aus und
können sie nicht hören."
Blau brennt ein Stern im Nebel.
Ein Tropfen fällt von Ast zu Ast.
Auf silbernen Flügeln hebt die Nacht sie in die

Gedichte
Kurt Heynicke
Gedicht
Ich bin im Dämmern eingeschlossen
ich bin in dunkle Schale ausgegossen
im atemlosen Nichtsein uferfern geboren.
Die Nächte tragen meine Narrenkappe feucht
im Haar,
Ich fühle Straßen meinen Sinn durchlaufen
ich will in Gottes Sternenarme brausen
und sinke dunkel in das tiefe Ich.
Kirchenlied
Gott,
hinzuknieen in kalte Altäre
Gott
getragen von eifrigen Worten der Priester
Ihr Kirchen am Wege der lauten Gebete
in eueren Armen die Sonne zu töten!
Ihr Schläfer im Staube der alten Gesetze
furchtsam hinzitternd eure Schuld zu weinen!
Gottesname, unfaßbar von Himmeln gehütet
ich bin die Feier, fremd zu dienen.
An deiner Sonne bade ich mich auf
und lächle alle Schuld in deine Sterne.
Ihr Sünden hoch mein Haupt zu krönen
und tief zu lächeln in die Nacht.
Ihr Sünden, heller Glanz meiner Augen
zu schmücken meiner Liebe Weg.
Sterne
Sterne reigen tiefe Nacht.
Hoch ihr Sterne meiner Brust zu singen.
Sterne fragen tief hinab.
Tief ihr Sterne mich zu beugen.
Weit ihr Sterne meiner Seele
glühhinab im Schoß der Nächte!
Blutentfachtes Jubelleuchten
helle Dämmernis der Ferne
tauumtauft mein Haar zu feuchten
gottumflossen
o ihr Sterne in den Nächten!
Ehe

Die Schule wird geschlossen. Die Gänge jauch-
zen, durch offene Fenster jubeln blaue Ferientage.
„Bleibe. Ich habe mit dir zu sprechen."
Ihre Augen gleiten am Boden. Ihre Arme
kreuzen den Rücken. Ihre Zähne beissen die Lip-
pen blutleer.
„Liebesbriefe sind nichts für Kinder. Du bist
noch viel zu jung."
Seine Finger schleichen um ihre Schultern,
krallen in Gier ihren Hals, seine Lippen pressen
ihren Mund.
Ihr Schrei ruft an der verschlossenen Tür.
„Still. Oder ich schreibe deinen Eltern, daß du
ein Verhältnis hast."
Am Hügelrande wandelt der Mond.
Am Wege rieselt Wasser.
Ein Vogel seufzt im Schlaf.

Wir wollen zwei Maibäume sein
/von unseren Schultern rinnt Frühling.
Zwei Quellen wollen wir uns ergießen
Wiesen betreuen
in einem Strome verfließen.
Wir wollen unseren Garten umschönen
Lilien und Mohn unserm Haupte krönen
vor unserm Werke beugend beten.
Berggipfel sollen unserer Füße Heimat sein,
glanzgleitend ins Sonnenrot
händenah
Gott umfassen.
Gebet
Herr, du hast Gnade in deinen Händen
deine Fülle strömt über mein dunkeles Haar,
meine Seele breite ich in die Welt
deinen grünen Teppich in Sonne.

Herr, ich bin blind im blühenden Feld von
Getreide
ich fühle meine Schultern mit Segen beladen.
Nimm mein Leben, deiner Gnade zu danken
glänzend von dir
von Sehnsüchten umkleidet
reinen Schritts zu gehn ins Endelose.
Bange Nacht
Urewig will das Du uns groß umfangen
Nacht kommt aus wildem Mohn gegangen,
weiß in die tiefen Wälder träumt das Haus.
Wir löschen alle Lichter aus
aus unsern Fenstern blüht die Dunkelheit
nachtblumenstill lauscht unser Garten.
Die Sterne wandeln hoch und weit
die tiefen Küsse sind ein banges Warten.
Im großen Schoß des Lebens schlafen unsre Herzen
und träumen schmerzhaft ihren Traum entzwei,
lichthaft
urfern mit Kinderaugen
wallt weit die wilde Welt vorbei.
Nacht
Im Schatten meiner Kinderträume gehst
du groß dahin.
Um deine Lenden, reife Halme, wiegt mein Sinn.
An deiner hellen Stirne träumt mein Blut.
Es wird mein Willen groß an deinen Händen,
mit deinem kühlen Auge gürtest du die Scham,
doch meinen Namen schreit der Wind aus
dunklen Gärten.
Ein Silberboot singt uns der fernen Insel zu
vom Mond berauscht versinkt der Kiel im Schoß
der Wellen
viel Sterne raunen unsern Namen ewig—eins.
Tief senkt die Nacht ihr blaues Herz in unsern
Schlaf,
auf unsern Träumen schreiten wir zu fernen Ufern
und eine Weit erblüht mit weißen Toren aufgetan.
Auf Morgenwolken kommt der graue Tag geflogen,
hinabgezogen ist ein Traum im Staub der Stadt.
Die Ranken blättern einsam von der kalten Brust
ein keuscher Glaube endet gassenhin.
Laut braust das wehe Lied in unsern Tag:
Wir sind ein Atmen in dem Schoß der Zeit!
Im Tode sind wir Ewigkeit,
in Gottes Wellen uferlos verloren.
Stunde
Eine Stimme geht:
Du.
In unser Dunkel braust der Telegraphendraht
urnahe schreit die Welt in unser Zwei.
Stern in der Nacht
erleuchte uns.
erhöre uns
Stern über uns.
Erhebe dich in mir
zu uns!
Fern
die stille Geige.
Du.

Bekenntnis
Ich habe im schwarzen Fensterausschnitt ein
paar armselige graue Dächer vor mir, eine ge-
teerte Wand und einen lotrecht-genauen roten
Vierkantschornstein, in der Hauptsache einen un-
bewegten stummen fahlen Himmel. August Stramm

93
 
Annotationen