Durchleuchtung mit.herber Klarheit wirkt ziemlich
dunkel. Und unverfrorene Nichtskönner sind seit
je mit Wärme empfangen worden. Das ist das
menschliche Mitieid. Wem die Leinwand zu hoch
im Kurse steht, der braucht sie nicht zu kaufen.
Beschmierte Leinwand ist seit je zu hoch bewertet.
Hingegen haben Akademien bisher nur die wider-
sinnigen Versuche gemacht, Künstler von ihrem
Platze zu verdrängen. Und die vielen kleinen un-
fähigen Kunstschreiber haben seit je ein gewis-
senloses Spiel damit getrieben, Abbildungen als
Bilder zu preisen. Nun hat dies Alles nichts mit
der kranken Kunst zu tun. Schon die bewährten
Klassiker beschwerten sich darüber, daß die Kunst
in Deutschland keine Anerkennung fand. Nicht die
Kunst braucht den Erzieher und nicht der Künstler.
Den Erzieher brauchen die Professoren und Dok-
toren, die aus der Schule schwätzen. So war es
im Jahre 1911. Im Jahre 1916 hingegen beginnen
endlich die breiten Schichten der Bevölkerung das
zu turn, was Schüler tun: auf die schlechten Er-
zieher zu pfeifen.
Die faisehe Nutzanwendung
Herr Heinrich Wölfflin, der Münchener Kunst-
gelehrte, cs ist aber nicht so schlimm, hat „in
lichtvoller Weise zur Kunst unserer Tage Stellung
genommen." Die Werkstatt der Kunst und alle
Kunstgelehrte von München und Nachfolger blicken
auf. Ich muß leider etwas Schatten verteilen, da-
mit das Wölfflin-beliebte Helldunkel Rembrandts
in Erscheinung tritt. Die Herren Kunstgelehrten,
die von Kunst etwas helldunkel ahnen, machen
immer falsche Nutzanwendungen, wenn es sich
um Namen handelt. Mag es nun der sehr be-
rühmte Herr Wölfflin oder der halbberühmte Herr
Worringer oder der nichtberühmte Herr Deri sein.
Herr Wölfflin verkündet seinen Hörern: „Bild und
Wirklichkeit können nie ineinander aufgehen; die
Wirklichkeit ist immer etwas absolut Anderes als
jede Bildgestaltung. Oft kann mit völlig natur-
fremden Mitteln ein Eindruck hervorgerufen wer-
den, der als Wahrheit, als Wesen des Wirklichen
empfunden wird . . . Aber es ist ein Sonderfall,
daß die schöngestaltete menschliche Figur von
der Kunst aufgenommen wird, und diese Schön-
heit ist eigentlich etwas von stofflicher Art und nur
zum geringen Teil das Verdienst des Künstlers . . .
Auf den Gegenstand, der dargestellt ist, kommt
es wirklich nicht so viel an . . . Form und Farbe
können eine so bedeutende Anschauung zeigen,
daß der Beschauer auf ganz andere Gedanken
kommt, ohne daß er es merkt . . . Daß ein Künstler
fähig ist, ideale Empfindungen zu haben, nützt ihm
für seine Kunst gar nichts." Also die Lehre des
Expressionismus. Nutzanwendung des Herrn be-
rühmten Wölfflin: „Dem Artistentum von heute
gegenüber ist die Lehre der Kunstgeschichte gel-
tend zu machen, daß die wirklich großen Künstler
in allen Perioden doch Leute gewesen sind, die
mit völligem Bildungsinhalt ihrer Zeit gesättigt
waren." Woher weiß nun Herr Wölfflin, daß die
Künstler, die man Expressionisten nennt, nicht
auch soviel Bildung genossen haben, daß sie dar-
aufhin hungrig wurden. Nämlich nach Kunst.
Trotzdem sie alle sogar die Bücher des Herrn
Wölfflin gelesen haben. Also mit dem Bildungs-
inhalt ihrer Zeit übersättigt sind. „Die bloße
Atelierkunst, das Sektentum in der Kunst hat nie
eine lange Lebensdauer gehabt." Das stimmt
wieder nicht, denn die Rembrandt-Deutschen
malen und leben noch immer feste druff. Während
der berühmte Herr Wölfflin wenigstens so vor-
sichtig ist. überhaupt keinen Namen zu nennen,
erörtert der halbberühmte Herr Worringer die
Theorie des Expressionismus und wendet sie glatt
auf den Impressionismus an. Der unberühmte Herr
Deri versucht sich .auszureden. Das Schreiben ist
ihm zu gefährlich. Aber man kämm auch über
Reden schreiben.
Herr Deri über die Fu-
turisten 1912:
Ueber Russoio: Richtig
ist. daß zwei Anschauun-
gen miteinander kumuliert
werden ... Aber diese bei-
den Anschauungen .. sind
eben in unserer Erinne-
rung verbunden. Unsere
Vorstellungen besitzen
ohne weiteres die Mög-
lichkeit der Verbindung
von Erinnerungen ver-
schiedener Erlebnisse.
Herr Deri über die Fu-
turisten 1916:
Ueber Russoio: Hätte
z. B. Midie) Angeio ein
Biid gemalt, so hätte er
rein gefühlsmäßig den
vordersten Keil ais den
spitzesten den letzten als
den stumpfesten ge-
braucht. Dieser Futurist
aber geht von der ganz
kalten Berechnung aus,
daß beim Vorstoß die
Spitze allmählich stumpf
wird. Wieder ein deut-
liches Zeichen für den
rein verstandesgemäßen
Aufbau.
Es bleibt zu bedauern, daß Herr Deri nicht
sämtliche Bilder von Michelangelo neu malt. Er
hat sich ja bereits verpflichtet nach kurzem Mal-
unterricht Bilder von Sevcrini zustande zu brin-
gen. Was kann da bei etwas längerem Malunter-
richt nicht noch alles herauskommen. Denn noch
1912 gab das Bild Pan-Pan-Tanz in Monico für
Herrn Deri „den wirbelndsten, reichsten, lebendig-
sten Eindruck eines Tanzsaals." Wenn Herr Deri
das schon nach kurzem Malunterricht erreichen
kann, werden ihn nach längerem Malunterricht die
Herren Wölfflin und Worringer zu einem Künstler
ernennen dürfen, der mit dem Bildungshuhalt
unserer Zeit gesättigt ist. Für die späteren Ar-
beiten, schriftlichen Arbeiten des Herrn Deri sei
für die Zeiten seine Vortragsbemerkung aufge-
hoben, Kandinsky wäre ein ganz mittelmäßiger
Maler, dessen Bilder auf dem Mißverständnis be-
ruhen, musikalische Dinge zu malen. Das sei hier-
mit in die Welt posaunt, damit es Herrn' Deri nicht
etwa einfällt — nach abermals vier Jahren für
Kandinsky die große Pauke zu schlagen. So et-
was kommt nämlich bei ganz mittelmäßigen Kunst-
schriftstellern vor.
Die Heine Mode
..Künstler, die sich in den Dienst der Mode
stellen, definieren das Wort Mode. Das Snobisti-
sche sogar macht nur Vergnügen, wenn ein wenig
Tiefsinn, Theorie und graue Ernsthaftigkeit dabei
sind." Herr Karl Scheffier häit sich für einen
Künstler, da er sich in den Dienst der Mode stellt
und dem die Kunst nur Vergnügen macht, wenn
sein Tiefsinn, seine Theorie und seine graue Ernst-
haftigkeit dabei ist. „Das haben wir erlebt, ais
vor einem Jahrzehnt Maler und Architekten zu
Damenschneidern wurden, ais das Künstlerkleid
entstand, und wir erieben es heute wieder, wo
jene Kunst, die sich anspruchsvoll Expressionis-
mus und Kubismus nennt, ein zärtliches Liebes-
verhältnis zu dem mondänen kleinen Mädchen
„Mode" unterhält und wo dieser Liaison unter
Andern ein geistreicher Anwalt der Tat und des
Wortes in Otto Haas-Heye erstanden ist." Jene
Kunst, die sich anspruchsvoll Impressionismus
nennt, unterhält ein zärtliches Liebesverhält-
nis zu den mondänen kleinen Modellmädchen
und dieser Liaison ist unter Andern ein kunst-
armer Anwalt der Tat und des Wortes in Karl
Scheffier erstanden. Die Kunst, die Kunst ist
und anspruchslos Expressionismus und Kubis-
mus genannt wird, hat zur Mondänität und zur
Mode so wenig Beziehung, wie die Herren Haas-
Heye und Scheffier zur Kunst. Selbst wenn man
Rokoko und Biedermeier-Püppchen schlecht auf
gutem Papier zeichnet, ist damit die Berechtigung
der Künstlerschaft nicht nachgewiesen. Nun wo
sich Herr Scheffier als Künstler fühlt, ist ihm selbst
die Literatur grau. Sein Stii treibt Biüten, daß
der Fenilletonist vor Neid gelb wird. „Die Moden
der Frauenkleidung sind so sehr auf Wechsei und
Gegensätze gestellt, weil — schrecklich indiskret
es auszusprechen — die Erotik des Mannes stark
daran beteiligt ist." Was dieser Scheffier —
schrecklich indiskret es auszusprechen — für einen
Mut hat. Aber die Frauenkleidung wird ebenso
schiechte Erfahrungen mit der Beteiligung dieses
mutigen Mannes machen wie die Kunst. „In einem
Theaterstück Wedekinds sagt jemand, früher hät-
ten die Männer mehr den Oberkörper und die
Arme der Frau geliebt, jetzt liebten sie mehr die
Beine. Daß er Recht hat, lehrt ein Blick auf den
Wandel der Mode." Ein Blick auf die Beine
müßte eigentlich mehr lehren. „Einst wurden die
Büstenfabrikanten reich, jetzt sind es die Strumpf-
wirker und Schuhmacher." Dieser Tiefblick würde
höchstens zeigen können, daß heute Strümpfe und
Schuhe beliebter sind als künstliche Büsten. Die
Mode der künstlichen Beine ohne Strümpfe und
ohne Schuhe ist nur auf den Bildern der Impres-
sionisten zu finden. „Was kommen wird, ist noeb
unklar. Zur Zeit schwankt die Mode ungewiß."
Viel Raum bleibt der Mode nicht mehr übrig, aber
wie Scheffier sagt, Genaues weiß man nicht. „Die
Alänner, die die Forderung diktieren, sind jetzt im
Kriege. Mit weicher Art von fordernder Phantasie
werden sie zurückkehren? Das ist die Schicksals-
frage für manchen Fabrikanten." Die Fabrikanten
werden schon die neueste Mode aus Paris mit-
bringen, daran wird das Schicksal des Herrn
Scheffier nichts ändern. Ueberhanpt sollte man-
cher Kunstschriftsteller schon längst gemerkt ha-
ben, daß es immer anders kommt, als er es nicht
giaubt. Die Männer, die die Forderungen diktieren,
sind stets im Kriege. „Vor dem Kriege war die
Mode reichlich provoziert. Offenbar, weit —
schrecklich indiskret es auszusprechen — die Ero-
tik des Mannes stark daran beteiligt war: sie war
es, weii die blasiert und die etwas impotent gewor-
dene AJänniichkeit gereizt werden sohte." DieMode
war unnatürlich, weil der brave Herr Scheffier
so natürlich ist: „Je natürlicher, frischer und aus-
giebiger nun aber die männhehe Zärtlichkeit für
die Frau aus dem Kriege hervorgeht, desto
weniger braucht sie raffinierte Reizmitte!." Diese
ausgiebige männliche Zärtiichkeit wirkt mehr ge-
reizt als reizvoll. „Die Entscheidung darüber geht
nicht von Fabrikanten und Künstlern aus, nicht
einmal von der Frau; sie hängt mit erotischen
Phantasien der Männer zusammen. Das auszu-
sprechen ist woh] unschicklich; aber die Natur des
Menschen ist nun einmal höchst unschicklich ein-
gerichtet." Das auszusprechen ist ja wohl, —
schrecklich indiskret es auszusprechen — un-
schicklich; aber die Natur des Naturaiisten ist nun
einmai höchst indiskret eingerichtet. Die Natur
hat es aber höchst schicklich eingerichtet, daß sie
ohne die erotische Phantasie der Naturaiisten aus-
kommt. Wenn die Herren erst ausgiebig zärtiieh
werden, darf die Frau in Sack und Stulpen gehen.
Herwarth Waiden
Gedichte
Peter Baum
Gefallen am 5. Jun! 19t6
Aus dem Nachiaß
I
Die Müdigkeit muß Süße offenbaren
ln hohen Lüften Her- und Widerfahren.
Wie Mädchenscheine lugt es aus den Zügen;
Sie töten uns mit klirrendem Vergnügen.
Und immer Tausende Maschinen piatzen.
Ein Durcheinanderspeien zarter Fratzen,
hn jüngsten Sturm entzünden S'ch die Axen.
Hände und Küsse zu uns niederwachsen.
Mein Kopf treibt mit Walküren Faxen.
39
dunkel. Und unverfrorene Nichtskönner sind seit
je mit Wärme empfangen worden. Das ist das
menschliche Mitieid. Wem die Leinwand zu hoch
im Kurse steht, der braucht sie nicht zu kaufen.
Beschmierte Leinwand ist seit je zu hoch bewertet.
Hingegen haben Akademien bisher nur die wider-
sinnigen Versuche gemacht, Künstler von ihrem
Platze zu verdrängen. Und die vielen kleinen un-
fähigen Kunstschreiber haben seit je ein gewis-
senloses Spiel damit getrieben, Abbildungen als
Bilder zu preisen. Nun hat dies Alles nichts mit
der kranken Kunst zu tun. Schon die bewährten
Klassiker beschwerten sich darüber, daß die Kunst
in Deutschland keine Anerkennung fand. Nicht die
Kunst braucht den Erzieher und nicht der Künstler.
Den Erzieher brauchen die Professoren und Dok-
toren, die aus der Schule schwätzen. So war es
im Jahre 1911. Im Jahre 1916 hingegen beginnen
endlich die breiten Schichten der Bevölkerung das
zu turn, was Schüler tun: auf die schlechten Er-
zieher zu pfeifen.
Die faisehe Nutzanwendung
Herr Heinrich Wölfflin, der Münchener Kunst-
gelehrte, cs ist aber nicht so schlimm, hat „in
lichtvoller Weise zur Kunst unserer Tage Stellung
genommen." Die Werkstatt der Kunst und alle
Kunstgelehrte von München und Nachfolger blicken
auf. Ich muß leider etwas Schatten verteilen, da-
mit das Wölfflin-beliebte Helldunkel Rembrandts
in Erscheinung tritt. Die Herren Kunstgelehrten,
die von Kunst etwas helldunkel ahnen, machen
immer falsche Nutzanwendungen, wenn es sich
um Namen handelt. Mag es nun der sehr be-
rühmte Herr Wölfflin oder der halbberühmte Herr
Worringer oder der nichtberühmte Herr Deri sein.
Herr Wölfflin verkündet seinen Hörern: „Bild und
Wirklichkeit können nie ineinander aufgehen; die
Wirklichkeit ist immer etwas absolut Anderes als
jede Bildgestaltung. Oft kann mit völlig natur-
fremden Mitteln ein Eindruck hervorgerufen wer-
den, der als Wahrheit, als Wesen des Wirklichen
empfunden wird . . . Aber es ist ein Sonderfall,
daß die schöngestaltete menschliche Figur von
der Kunst aufgenommen wird, und diese Schön-
heit ist eigentlich etwas von stofflicher Art und nur
zum geringen Teil das Verdienst des Künstlers . . .
Auf den Gegenstand, der dargestellt ist, kommt
es wirklich nicht so viel an . . . Form und Farbe
können eine so bedeutende Anschauung zeigen,
daß der Beschauer auf ganz andere Gedanken
kommt, ohne daß er es merkt . . . Daß ein Künstler
fähig ist, ideale Empfindungen zu haben, nützt ihm
für seine Kunst gar nichts." Also die Lehre des
Expressionismus. Nutzanwendung des Herrn be-
rühmten Wölfflin: „Dem Artistentum von heute
gegenüber ist die Lehre der Kunstgeschichte gel-
tend zu machen, daß die wirklich großen Künstler
in allen Perioden doch Leute gewesen sind, die
mit völligem Bildungsinhalt ihrer Zeit gesättigt
waren." Woher weiß nun Herr Wölfflin, daß die
Künstler, die man Expressionisten nennt, nicht
auch soviel Bildung genossen haben, daß sie dar-
aufhin hungrig wurden. Nämlich nach Kunst.
Trotzdem sie alle sogar die Bücher des Herrn
Wölfflin gelesen haben. Also mit dem Bildungs-
inhalt ihrer Zeit übersättigt sind. „Die bloße
Atelierkunst, das Sektentum in der Kunst hat nie
eine lange Lebensdauer gehabt." Das stimmt
wieder nicht, denn die Rembrandt-Deutschen
malen und leben noch immer feste druff. Während
der berühmte Herr Wölfflin wenigstens so vor-
sichtig ist. überhaupt keinen Namen zu nennen,
erörtert der halbberühmte Herr Worringer die
Theorie des Expressionismus und wendet sie glatt
auf den Impressionismus an. Der unberühmte Herr
Deri versucht sich .auszureden. Das Schreiben ist
ihm zu gefährlich. Aber man kämm auch über
Reden schreiben.
Herr Deri über die Fu-
turisten 1912:
Ueber Russoio: Richtig
ist. daß zwei Anschauun-
gen miteinander kumuliert
werden ... Aber diese bei-
den Anschauungen .. sind
eben in unserer Erinne-
rung verbunden. Unsere
Vorstellungen besitzen
ohne weiteres die Mög-
lichkeit der Verbindung
von Erinnerungen ver-
schiedener Erlebnisse.
Herr Deri über die Fu-
turisten 1916:
Ueber Russoio: Hätte
z. B. Midie) Angeio ein
Biid gemalt, so hätte er
rein gefühlsmäßig den
vordersten Keil ais den
spitzesten den letzten als
den stumpfesten ge-
braucht. Dieser Futurist
aber geht von der ganz
kalten Berechnung aus,
daß beim Vorstoß die
Spitze allmählich stumpf
wird. Wieder ein deut-
liches Zeichen für den
rein verstandesgemäßen
Aufbau.
Es bleibt zu bedauern, daß Herr Deri nicht
sämtliche Bilder von Michelangelo neu malt. Er
hat sich ja bereits verpflichtet nach kurzem Mal-
unterricht Bilder von Sevcrini zustande zu brin-
gen. Was kann da bei etwas längerem Malunter-
richt nicht noch alles herauskommen. Denn noch
1912 gab das Bild Pan-Pan-Tanz in Monico für
Herrn Deri „den wirbelndsten, reichsten, lebendig-
sten Eindruck eines Tanzsaals." Wenn Herr Deri
das schon nach kurzem Malunterricht erreichen
kann, werden ihn nach längerem Malunterricht die
Herren Wölfflin und Worringer zu einem Künstler
ernennen dürfen, der mit dem Bildungshuhalt
unserer Zeit gesättigt ist. Für die späteren Ar-
beiten, schriftlichen Arbeiten des Herrn Deri sei
für die Zeiten seine Vortragsbemerkung aufge-
hoben, Kandinsky wäre ein ganz mittelmäßiger
Maler, dessen Bilder auf dem Mißverständnis be-
ruhen, musikalische Dinge zu malen. Das sei hier-
mit in die Welt posaunt, damit es Herrn' Deri nicht
etwa einfällt — nach abermals vier Jahren für
Kandinsky die große Pauke zu schlagen. So et-
was kommt nämlich bei ganz mittelmäßigen Kunst-
schriftstellern vor.
Die Heine Mode
..Künstler, die sich in den Dienst der Mode
stellen, definieren das Wort Mode. Das Snobisti-
sche sogar macht nur Vergnügen, wenn ein wenig
Tiefsinn, Theorie und graue Ernsthaftigkeit dabei
sind." Herr Karl Scheffier häit sich für einen
Künstler, da er sich in den Dienst der Mode stellt
und dem die Kunst nur Vergnügen macht, wenn
sein Tiefsinn, seine Theorie und seine graue Ernst-
haftigkeit dabei ist. „Das haben wir erlebt, ais
vor einem Jahrzehnt Maler und Architekten zu
Damenschneidern wurden, ais das Künstlerkleid
entstand, und wir erieben es heute wieder, wo
jene Kunst, die sich anspruchsvoll Expressionis-
mus und Kubismus nennt, ein zärtliches Liebes-
verhältnis zu dem mondänen kleinen Mädchen
„Mode" unterhält und wo dieser Liaison unter
Andern ein geistreicher Anwalt der Tat und des
Wortes in Otto Haas-Heye erstanden ist." Jene
Kunst, die sich anspruchsvoll Impressionismus
nennt, unterhält ein zärtliches Liebesverhält-
nis zu den mondänen kleinen Modellmädchen
und dieser Liaison ist unter Andern ein kunst-
armer Anwalt der Tat und des Wortes in Karl
Scheffier erstanden. Die Kunst, die Kunst ist
und anspruchslos Expressionismus und Kubis-
mus genannt wird, hat zur Mondänität und zur
Mode so wenig Beziehung, wie die Herren Haas-
Heye und Scheffier zur Kunst. Selbst wenn man
Rokoko und Biedermeier-Püppchen schlecht auf
gutem Papier zeichnet, ist damit die Berechtigung
der Künstlerschaft nicht nachgewiesen. Nun wo
sich Herr Scheffier als Künstler fühlt, ist ihm selbst
die Literatur grau. Sein Stii treibt Biüten, daß
der Fenilletonist vor Neid gelb wird. „Die Moden
der Frauenkleidung sind so sehr auf Wechsei und
Gegensätze gestellt, weil — schrecklich indiskret
es auszusprechen — die Erotik des Mannes stark
daran beteiligt ist." Was dieser Scheffier —
schrecklich indiskret es auszusprechen — für einen
Mut hat. Aber die Frauenkleidung wird ebenso
schiechte Erfahrungen mit der Beteiligung dieses
mutigen Mannes machen wie die Kunst. „In einem
Theaterstück Wedekinds sagt jemand, früher hät-
ten die Männer mehr den Oberkörper und die
Arme der Frau geliebt, jetzt liebten sie mehr die
Beine. Daß er Recht hat, lehrt ein Blick auf den
Wandel der Mode." Ein Blick auf die Beine
müßte eigentlich mehr lehren. „Einst wurden die
Büstenfabrikanten reich, jetzt sind es die Strumpf-
wirker und Schuhmacher." Dieser Tiefblick würde
höchstens zeigen können, daß heute Strümpfe und
Schuhe beliebter sind als künstliche Büsten. Die
Mode der künstlichen Beine ohne Strümpfe und
ohne Schuhe ist nur auf den Bildern der Impres-
sionisten zu finden. „Was kommen wird, ist noeb
unklar. Zur Zeit schwankt die Mode ungewiß."
Viel Raum bleibt der Mode nicht mehr übrig, aber
wie Scheffier sagt, Genaues weiß man nicht. „Die
Alänner, die die Forderung diktieren, sind jetzt im
Kriege. Mit weicher Art von fordernder Phantasie
werden sie zurückkehren? Das ist die Schicksals-
frage für manchen Fabrikanten." Die Fabrikanten
werden schon die neueste Mode aus Paris mit-
bringen, daran wird das Schicksal des Herrn
Scheffier nichts ändern. Ueberhanpt sollte man-
cher Kunstschriftsteller schon längst gemerkt ha-
ben, daß es immer anders kommt, als er es nicht
giaubt. Die Männer, die die Forderungen diktieren,
sind stets im Kriege. „Vor dem Kriege war die
Mode reichlich provoziert. Offenbar, weit —
schrecklich indiskret es auszusprechen — die Ero-
tik des Mannes stark daran beteiligt war: sie war
es, weii die blasiert und die etwas impotent gewor-
dene AJänniichkeit gereizt werden sohte." DieMode
war unnatürlich, weil der brave Herr Scheffier
so natürlich ist: „Je natürlicher, frischer und aus-
giebiger nun aber die männhehe Zärtlichkeit für
die Frau aus dem Kriege hervorgeht, desto
weniger braucht sie raffinierte Reizmitte!." Diese
ausgiebige männliche Zärtiichkeit wirkt mehr ge-
reizt als reizvoll. „Die Entscheidung darüber geht
nicht von Fabrikanten und Künstlern aus, nicht
einmal von der Frau; sie hängt mit erotischen
Phantasien der Männer zusammen. Das auszu-
sprechen ist woh] unschicklich; aber die Natur des
Menschen ist nun einmal höchst unschicklich ein-
gerichtet." Das auszusprechen ist ja wohl, —
schrecklich indiskret es auszusprechen — un-
schicklich; aber die Natur des Naturaiisten ist nun
einmai höchst indiskret eingerichtet. Die Natur
hat es aber höchst schicklich eingerichtet, daß sie
ohne die erotische Phantasie der Naturaiisten aus-
kommt. Wenn die Herren erst ausgiebig zärtiieh
werden, darf die Frau in Sack und Stulpen gehen.
Herwarth Waiden
Gedichte
Peter Baum
Gefallen am 5. Jun! 19t6
Aus dem Nachiaß
I
Die Müdigkeit muß Süße offenbaren
ln hohen Lüften Her- und Widerfahren.
Wie Mädchenscheine lugt es aus den Zügen;
Sie töten uns mit klirrendem Vergnügen.
Und immer Tausende Maschinen piatzen.
Ein Durcheinanderspeien zarter Fratzen,
hn jüngsten Sturm entzünden S'ch die Axen.
Hände und Küsse zu uns niederwachsen.
Mein Kopf treibt mit Walküren Faxen.
39