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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Siebentes Heft (Oktober 1916)
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Alker, Rudolf: Legende vom Prinzen und der Tänzerin
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Mehring, Walter: Die Entdeckung des Herrn K. F.
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0089

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Seine Hand war mit Schiangenringen
bewaffnet.
Die Tänzerin aber iehnte an papierner Brücke und
dachte über das Lärmen der Menge.
Da hob sie wie im Lampenlichte ihre
bewimperten Augen
Und sah den Prinzen.
Und es war ihr als wär er aus Äonen schon ihr
Bruder.
Ais woiit er ihr die Hände reichen.
Der Prinz aber sah den Flitterkranz um ihre
Rundschenkel
Und war sehr huldreich und voll vornehmer
Zärtlichkeit.
Das Mädchen aber freute sich seiner
Prinzenheit
Und ließ ihn gewähren wie einen großen Bruder.
Einst zog er ihr ein Hemdchen über die kleine
Brust.
Und Flügelkleider kamen um ihren Flitterkranz
Und Schnallenschuh, in denen sie ungeschickte
Schritte machte.
Damals aber bekam der Prinz wie fremde
Augen.
Und mußte viel verreisen.
Das Kind trug die verschlungnen Kleider
und ging wie andere.
Sie fühlte sich jetzt immer neu und zu ihm
wie verschwestert.
Nur wenn sie ihre Wimperaugen aufrichtete
sah man Umstrahltes.
Das erregte Staunen.
Als er kam flog sie ihm entgegen
auf Tanzspitzen im Wirbelkleid.
Er hatte ein bronzenes Antlitz mit kurzem
Scheitel.
Und seine Augen waren seltsam etwas starr
auf sie gerichtet.
Der Mund in dunklem Fragen wie geöffnet.
Da wirbelt tanzend Licht um ihn.
Ein warmer Atem schlang zwei Arme ihm
um seinen Hals
Und ihre Brust lag ihm, ihr Knie, an seinem
Schoß.
Und ein Paar Lippen schlossen ihm den Mund
mit Küssen.
Er machte spät sich los.
Er sah nach vorn mit dem gewinnendsten
Augenlächeln.
Und wandt sich kurz zu ihr und nahm sie
mit sich an die Hand.
So viele Jahre dauerte die Reise.
Die letzte Straße war voll Wagen die im
Regennassen standen.
Das Tänzemädchen seines Arms sah alles das
mit ihren Augen, wie erfühlend.
Sie fror zuweilen und ihr war als ging an
ihrer Stelle eine andre.
Und doch war sie es mit den Tanzessprudelfüssen
und den Strahlenwimpern.
Und doch war es ihr großer Bruder neben ihr.
Der Prinz der Erde und die Tänzerin der
Kindheit.
In hellen Räumen saß er gegenüber ihrem Sessel.
Sie duckte sich in Sessellehnenseiten.
Mit jungem Körper kauernd.
Und war nach unten rings ihr Flatterkleid herum
gebreitet.

Zum Spaß so unabsichtlich groß um eine
Jugend
Er sprechend redete durch klaren Raum.
Entscheidung dieser Stunde.
Zu meiner Flügelschwester oder Buhlerin.
In starre Pausen kamen Stammelworte seiner
kauernden Umkränzten.
Ich möchte deine Liebe. Du mein Bruder.
Es sank ihr halbverschattet Tränenblick zu ihm.
Er stand gewiegter Haltung träumerisch im
Spiegelsaal.
Und wie erfüllt von andrem fiel ihr Blick zu ihren
Kleiderfüssen,, Tanzesfüssen.
Und er verwarf das Goldbesetzte.
Und stand gestickter Hemdenbluse wie ein Turner.
Und trug sie wiegend zu dem Lager.
Und lehnt sich zu der Tänzerin des Flitterkranzes
und der Strahlenaugen.
Es war Musik aus vielen Lichterspiegeln.
Sie küßte ihn aufs Haar als er ihr Knie berührte.
Es flüsterte aus Schmerzen noch von Bluteslippen.
Du Liebster. Du mein Bruder.
Und Gottesstille kam zu ihr.
Sie schritten traumverschlungen durch die
Räume.
Des Prinzen Kleid ward schimmernder und
schimmernder
und ganz in Silber.
Er führte sie ans Fenster.
Schlug den Vorhang seitwärts.
Starre, aufgerissne Augen.
Dort in der leeren Straße
Sah man einen Berittenen halten, der heraufsah.
Der Vorhang schlug ihr vors Gesicht.
Nachtfinsternis vor ihr im Raume.
Nur seine Augen waren noch zu sehn, die
glühend sich bewegten.
Da fühlte sie sich einsam vor dem Schicksal
Mit dieses Prinzenmannes Tigeraugen.
Es war ein Fremdes das dort glühend sie
bedrohte.
Sein Arm faßt tastend ihre Schultern.
Und seine Hand nach schwachen Knien.
Und hob sie mit den Faltenkleidern.
Sie wollte lachen, und sah Sterne fliegen.
Sie wollte schrein, und fiel in wirres Kissenlager,
wehrte sich.
Der Rock verfiel. Mit Hand und Knien.
Zerschriene Ohnmacht.
Lichternacht der Spiegelsäle.
Da sah sie ihren Haßgeliebten stehn
Und höhnisch Lächeln spielte noch in seinen
Augen.
Ein Mann, der sie hat schänden wollen.
Und die Gestalt des Prinzenlüstiings schwankt
wird bläulich, fern den Augen.
Ein Poltern. Schweres Klirrn und Stampfen
Huftritt hohler Stiegen.
In schwerer Rüstung über Treppen in
den Saal.
Der Lüstling faßt sich, sieht gleichgültig seinem
Eingang.
Sie, Flitterkranzes,, nackt, verschlungner
Beine auf dem Lager
Abwehrend Hände, fliehend Haar von gläsern
Augen nach der Tür.
Ein irres Schrein
Die Glastürn fliegen

Auflastend Pferde haltend in dem Saale der
Berittene von unten.
Und öffnet das Visier:
Der Prinz.
Und Donner. Rauch erfüllt den
Bildersaal im Schwinden.
Jahre.
Es war die Tänzerin im Reiche Gottes.
Sprudelfüssige.
Sie lehnte an papierner Brücke
und dachte über Sinn und Lärm der
Menge.
Da hob sie wie im Lampenlichte
ihre Wimperaugen.
Und sah den Prinzen.
Und ihr war als wär er seit Äonen schon ihr
Bruder.
Als wollt er ihr die Hände reichen.

Die Entdeckung des
Herrn K. F.
„. . . daß die Zeitschrift „Der Sturm" den Dich-
ter entdeckt und gefördert habe."
Herr K. F., um sich den Ruhm für alle Zeiten
zu sichern, entdeckte den Lieblingsdichter
August Stramm.
Weil ich begriff, den er nicht verstand, ist
August Stramm mein Lieblingsdichter. Weil das
einzige, was er verstand, die Lebensdaten August
Stramms waren, und alle Lieblingsdichter Lebens-
daten haben, begriff er, daß August Stramm ein
Lieblingsdichter sein könne.
Und das weiß Herr K- F. schon von der Schule,
seine Lieblingsdichter trägt man gut vor.
Herr K- F. kennt auch alle Lieblingsdichter von
der Schule . . . August Stramm ist nicht darunter.
Herr K- F. kennt auch alle Lieblingsdramen von
der Schule . . . August Stramm kennt er nicht.
Herr K. F. fühlt sich fremd.
Aber eines erkannte Herr K. F. gleich wieder
— von der Schule her — das waren die Fürwörter
(Pronomina). Und weil er nichts erkannte, hielt
er sich wenigstens an diese Bekannten. Aber er
fand sie zu aufdringlich. Darum wurde er auch
hier nicht heimisch.
Er fand, daß sich die Personen mit Fürwör-
tern (Pronominibus) bewarfen, aber sie flogen
ihm an den Kopf.
Herr K. F. war ärgerlich.
Er wußte gar nicht, worum es sich handelte.
Er begriff überhaupt nicht die Handlung.
Er begriff nur, daß ein Held die Erde zerstört.
Und fand das sehr wenig. Und außerdem handelt
es sich in dem Drama Geschehen gar nicht darum.
Und die Wörter flogen ihm immerzu an den
Kopf.
So daß Herr K. F. überhaupt nichts mehr den-
ken konnte. Er konnte sich nicht einmal das
Drama besser vorgetragen denken.
Herr K- F., gewohnt mit feinem Lächeln zuzu-
hören, fühlte sich plötzlich von Worten umwirbelt.
Herr K. F. fühlte sich selbst herumgewirbelt.
Er bestritt. Er wäre als Kritiker mit friedlichen
Absichten gekommen.
Und die Worte flogen ihm immerzu an den
Kopf.
Herr K- F. verfaßte eine Beschwerdeschrift
für das B. T. gegen den Lieblingsdichter August
Stramm.
Walter Mehring

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