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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Zwölftes Heft (März 1917)
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Walden, Herwarth: Weib, [2]: Komitragödie
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0140

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Weib
Komitragödie
Herwarth W&tden
Fortsetzung
Meines KaNeehaus
Die Freundin:
Setzen Sie sich doch rum. Die Sonne scheint
Ihnen ins Gesicht.
Der Herr der Tagespresse:
Ich habe ganz anderen Damen ins Gesicht ge-
sehen,
Die Freundin:
Aiso furchtbar mußte ich lachen. Er sagte ganz
einfach, ich habe den Rock gestohlen. Und
daun setzte sich meine Freundin aufs Geländer.
Der Herr der Tagespresse:
Fs wird ein Romantiker gewesen sein.
Die Freundin:
Es war ein Professor.
Der Herr der Tagespresse:
Warum setzte sich Ihre Freundin aufs Geländer?
Daraus könnte man etwas machen.
Die Kleine auf der Straße singt:
Mariechen saß auf einem Stein
Einem Stein,
Einem Stein.
Die Freundin gleichzeitig:
Sie macht sich gar nichts daraus.
Mädel:
Gut, daß ich Dich treffe. Ich mache mir gar-
nichts daraus. Da sind Sie ja. Schon alles
gedruckt?
Der Herr der Tagespresse:
Trinken wir jetzt den Sherry, meine Gnädigste.
Die Freundin:
Ihr kennt euch?
Der Herr der Tagespresse:
Es ist mein Beruf, Berühmtheiten zu kennen.
Diese beispieilosen Erfolge in New York
Die Freundin:
Hast Du schon neues Engagement?
Mädel:
Also ich bin unschuldig. August hat die Serviette
zurückgenommen.
Die Freundin:
Welche Serviette?
MädeP
Dabei hab ich sie zu Hause. August ist eini
Kavalier.
Der Herr der Tagespresse:
Etwas anderes ist von Ihrem Herrn Bräutigam
nicht zu erwarten.
Die Freundin:
Welcher Bräutigam, Friedei?
Der Herr der Tagespresse:
Sehr fein. Künstlerinnen sind Schmetterlinge.
Ich stehe gern zur Verfügung. Zum Nippen.
Ganz unter uns.
MädeP
Sie bringen es in die Zeitung.
Die Freundin:
Auch ein Vergnügen, geneppt zu werden. Ich
bin solide. Feste Preise und kulante Bedienung.
Die Kleine auf der Straße singt:
Mariechen, warum weinest Du,
Weinest Du,
Weinest Du
MädeP
Heute söhne ich mich mit der Alten wieder aus
und geh zum sanften Heinrich.
Der Herr der Tagespresse:
Woher wissen Sie meinen Vornamen? Ich kann
kolossal sanft sein.
Mädel:
Der steht doch in der Zeitung.

Der Herr der Tagespresse:
Ich schmeichle mir, ein Troubadour der schönen
Frauen zu sein.
Die Freundin:
Sie waren also der sanfte Heinrich. Sie sind
doch ganz sympatisch.
Der Herr der Tagespresse:
Ich schmeichle mir, von schönen Frauen ge-
schätzt zu werden.
Der Zeichner der Tagespresse:
Guten Tag, Kollege. Eine interessante Gruppe.
MädeP
Mein Freund mit der Samtjoppe. Sind die Kom-
merzienräte fertig? Komm ich jetzt dran?
Die Freundin:
Du hast ja einen ganz neuen Betrieb.
MädeP
Der kennt mich aus Neu York.
Der Zeichner der Tagespresse:
Ich habe das Archiv durchgesehen. Wir haben
zwei Kollegen entlassen, meine Gnädigste, weil
sich nicht einmal ein Photo von Ihnen dort be-
fand.
Der Herr der Tagespresse:
Sehen Sie, Kollege. Durchgreifen, das sage ich
immer. Ich schmeichle mir, daß in meinem Res-
sort so etwas nicht vorkommt. Alle Notizen habe
ich bei der Hand, die begeisterten Aeußerungen
der dortigen Kollegen
Die Freundin:
Nimm mich doch heute abend dahin mit, Friedei.
Ich verhalte mich ganz reserviert.
Der Zeichner der Tagespreise:
Wollen Sie bitte einen Moment so ganz still
sitzen. Ganz ungeniert. Bitte nicht den Arm zu
bewegen. Das stört meine Linie.
MädeP
Dann machen Sie den Strich andersrum. Ich
bin gerade eine halbe Stunde wieder frei.
Der Zeichner der Tagespresse:
Aber meine Gnädigste, schon der große Goethe
sagte, daß sich in der Beschränkung erst der
Meister zeigt. Sie müssen sich in Ihrer Bewe-
gungsfreiheit etwas beschränken lassen.
Die Freundin:
Goethe hat schöne Gedichte gemacht. Jeden Tag
lese ich eins auf meinem Abreißkalender.
Die Kleine auf der Straße singt:
Ich weine, weil ich sterben muß,
Sterben muß,
Sterben muß.
Mädel gleichzeitig:
„Das ist von Goethe nicht,
Von Schiller kein Gedicht"
Weiter kenne ich nichts von ihm.
Der Herr der Tagespresse:
Wie Sie diese Naivität kleidet, gnädiges Fräulein.
MädeP
Wie gehts dem toten Kleberich?
Der Zeichner der Tagespresse:
Bitte den Arm nicht bewegen!
Der Herr der Tagespresse:
Ausgezeichnet! Die Kunst spielt mit der Wissen-
schaft.
Der Zeichner der Tagespresse:
Ausgezeichnet! Notieren Sie den Splitter für die
Sonntagsausgabe.
Der Herr der Tagespresse:
Wenn ich mich nicht so zersplittern müßte, Kol-
lege. Was alles in mir steckt.
Mädel:
Ziehen Sie sich denn die Splitter nie heraus?
Der Herr der Tagespresse:
Ausgezeichnet! Schicken Sie dieses Wortspiel an
unsere humoristische Ecke. Wir können zwar
nicht viel honorieren

Der Zeichner der Tagespresse:
Fertig! Ich muß in die IHustrationszentrale.
Der Herr der Tagespresse:
Teufel, fünf Uhr. Der Setzer wartet. Fräulein
Schmetterling, ich- schmeichle mir, Sie recht bald
treffen zu dürfen..
MädeP
Heute Abend um zwölf
Der Zeichner der Tagespresse:
Ja, Kollege. So ein Junggeselle. Die ganze
Kunst geht mit der Ehe flöten.
Die Freundin:
Sie müssen Ihrem Frauchen die Flötentöne bei-
bringen. Sagen Sie doch einfach, Sie müssen
zeichnen.
Der Zeichner der JTagespresse:
Wenn es nicht Gotteslästerung wäre, möchte ich
sagen, Goethe hat sich mit der Beschränkung
geirrt.
Die Freundin:
Was haben Sie sich nur nach dem Abreißdichter
zu riehen. Lassen Sie Ihr Frauchen bei Goethe
und kommen Sie heute Abend um zwölf Uhr her.
Die beiden Herren empfehlen sich erwartungsvoll.
Die Freundin:
Das ist keine Freundschaft.
Mädel:
Jeder für mich.
Die Freundin:
Du machst nebenbei Geschäfte.
Mädel:
Und gestern, wo Du fortgelaufen bist?
Die Kleine auf der Straße singt:
Mariechen saß auf einem Stein,
Einem Stein,
Einem Stein.
Die Freundin:
Sage mir wenigstens, wo das neue Lokal liegt.
MädeP
Das Kind singt traurig.
Die Freundin:
Wo ist Neu York?
Mädel:
Auf dem Monde, Gans.
'Die Freundin:
Also Dir werde ich das Geschäft versauen. Mahl-
zeit.
Die Kleine auf der Straße singt
Mariechen, warum weinest Du,
Weinest Du,
Weinest Du
D,ie Freundin vor der Tür:
Plärre nicht so, Gans.
Die Kleine auf der Straße singt:
Ich weine, weil ich sterben muß,
Sterben muß.
Mädel:
Ich will nie sterben!
Die Kleine auf der Straße singt:
Sterben muß.
Der Gehilfe:
Endlich! Ich suche Sie überall.
Mädel:
Ach, Sie hübscher junger Mann. Ich bin überall
zu finden.
Der Gehilfe:
Der Herr Professor sucht Sie überall. Ganz
ergraut ist er.
Mädel:
Dann soll er sich den Vollbart abnehmen lassen.
Der Gehilfe:
Sie sind schrecklich. Und wenn es nicht mein
verehrter Meister wäre, ich möchte mich zu
Ihren Füßen werfen.

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