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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Siebentes Heft (Oktober 1916)
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Walden, Herwarth: Heiteres
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0080

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Heiteres
Verzweiflung der Gesunden
Ais gesund bezeichnen sich die Schriftsteller,
Maier, Professoren und Journalisten, die Gedach-
' tes über Kunst nochmals bedenken. Sie werden
von Tag zu Tag bedenklicher, trotzdem das der
Gesundheit schadet und trotzdem das beste Den-
ken höchstens zur Kunst verführt. Aber Verführer
sind keine Führer und Führer keine Künstler. Zu-
weilen sind Künstler Führer. Sie sind es immer,
wenn man Künstler nennt, wer Künstler ist. Die
Denker stützen den Kopf in beide Hände und die
Gehirne beulen sich. Der Lesestoff bedeckt ihre
Augen und die Leseblüten hängen ihnen aus dem
Mund heraus. Ihre Sicherheit ist nur durch Papier
gedeckt. Sie machen Anleihen auf Anleihen, diese
Denker, und verschreiben sich in eine immer größere
Schuld. Ihr Schreiben ist ein Versagen und ihr
^agen ein Verschreiben. Der gesunde Menschen-
verstand ist altersschwach zu Buch gekommen.
Die Denker verstehen und verdrehen alles. Wenn
sie die Kunst umwirft, verstehen sie sich zur
Verstellung. Sie verzweifeln an dem Zweifel. Sie
verlieren die Lust am Leben, weil ihnen das Leben
zu lustig ist. Sie verästeln sich in das Feuilleton,
weil ihnen die Blätter auf die Nase fallen. Sie
verschreiben viele Seiten, weil sie nicht eine Seite
schreiben können. Sie sind versunken, weil sie
nicht sinken können. Sie verirren sich, weil sie
nicht irren können. Sie verachten, weil sie nicht
achten können. Die Gesundheit bringt zehn Pfen-
nig die Zeile, weil sie keinen Markwert hat. Diese
Gesundheitsverwertungsgesellschaft ist eine Frie-
densgründung. Der bekannte Friedensengel hat
zwei Pausbacken und diese Gesellschaft einen
Wasserkopf. Sie verliert nie das Bewußtsein, weil
sie unbewußt überhaupt nicht lebt. Ihr ist der
Rede Sinn dunkel, weil ihr Sinn die Rede ist.
Und so wird platt hochdeutsch geredet.
Die Zeitungskritik besitzt jetzt zwei F. St. Der
Berliner St drückt sich über den Impressionismus
aus, während der Frankfurter St sich in den Ex-
pressionismus hineindrückt. Der Stahl des Ber-
liner Tageblatts wird in der Frankfurter Zeitung
flüssig gemacht und ergießt sich von Menzel bis
Chagall. Ich setze einige Sätze auseinander und
man wird das Naturwunder erleben, daß das Wun-
der der Natur sie zu Tageblatt-Stahl macht. Trotz-
dem, es handelt sich um zwei verschiedene Den-
ker, um zwei Persönlichkeiten, denen nur ein St
gemeinsam ist. „Ich versuche die Eindrücke der
letzten Ausstellungen zusammenzustellen und da
ergibt sich unvermutet, daß wir die Entwickelung
der neuen Malerei von Menzel bis Muche und
Chagall durchlebt haben." Herr St meint, daß er
die Ausdrücke seiner letzten Einstellungen zusam-
menzufassen versucht, und daß er sich unvermutet
ergibt, ohne die Entwicklung durchlebt zu haben.
Es gehört schon viel gesunde Kraft dazu, eine Ent-
wicklung zu durchleben. Herr St aus Frankfurt
kann nicht sehen, nur übersehen: „In der Sommer-
ausstellung von Paul Cassirer übersieht man den
Impressionismus von seinem Ahnen wider Willen
Menzel bis zu dem Expressionisten Heckei, in der
Ausstellung des Sturms den ganzen Expressionis-
mus, Kubismus und Futurismus von seinen unwill-
kürlichen Urhebern Gauguin und van Gogh bis zu
den Neuesten", das alles hat er übersehen, auch
daß Menzel kein Impressionist und Hecke! kein
Expressionist ist, „bis zu den Neuesten, bei denen
die Malerei die Gegenstände, die sie bisher be-
nutzte, um etwas auszudrücken, aufgegeben hat."
Die benutzten Gegenstände der Malerei w-erden
ausgewaschen, sind gebrauchte Sachen wie neu.
Es ist zwar noch nichts ausgedrückt, wenn ein

Pinsel ausgedrückt wird. Urheber sind immer un-
willkürlich, wenn man die Namen auch willkürlich
benutzen kann. „Gerade weil im Katalog der Cas-
sirerschen Ausstellung kein großer Maler des Im-
pressionismus fehlt, enttäuscht die Besichtigung.
Die Werke sind nicht so glänzend wie die meisten
Namen." Das geht Kunstkritikern immer so. Im
Katalog sind alle Maler groß, wenn die Herren
aber einmal auf die Wände sehen, was sie den
Bildern meistens schenken, sehen sie sich glänzend
enttäuscht, weil sie statt Namen nur Nummern
sehen. Die große Nummer ist ihnen nur der große
Name. Und der Name ist groß, wenn er fortge-
setzt von Berlin bis Frankfurt hin und her-ge-st-
tet wird. Herr St aus Frankfurt sieht zum ersten
Mal auf, sieht zum ersten Mal Manet und be-
greift: „Noch nie habe ich so wie vor seinem
Gartenstück Manets Verwandschaft mit Cezanne
in der seelischen Monumentalität und die techni-
sche Consequenz des Expressionismus aus dem
Impressionismus herausbegriffen, wie dieses Mal."
Einmal ist kein Mal, aber in der Verwandtschaft
lassen sich alle Gefühle verbergen. Und auch Ce-
zanne wird begriffen, wenn er aus der Verwandt-
schaft stammt. Es kommt noch süßer: „In zwei
ausgestellten Stücken ist Renoir süß und köstlich,
wie es nur dieser verspätete Rokokomaler sein
kann." Beinahe hätte er den Anschluß an das
Rokoko versäumt und ohne die Verwandtschaft
wäre er nicht begriffen worden. Herr St wendet
seinen Blick nunmehr vom Katolog und von den
Wänden in das Leben: „Zwei Mädchen sitzen über
einem Skizzenbuch und siehe, es sind Renoirsche
Frauen, in der Jugend schon erfaßt, wie immer
bei Renoir eine Phantasie in Rosa, auch wenn gar
kein Rosa verwendet ist." Nachdem Herr St sich
siehe zum Sehen ermuntert hat, sieht er zwei Mäd-
chen sitzen, die sich wie Renoir selbst verspätet
haben, trotzdem sie schon in der Jugend erfaßt
sind, und bisher benutzte Gegenstände der Malerei
waren. Die Mädchen sind Kollegen von Renoir,
was man siehe dadurch sieht, daß sie über einem
Skizzenbuch sitzen. Es wäre noch durch die im-
pressionistische Psychologie bei diesen Gegen-
ständen festzustellen, daß sie wohlhabend sind, in
rosa, die große Mode, gekleidet. Herr St sieht
aber noch tiefer: „Ein Schimmer von fleischlichem
Hauche entkleidet die Mädchen." Das sollte in
einem Salon nicht Vorkommen. Herr St kann sich
nicht mehr beherrschen: „Bald werden sich die
Arme dehnen, die Körper entwickeln, die Hüllen
fallen und Renoirs üppig schimmernde Frauen
werden vor uns liegen." Da werden die Herren
Kunstkritiker Augen machen. Aber die Körper ent-
wickeln sich nicht so schnell wie sich die Ent-
wicklung durchlebt. Siehe, die zwei Mädchen
sitzen immer noch über einem Skizzenbuch und
haben infolgedessen nicht die Gelegenheit auch
nur einen Schimmer vom fleischlichen Hauch zu
sehen. Nur der Herr St kommt gar nicht ßus
seiner Fleischverträumtheit heraus: „Noch duf-
tiger als die Blumen ist vielleicht die Vase, denn
es ist zu schön, wie Renoir ein Stück Porzellan
verfleischlicht gemalt hat, als ob es ein Akt wäre."
Bald wird sich die Vase dehnen, die Hüllen fallen,
Renoirs üppig schimmernde Vase wird zerbrochen
vor uns liegen. Kann man bei solchen Erlebnissen
einem Kunstkritiker übel nehmen, wenn er sich
versieht. Man kann nicht alle Verwandten kennen.
Cezanne und Heckei sehen sich zum Verwechseln
ähnlich und Manet ist falsch verwandt worden:
„Die neue Malerei hält sich an Uezanpe .von
dem in dieser Ausstellung nichts zu
sehen ist, als ein Teich von Erich
Heckei". Der Teich von Heckei ist recht klein
und jedenfalls nicht groß genug, daß Cezanne hin-

einfallen kann. Da hat höchstens Herr St Platz.
Was den Franzosen recht ist, ist den Deutschen
billig: „Der deutsche ursprüngliche Impressionis-
mus wird von Menzel, Liebermann, Corinth, Sle-
vogt und Trübner vertreten." Zwar ergibt sich für
Herrn St unvermutet, daß Menzel ein Ahne wider
Willen ist. Aber der Ursprung ist immer wider-
willig. Nur wird er willig wieder immer falsch,
siehe, gesehen. „Der Garten des Justizministe-
riums von Menzel ist das Juwel der Ausstellung."
Dieses Juwel von Garten hat natürlich eine Anlage:
„Es ist ein Bild aus Menzels bester Zeit, in der
er alle Anlage hatte, den Impressionismus zu er-
finden und zu seiner Vollendung zu führen." Die
Anlage wird dem Schutz des Publikums und der
Kunstkritik empfohlen: „Leider war aber sein
Wissen nicht so frei, wie sein unbewußtes Genie,
ein Tragödie, die Karl Scheffler in seinem Menzel,
Bruno Cassirer-Verlag, sehr gut dargestellt hat."
Herr St verirrt sich immer mehr in der Anlage.
Ja, wenn der Menzel das freie Wissen, des Herrn
St zum Beispiel gehabt hätte, so hätte er glatt den
ganzen Impressionismus erfunden und ihn mit
einer vollendeten Verbeugung zu seiner Vollen-
dung geführt. Menzel hatte es nicht. Was
wiederum ein Glück für Karl Scheffler ist, der sonst
in seinem Menzel, Bruno Cassirer-Verlag, keine
Tragödie hätte sehr gut darstellen können. Was
wiederum für Bruno Cassirer-Verlag teine Tra-
gödie gewesen wäre, der das unbewußte Genie
Karl Schefflers bis zur Vollendung belegt hat, der
wiederum frei vom Wissen ist. Aber, zum Glück,
es ist ja alles anders gekommen: „Aber hier ist
einmal ein Stück Natur ganz malerisch erfaßt, und
durch keine Zutat verdorben. Himmel und Erde
werden durch einen Goldton von Luft verschmol-
zen." Der Goldton hört sich sehr nach Zutat an.
Kurz und gut: „Es ist eine schwebend-geniale Ma-
lerei, wer weiß wie! von Menzel verachtet." Siehe,
Herr St schwebt, wer weiß wie, zwischen Himmel
und Erde. Nur ein Goldton verschmilzt ihn in die
Luft: „Nichts ist erzählt und durch einen äußeren
Effekt verdorben, wie selbst der Blick auf die
Spree im Mondschein, ein technisches Meister-
stück, das daneben hängt." Ja, der Herr St hat
eben seinen Biick und wenn die benutzten Gegen-
stände dunkel werden, leuchtet sein Auge fleisch-
lich auf: „Menzel hat Blau im Schwarz gemalt und
durch mattleuchtende Farben die Nacht genau in
ihrer Undurchsichtigkeit durchsichtig gemacht."
Herr St sieht durch Nacht zum Licht: „Nur mit
den Lichtern in den Fenstern kann ich mich nicht
befreunden, da sie von dem Punkte aus, von dem
das Bild gesehen ist, nicht bemerkt werden kön-
nen." Ja, Freund Menzel, die Lichter können von
dem Punkt nicht bemerkt werden. Vielleicht ist
aber Herr St auch bei der Betrachtung der Maler-
mädchen auf einen falschen Standpunkt getreten.
Wie kann man auch ein Bild von einem Punkt aus
malen, den der Freund gesetzt hat. Außerdem,
wenn die Nacht schon duchsichtig ist, scheint es
eine Verschwendung, Lichter in die Fenster zu
stellen. Diese Gegenstände durften nicht benutzt
werden. Herr St ist nämlich neben den Punkt
getreten, von dem Menzel das Bild gesehen hat.
Und erklärt (die Lichter auslöschend): „Sie sind
nachträglich eingesetzt, sie sind Wille und nicht
Vision." Hierfür gibt allerdings der Tragödie Karl
Scheffler die Erklärung, sehr gut, daß die Vision
Menzels nicht so frei war. Und während Herr
St dem Menzel nur auf den Punkt tritt, tritt er
Herrn Liebermann direkt auf die große Zeh:
„Etwas Aehnliches ist erstaunlicherweise der Fall
in der Judengasse in Amsterdam, durch die Lieber-
mann schon 1905 mit einigen anderen Stücken
verwandt ist." Herr St sieht scharf auf die Vision,

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