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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Erstes Heft (April1916)
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Essig, Hermann: Der schöne Beck
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Runge, Wilhelm: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0012

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Krankenhaus, das kernen Erfolg verbürgte, zu ver-
fassen. Aber er beherrschte sich noch einmal und
blieb regungslos hegen. Doch eine gewisse ieise
Zuckung seines Mundes und ein bischen Farbe der
Wangen war dem geübten Auge des Arztes nicht
entgangen.
Da man allmählich längst erkannt hatte, worauf
das Krankenspid hinauslief, verschwor man sich
nunmehr mit der Braut. Man woiite sehen, ob die
Krankheit eine Besserung zum Guten nahm, wenn
sie sich nicht mehr nach dem Herrn Bräutigam
erkundigte.
Zwar am Tage nach der Entlarvung delirierte
Beck wieder etwas, doch nur, indem er ein, zwei
Worte lallte. Der Medizinairat äußerte leise:
.Meine Herren, der Fall scheint doch nicht ohne
Bedenken/ Die Assistenz meinte, es wäre wich-
tig, endlich ein abschließendes Urteil zu bekom-
men, denn die Braut des Kranken habe nachdrück-
lich schon in der Frühe vorgesprochen, ,sie müsse
nun endlich wissen, ob er je wieder gesund würde,
sie könne' — er setzte es ganz leise hinzu — .nicht
ewig auf einen hoffnungslosen Menschen warten.'
Beck, als er es hörte, hämmerten die Puise,
endlich sollte wirklich die Befreiung kommen?
Dann war es der Segen seiner Hartnäckigkeit im
Simulieren.
Der Medizinalrat trat, durch den Bericht seines
Assistenzarztes offenbar bestimmt, näher an das
Bett und fühlte den Puls: .Sehr frequent und
Deliriumerscheinungen äußerst bedenklich.' Damit
verließ er den Kranken.
Für Beck schien eine neue Sonne aufzugehen.
-Als sie draußen waren, richtete er sich auf und
lachte in seinen Taschenspiegel neue verliebte
Faungesichter für Weiber, Weiber, andere ais
Elena.
Und wirklich schon am Nachmittag hatte sich
Elena nicht mehr nach ihm erkundigt.
Nun fragte es sich, sollte er sehr rasch gesund
werden oder noch eine Weile Delirium mimen.
Um die Meinung vor den Aerzten nicht zu ver-
lieren, entschied er sich für das letzte. Er war
in der Not seiner knappen Phantasie allmählich
auf die Idee verfallen, nicht mehr von Elefanten-
abenteuern zu delirieren, sondern lieber die näch-
ste Umgebung des Zimmers nacheinander in ab-
sonderliche Betrachtung zu ziehen.
Er erfand damit reizende Dinge, und er freute
sich der Wirkung auf die Aerzte. Namentlich ein
großer Globus, der im Zimmer stand und seine
liebe teure Mutter Erde darstelite, gab ihm eine
Menge Gelegenheit zu astrologischen Viechereien.
Der Medizinalrat zeigte ein ganz besonderes
Interesse für diese neue Epoche. Er iieß deshalb
den Globus herausnehmen. Ueber das Fehlen des
Globus delirierte dann Beck in der genialen Ab-
straktion : ,lch sehe den Mond nicht.'
Der Medizinalrat schmunzelte und dachte:
,Warte, ein zweites Mai werde ich dich entlarven,
aber so, daß du mir nicht entrinnen kannst.'
Er iieß vom Assistenzarzt die Erdkugel um-
drehen, so daß der Südpol oben war und der
Nordpol unten, sodann den Globus in seiner Ver-
kehrtheit dem Kranken wieder ins Zimmer zurück-
steilen.
Zur Visite ging er diesmal mit ganz besonderer
Stimmung, ließ sich natürlich äußerlich nichts an-
merken.
Und es war prachtvoll, dieses Delirium! Eino
vollständige abgerundete Sinfonie. Herr Beck
sprach: ,Butterstuilen, Erde dreht sich verkehrt
um die Sonne, pr Mauseschwänzchen.'
Dann war er stili.
Der Medizinairat wiederholte laut: .Butter-
stullen,' noch lauter, ,die Erde dreht sich verkehrt
um die Sonne,' .Herr Doktor, geben Sie einmal
den Globus her! heda, Herr Beck, wollen Sie den

Schwinde! nicht eingestehen? der Globus ist aller-
dings verkehrt aufgesteckt.'
Ein Piesengelächter. Die ganze Pflegerinnen-
und Schwesternschar stürmte an das umlachte
Bett des Herrn Beck.
Der schöne Beck saß aufrecht und verlegen
im Hemde vor all den Damen.
Ihn tätschelnd, meinte der Medizinairat weiter:
.Herr Beck, wir danken Ihnen im Namen der
Krankenhauskasse sehr für Ihren langen Besuch,
doch, da Sie Ihre Braut schon mehrere Tage los
sind, so würde ich Sie bitten, anzuerkennen, daß
die Erde noch gleich wie bisher umläuft, damit Ihr
Bett für ernstere Patienten frei wird. Adieu, Herr
Beck, Sie sind gesund und können gleich auf-
stehen und uns, ich hoffe, als geheilt, verlassen.'
Damit reichte er ihm die Hand und befahl das Per-
sonal hinaus
Beck sah in seinen Taschenspiegel, klingelte
und ließ sich vom Portier die Kleider beschaffen.
Während der Portier die Kleider herkomman-
dierte und Elena die Entlassung des Herren
Bräutigams telephonisch mitteiite, machte Beck
herrliche gymnastische Hebungen, um seinen bett-
lägerigen Körper wieder apoliisch zu fühlen. Er
erkannte zu seiner ungewöhnlichen Freude, daß,
wenn er einige Filetbeefsteaks gegessen haben
würde, er wieder der alte magnifique schöne Beck
war.
Und wie würden die Weiber, Weiber, neue
Weiber bezaubert, wenn es herumlief, daß er
wieder herumkavalierte!
Der Portier brachte die Kleider und erhielt
ein klotziges Trinkgeld, worauf er die Mütze zog
bis zu den Waden und stramm abtrat.
Der schöne Beck stopfte sich seit fünf Wochen
das erste Mal wieder in die Hosen. Er sah dabei
hinaus über die Platanen vor dem Portai des
Krankenhauses. Er bemerkte jetzt erst, wie er
sich selber freiwillig zu einem Gefangenen gemacht
hatte. Aber der Preis war es wert. Für fünf
Wochen Simulieren Freiheit von einem lästigen
Weibe.
Den Leichtsinn einer Verlobung wollte er ja nie
wieder begehen!
Ver!obt war schneller als entlobt.
Er klingelte noch einmal, das letzte Mal. Die
bedienende Schwester kam mit lächelndem Ant-
litz. Sie empfing den Oboius: ,Ich werde es in die
Opferkasse legen.' In angenehmer Laune sollte ihn
das ganze Krankenhaus gehen sehen. Man soiite
Respekt vor ihm haben. Er machte eine Schen-
kung. Der Medizinairat kam noch einmal und lobte
ihn und Beck befahl, um die Protzerei rund abzu-
schließen, eine Autodroschke.
Seitsam, der schöne Beck wußte doch überaii
aiies um ihn herum auf die Beine zu bringen. Sein
Abgang aus dem Spitale gestaltete sich zu einer
Art Triumphzug. Die Fenster waren von Kranken
belagert, um den Mann mit dem verkehrten
Giobus und der versagenden Deliriumphantasie
zu sehen, Beck, den schönen, den großen Heuchler.
Er schritt dem Tor zu. .Portier, wo ist die
Droschke?'
Der Portier, es sauste gerade ein Auto vor,
rannte an das Portai, öffnete weit, aber das Auto
stoppte vorher ab und hielt. Der Chauffeur winkte
gegen den Wagenschlag, der Portier lüpfte die
Mütze und öffnete dienstbefiissen.
Eine Dame entstieg mit prachtvollem Bukett.
Unter Beck wankte der Boden. Elena be-
glückwünschte ihn zur Genesung.
Was soiite er anfangen? Vor dem lachenden
Hause mußte er sich von Elena, von der alten
Geliebten, der er nicht mehr entrinnen konnte, in
das Auto hineinküssen iassen.
Tut, tut und schwumms, schwang es sich im
Gaiopp um die Ecke über eine der vielen Tier-

gartenbrücken. Dort entschwanden Beck und
Eiena der Weit.
Das vom Portier besteiite Auto iotterte unbe-
schäftigt trübselig davon.

Gedichte
WitheM Runge
Abendlied
Ihre goldnen Harfenseiten
zieht die Sonne
leise aus dem Vogeilled
und sie hält dann
mit der Hand der Wälder
ihr verträumtes Auge zu
wenn der Tag geht grün
im Bett der Felder
in die sternbesäte Puh
Trennung
In die Hand brennt mir die Weit
beim Abschied
Sonnenuntergang Sonnenaufgang
ist dein Biick
Deine Stimme
leises Abendlied im Heimatsdorf
Auf die Wiesen ailer Kindheit
fällt ein Tau
Beuge stiii dein Haupt in Sehnsuchtstiefe
Scheiden weint nun
laut
in aiie Nächte
gib mir nun noch einmal deine Lippen
Junirosengiut
und Sommergiück
Zur Musik
Sommer
heisser
iiederschwerer
steigt ans meiner Haut empor
mohnrot wingt er sich verblutend in die Garben
der Musik
und ein seidger Wind
durch Aehren
ieise träiiert hin
Auf der Schwelte dunkler Wälder
schiafen Schmerzen in das Dickicht
Und ein Tempeiwerk von Tönen
wirft sich aus dem Schaum der Meere
in den Gianz der Taggestirne
in die Adern
stiebt das Glück
Fern in Schichten der Verzweigung
stirbt Getier
während süss das Posenrot der Lieder
bunte Kmderschar durch Wiesen
tanzt den taubestrahiten Morgen
tuipentaumelnd
in der Himmel biaues Glück.
Strophe
Scmmerstund
der Tod ist bittrer
ais die Mandel deines Auges
und der Abend kann nicht ruhen
Auf dem Kissen des Gebetes
eh du, im Gelock der Sonnen,
in den Schlummer deiner Wälder
senkst dein Antlitz
Träumer
Tag ;
 
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