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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Zehntes Heft (Januar 1917)
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Essig, Hermann: Der Wetterfrosch, [3]
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Striepe, Kurt: Maya
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Knoblauch, Adolf: Seidenfaden, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0122

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Das Mädchen dachte: „Verrat mag ich nicht
leiden . . . aber wenn du einmal meinen Bräutigam
mit dem Frosche reden siehst, kannst du mir's ja
sagen . . . verraten" und kicherte.
Darum die Quelle, wenn sie jetzt umbog,
streckte jedesmal den Kopf ein klein wenig heraus
und guckte nach dem Froschteich und rannte
weiter. Sie tat's fleißig, tagaus, tagein, damit sie
ja nichts zu verraten versäumte.
Den Frosch ärgerte wohl das „Ueberdenzaun-
gucken", aber sie gehörte nicht mehr her. Und
gut. Was ihre Naseweisheit zu bedeuten hatte,
wußte er ja nicht. Er vermißte sie nicht, sein
Wasser blieb jetzt immer ruhig stehen und wankte
nicht, einen Abfluß, einen ungeschickten brauchte
er auch nicht mehr, also war's vorzüglich. Sein
Vermögen blieb mehr beieinander, es wucherte
Zinseszinsen und verdrängte das unnötig viele
Waschwasser — für Rehböckchen blieb noch
genug —. Man roch die Effekten schon auf hun-
dert Schritte im Umkreis. Das war die beste
Reklame für seinen erstickenden Wohlstand.
Und bei diesem Wohlstand von Dreckloch
reden! — Rache!
Ihm blieb das „Morgen". Morgen, seine Tempe-
ratur fiel zum Gefrierpunkt. Aber es mußte sein.
Denn solange das Mädchen noch von seinem Ge-
sellen träumte und im Rahne wehmütig singend —
bei gutem Wetter hörte er ihre Stimme bis her-
über — hinausfuhr auf den See, konnte ihm der
Knabe wieder abtrünnig werden. Da half nur eins.
Ein blutiger Gedanke an das Morgen erhitzte ihn,
er entstieg langsam seinem beengenden Umilm
und setzte sich das erstemal dieses Jahr den Erlen
auf die Füße.
Die Erlen wandten sich aus Abscheu vor ihm,
sie empfanden seine wüste Seele. Sie wanden sich
immer weidiger.
Dem Frosche ließ es auch außen, wo ihn die
Luft, der unendlich weite Himmei umgab, keine
Ruhe. Ein Sturm von ieidenschaftlichen Greuel-
taten warf ihn in seine Wanne zurück, in der er
herumwirbelte wie eine haltlose Qualle.
Endlich drückte er sich fest und hielt den
Sturm auf, er verscheuchte die Wolken und
machte sein Herz zur Eiskugel.
Fortsetzung folgt


Ganz tief bin ich in eine kalte Mauer gestellt.
Münde umsaugen welk meine blasse Seele. Es ist
ein Träumen über meinen Händen.
Ein Dieb schieiche ich durch die Nächte. Eine
Allmacht faltet meine Sinne. Mein Gebet ist
größer als ein Leben.
Alle hegen in den Hängen des Lebens. Die
Köpfe zur Erde gekehrt. Ich schaue zu den
Sternen. Und staune. Wir glauben alle an ein
Wunder, das uns selig macht. Und sterben einen
Tod. Das Grauen haben viele gelernt.
Nichts — Maya — ist schwerer als der Tod im
Bett. Ihnen muß ich immer vom Tod erzählen.
Ich spiele damit. Meine Lust stirbt. Es ist ein
zartes Spiel. Keiner schreit. Einer lauert auf den
andern.
Nun stirbt meine Mutter. Meine müden Arme
halten sie einenhalbenTag. Dann kommt das Ende.
Ich sah viel Sterben. Den Wald — schreiend
streckt er zerrissene Bäume in den blutenden
Mund. Städte — im Feuertanz, lodernder Kirchen.
Menschen sah ich sterben — im Spielen der
Kinder. .. ^
Nun erfüllt sich mein Schicksal.

Maya — mein Glaube ist alles! Ich glaube an
Sie. Trotz altem. Einen schönen Namen kann ich
nicht vergessen. Und Augen und Ihre Hände.
Ihre Hände verfolgen mich — Maya! Hände
sind über dem Leben. Ein Gebet.
Sie schreiben nicht mehr. Sie wolien nicht mehr
schreiben. Ein großes Herz sind Ihre Briefe.
Ich liege auf dem höchsten Berge. Sein wildes
Pochen ist Musik. Das ist die ganze Erde — die
ich in mein Herz presse. So sind Ihre Briefe.
Ein köstliches Kleinod — opalschimmernd —
trage ich in meinen lichtigen Händen. Mein
Herz-? Meine Hände wissen. Meine Hände
sehnen sich nach Ihren Händen. Ich gehe zag. leih
bin die Mutter, die eine wehe Geburt in ihren
Armen hält.
Ich habe ein Geheimnis. S i e wissen darum.
Aber daß ich nun ruhiger bin — ist das Seltsame.
Ich bin mein Narr. Ich sehne mich nach etwas.
Ich ersehne immer die Nichterfüllung. Nur der
Tod brächte eine Änderung.
Daß ich so ohnmächtig bin — Maya, das ist das
Grauenhafte.
Ich möchte fluchen können. Ich möchte beten
können. Oder fluchen und betem zugleich. Aber
garnichts können und immer alles wissen
— das erschöpft mich. Das macht so müde.
Wenn ich nicht Ihre Hände sähe —! Ich werde
krank danach. Und nach Ihrem Namen geht ein
Lechzen durch meinen Mund.
Ich werde einmal ein heller Stern sein. In
meinem Leuchten sollen Ihre Augen trunken wer-
den.
Danach sehne ich mich.
Kurt Striepe

Seidenfaden
Adolf Knoblauch
Fortsetzung
Seidenfaden bog fiebrig die Finger und
rutschte unruhig auf dem Stuhl: „Anfangs ist
Natur im Uebergewicht und lastet bei Taggrauen
auf der Innerlichkeit. Vom Mittag aufwärts, dem
Punkt der Harmonie, siegt der Geist und kriegt
gegen die Natur. Schiller steht im Zenith, der
Stern um neun Uhr Abends. Dann beginnt die
Nacht, die Finsternis, in. der ich Nichts bin und
schlafe, um früh als Natur mit Etwas zu beginnen.
In der Nußschale hast du die Weltgeschichte im
ewigen Kreislauf: von der Natur zur Harmonie,
durch Streit und Krieg ins Himmelreich, denn sie
steigt immer wieder neu aus der Natur.
Schiller kriegt gegen Balsamine und siegt in
der Höhe. Und wenn Balsamine schterbt, so
kommt sie in Schillern sein Himmelreich."
Sinen war der Verstand von der wunderlichen
Harmonie verwirrt. Die Schlangen im Terrarium
regten sich träge, reckten in der Dämmerung die
gefleckten Leiber über den offenen Glashafen
und erhoben die Köpfe schmachtend ins Dunkel,
die Eidechsen rasdielten unheimlich flink. Sine
sprang hinzu und deckelte die ungehorsamen
Kind!ein zu.
* *
*
Sine brachte den Bunten zum Bahnhof und
kehrte durch den Tiergarten in die Stadt zurück.
Von den Bogenlampen schien der Nachthimmel
über den hohen alten Linden blaß, die Blüten
leuchteten auf weitem Rasenrund, Büsche dufte-
ten, und Sine huschte an Liebespärchen, die ein-
ander auf Bänken und in den Wegen umarmten,
vorüber. Hinter einem Busche an einsamer Stelle

trat aus der Dunkelheit schnell ein Mann Sinen
in den Weg und tat die allnächtlichen Fragen:
„Allein, mein Fräulein? Darf ich Sie begleiten?"
Und er nahm ungezwungen ihren Arm. Sine blieb
erschrocken stehen und schaute sich um, sie war
allein mit ihm, fern überm Rasemrund schritt die
starre Erzgestalt des Auerstieres.
Sine fürchtete, den Unbekannten durch Ffucht
zu reizen und beschloß, ruhig auszuhalten, sie
mochte nicht prüde und albern sein. Die Harmonie
des Bunten drückte maaßlos ihre Seele, drängte
sie zu Tat. Sie erhob die Fahne der kreuzweisen
Liebe, ihrer bunten Erfüllung! Der heilige Schein
am Himmel war ganz weiß. Sine gab Kunde von
Seidenfadens süßer Lehre, sie zwang den begehr-
lichem, finster triebhaften Mann zum Bewußtsein
seiner niederen Durchsdhnittlichkeit: „Sie haben
gewiß den Willen, recht zu lieben, aber Sie haben
nicht die Rechte gefunden, das ist auch schwer!
Es liegt nur am Willen, recht zu lieben, dann
finden Sie die Rechte. Sie dürfen nicht etwa
Eine lieben: Alle, die Sie sehen, soviele, die Ihnen
bisher im Vorübergehen flüchtig gefielen, müssen
Sie finden und lieben! Sie müssen unaufhörlich
lieben, sich jeden Tag verlieben, in Viele, Alle . . .
Dann Heben Sie recht, und Alle, die Sie lieben, sind
die Rechten!"
Nach dieser Rede wurde des Mannes blasses
Gesicht unter dem modisch weichen Hut sichtbar,
er !ieß den Arm seiner neuen Tiergartenbraut
sinken. Ermutigt durch diesen Eindruck, mahnte
Sine zur Ueberwindung, tröstete mit der Liebe
aller unbegrenzten Möglichkeiten. Sie lud ihn zum
Besuch, der Bunte würde ihm den herzlichen Weg
und der kreuzweisen Liebe Stärke deuten.
Der Unbekannte drückte den Hut fest iu die
Stirne, schlug die Hände in die Hosentaschen und
sprang hintern nächsten Busdh in die Dunkelheit-.
Als Sine Seidenfaden das Abenteuer erzählte,
fügte sie bei: „Wenn der Dumme ahnte, daß ich.
ihm ganz gern einen Kuß gegeben hätte! Er
dauerte mich so . . .!"
XIV
Sine hatte Leinewand eingespannt, um Motive
in den Ferien fern vom Meister zu malen. Es fiel
ihr unüberwindlich schwer, vor der Leinewand
zu stehen, um Farben aus dem Blauen ins Weiß
zu pinseln. Ihre Seele suchte den starken Manues-
ha!t, sie brachte leider nichts zuwege iu Oel.
Sie griff zum Kodak, der als Motivsucher zu
Malferien gehört. Sie plagte sich redlich, photo-
graphierte Alles und Alle, im Heu, im Bach, auf
Bäumen, springend, kletternd, purzelnd, kopf-
stehend, brüllend, heulend, pfeifend, weinend —
aber ihr rechtes Motiv fand sie nicht. Bis eines.
Tages Seidenfaden vorsichtig einflüsterte, die
kleinen DoHinge nackt zu knippsen. Das rechte
Motiv! Die Kinder als nackte Modelte zu ihren
Mädelsfratzen!
Katharine wies Siuens honigsüßes Ansinnen
rauh von sich. Schweigstille traute nie Sinen und
wollte, wenn die Anderen wollten. Nur der lang-
lockig hingebende Engel Slbille wollte, zierte sich
und ließ sich nackt knippsen: einmal seitlich, das
Haupt in Pose auf den dünnen Arm gestützt, ein
ander Mal horizontal auf dem Rücken, Brust und
Beine in Wogenlinie auf Profil, schließlich auf dem
Bauch mit der deutlich sich abhebenden Rückseite*
des Leibes.
Jetzt wollten die beiden Schwestern nicht zu-
rückstehen, und sie wurden gleich gründlich
durchgeknippst. Am Ende stellten die drei un-
wissenden Mätze ein keckes Ballett: So wurden
die edlen nackten Kinderkörper für den neu-
gierigen Erotiker Seidenfaden photographiert.
* *
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