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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Zweites Heft (Mai 1916)
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Walden, Herwarth: Ein großer Traum zu meiner Freude
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Leer, Francisca van: Lieder
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0029

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spaltige Inserate erreichen. Wenn man Poe oder
E. Th. A. Hoffmann verwässert, reicht das Wasser
natürlich für hunderttausend Leser. So groß ist das
Reinlichkeitsbedürfnis der Menschen nicht. Wer
wird auch in Strömen baden, wenn der Teich vor
dem Mitreißen schützt. Hier ist es seicht, hier
kann man auf beiden Füßen stehen und der Ret-
tungSgürtel ist dem Schutze des Publikums emp-
fohlen. Die Weser bestätigt den Teich und zu mei-
ner Freude ist ein großer Traum eigentlich ein gro-
ßes Geschäft. An der Weser ist schon viel ge-
träumt worden, mit und ohne Musik. Und man ist
vor dem Verbrechen geschützt, Poe und E. Th. A.
Hoifmann <zu lesen. Das hat mit seinem Singen
hochachtungsvoll Kurt Wolff-Verlag getan. Er hat
den Golem, der einst sagenhaft war, zu dem Leben
eines Geschäftsreisenden erweckt. Nun ist er, der
Herr Golem, nicht mehr ein Monument, aber von
unserer Zeiten Schande, kein Stein mehr,
aber Fleisch von seinem Fleisch und Blut von sei-
nem Blut. Er lebt, wie es so seine Art ist. Da
sind wir sehr intim. Du bist mein Augenstern.
Jetzt braucht er nur noch von Herrn Werfel ins
Griechische übersetzt zu werden und der neue
Euripides ist fertig. Hochachtungsvoll Kurt Wolff.
Der A'lcnsch denkt und das Geschäft lenkt. Noch
vor vier Wochen waren wir in der Lage, einen
Traum von Kurt Wolff Verlag vorträumen zu dür-
fen: „Falls nicht ausdrücklich Feldpostausgabe be-
stellt.... zumal die Feldpostausgabe, wenn sie aus-
verkauft sein wird, und die zehntausend Exemplare
werden rasch ausverkauft sein, auf keinen
Fall neu gedruckt werden soll." Aber große
Träume sind große Schäume. Und Schaum
wird stets nachgefüllt, weil er billig ist. Der
Mensch denkt, aber das Geschäft ist richtig:
„Um eine praktische Versendung als Feldpostbrief
zu ermöglichen, sah ich mich gezwungen,
diese Exemplare auf leichterem Papier zu drucken,
also doch noch eine Ausgabe fürs Feld zu machen.
Es lag, wie ich auch des öfteren angezeigt
habe, gewiß nicht in meiner Absicht, die Ausgabe
noch einmal zu drucken. Tägliche Zuschriften und
Bestellungen . . ., so daß es engherzig und klein-
lich wirken müßte, wenn ich diese fortwährenden
Wünsche nicht doch noch zu befriedigen trachten
würde." Ein großer Träumer darf nie engherzig
und kleinlich sein. Wenn geheimnisvolle Gründe
und Beziehungen der Menschenschicksale erhellt
werden können, muß wenigstens das leichtere Pa-
pier daran glauben. Man merkt die beste Absicht.
Er hat gewiß den keinen Fall des öfteren angezeigt,
aber wer kann der Weserzeitung widerstehen. Und
das Berliner Tageblatt hat gesagt: „Man muß es
lesen, wenn man einmal angefangen hat." Das hat
das Berliner Tageblatt gesagt. Soll man da noch
engherzig und kleinlich wirken, wenn man es nicht
einmal ist. Wenn man großzügig inseriert. Aber
der beste Menschenfreund mit den gewissesten Ab-
sichten kann in schlechten Ruf kommen. Das Sor-
timent hat vielleicht Angst vor den Kunden, denen
es den großen Traum für diesen einen Fall noch-
mals vorlegen soll. Das Sortiment hat Angst, der
Kunde könnte vielleicht erwachen und den Traum
für einen realen Hinterhalt hinterher halten. Auch
dafür hat Kurt Wlolff-Verlag gesorgt: „Dem Sorti-
ment stelle ich in Form einer „Erklärung" einen
sehr wirkungsvollen Prospekt kostenfrei in jeder
Anzahl zur Verfügung. Eine öffentliche Ankündi-
gung der Feldpostausgabe wird nicht erfolgen, da
ihr Absatz mich verlegerisch — wie ich nur noch-
mals wiederholen kann — nicht weiter interessiert
und ich nur täglich geäußerte Wünsche noch ein-
mal hiermit erfüllen wollte." Da die Feldpostaus-
gabe geht, kann sich der interessante uninteres-
sierte Menschenfreund die öffentliche Ankündigung

schenken. Also unlyrisch: die Inserate schenkt er
sich und die Feldpostaugabe schenkt ihm eine Feld-
posteinnahme. Er macht sich also mit dem Vater-
land Verdienste. Dem Verdienste seine vier Mark.
Darum setzt Kurt Wolff-Verlag die Literatur auch
in Anführungszeichen. Oder wie es in seinem Pro-
spekt heißt: „Nach wie vor sieht er seine Aufgabe
darin, eine helfende und treibende Kraft des Gei-
stes zu sein, der unbeirrt von den Schwankungen
über der Zeit schwebt." So inseriert er laut für
das sehr geehrte Publikum. Für den sehr geehr-
ten Zwischenhandel sagt er leise (ins Ohr), nicht
ohne ironische Anführungszeichen: „... der freund-
lichen Beachtung der Herren Kollegen. Firmen,
die für „Literatur" überhaupt Verwendung haben,
dürften meinen Verlag nicht mehr entbehren kön-
nen, trotz der derzeitig hohen Papier- und sonsti-
gen Herstellungspreise werde ich auch bei Bü-
chern, die, wie jetzt der Golem, von selber „ge-
hen", dem Buchhandel die denkbar glänzend-
sten . . ." Wenn sogar schon die großen Träume
mit dem Geist über der Zeit von selber gehen, da
wird der Buchhandel schon hinter die kleinen
Träume laufen, die geradezu den Haufen über das
Publikum rennen müssen. Mit kollegialer Begrü-
ßung ganz ergebenst Kurt Wolff-Verlag.
Wieder gefunden
Herr Karl Scheffler schreibt jetzt Novellen. Die
Kritik ist ihm glücklich ausgetrieben worden und
er verkriecht seine Meinung in die Feuilletons.
Aber auch sie finde ich. Herr Scheffler muß schon
in seiner eigenen Zeitschrift sich verstecken, wenn
ich ihn nicht mehr finden soll. Mein Gedächtnis
läßt ihn nicht im Stich. Also Herr Scheffler hat
eine Novelle geschrieben, die Adolf Loos vor zwan-
zig Jahren bereits geschrieben hat. Nur richtete
sie sich bei Adolf Loos gegen die Impressionisten,
während sie Herr Karl Scheffler gegen die Expres-
sionisten anwendet. Es handelt sich in beiden Fäl-
len um den bekannten reichen Mann, der sich künst-
lerisch einrichten läßt. Bei Loos künstlerischer
und realer auf den eigenen Wunsch dieses reichen
Mannes. Bei Herrn Scheffler unkünstlerischer und
unwahrer, also impressionistischer, auf den Wunsch
des Herrn Scheffler. Bei Loos will sich der reiche
Mann ein Bild aus der Sezession kaufen. Das Ge-
schöpfchen des Herrn Scheffler empfiehlt dem rei-
chen Mann die Expressionisten, Kubisten und Fu-
turisten. Da Loos von der Raumkunst etwas ver-
steht, nämlich, daß sie keine Kunst ist, verbietet
der Raumkünstler seines Gleichnisses überhaupt
den Kauf von Bildern, da sie nicht zur Raumkunst
des Raumkünstlers passen würden. Herr Scheff-
ler, der nicht einmal etwas von der Raumkunst
versteht, trotzdem es keine Kunst ist, läßt den
Raumkünstler dem reichen Mann empfehlen, sich
Bilder zu kaufen. Der Ranmkünstler sagt sogar
dem reichen Onkel ausdrücklich, daß der Kauf die-
ser Bilder einst ein großes Geschäft sei. Herr
Scheffler weiß, womit man reiche Leute überzeugt.
Adolf Loos kümmert sich in seinem Gleichnis na-
türlich nicht um die Geschäfte. Aber von dem
Raumkunstundktinstler heißt es: „Nun sauste der
Raumkünstler wieder davon. Wie ein beglücken-
der Gott schritt er durch die Ateliers der Werden-
den dahin. Er traf sie fast alle auch an; denn was
ein rechter —ionist ist, der ist ebenfalls d. u." Das
wagt Herr Karl Scheffler zu schreiben, vier Wo-
chen nach dem Fall von Franz Marc, und ein und
ein halbes Jahr nach dem Tod von August Macke,
während er selbst Felddienst in derVossischen Zei-
tung tut. Allerdings ist Herr Scheffler sehr kurz-
sichtig, denn er sieht bei seinen Impressionisten und
Sezessionisten die — ionisten nicht, er hält sie alle
für Kunst und Künstler. Aber sein Raumkünstler

weiß wenigstens, wo er hingehört: „zu diesem Zeit-
punkt zeigte der junge Kulturmann mir das bisher
Erreichte. Ob ich nicht ein Sonderheft Kunst und
Künstler darüber bringen wollte." Dieses Heft
hätte ich zwar wieder beschlagnahmen lassen,
wenn es widerrechtlich wie gewöhnlich Reproduk-
tionen nach Werken von Künstlern gebracht hätte.
Aber dieser Raumkünstler hat sicher keinen Künst-
ler gefunden. Sonst hätte er über den Onkel Scheff-
ler besser Bescheid gewußt. Dann folgt wie bei
jedem Kitsch, die Pointe. Der reiche Onkel kommt
auch zu Herrn Scheffler, beschwert sich über den
Neffen Raumkünstler und Herr Scheffler schließt
prophetisch: „So verschieden Sie auch scheinen,
so verwandt sind Sie sich doch letzten Endes. Arm
in Arm sollten Sie Ihr Jahrhundert in die Schranken
fordern." So schillert diese Novelle aus, aber ich
setze noch eine Pointe hinterher. Herr Karl Scheff-
ler vergißt zum guten Ende, daß er auch zu der
Verwandtschaft gehört. Solche Leute können nur
von ihm stammen. Natürlich schimpft man immer
auf die Verwandtschaft, aber man verträgt sich
doch ganz gut. Und das Jahrhundert feuert über
die Schranken hinweg.
Herwarth Waiden

Lieder
I
In meinem Blut
tanzt
Du
Säule
trägst Du mich
Wellen schlägst Du um mich her
Mantel aus Meer
Kühle säst Du
in mein heißgepochtes Herz
Nacht singt Du
Traum träumt Du
Sinn sinnt Du
Fern
Du
II
In meine Schultern hülle ich Dich
und trage Dich zu mir
Ich wiege Dich im Kahne meines Bluts
und pflanze hoch die Wälder meiner Glieder
um Dich
ich bette Dich
in das rausche Gestrüpp meiner Locken
III
Wunde mich nicht
wende Dich nicht
weile
wölbe Dein Lauschen
Bieg Deine Glieder
beuge Dein Lächeln
Neige die Wange
in meinen Schoß
lausch meiner Sehnsucht
Rausche Rausche
Sophie van Leer.

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