Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

DOI issue:
Fünftes Heft (August 1916)
DOI article:
Heynicke, Kurt: Gesang
DOI article:
Walden, Herwarth: Fachmänner
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0064

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der Sonne gejubeft
dem Abend zerschnitten.
Spreu in den Wind gestreut
namenlos
weht unser Sein vorbei.
Leben ist Garbenfülle der dunkelen Scheuer,
eine Kinderhand tastet uns jauchzend ins Haar,
in tausendfach Vollem erblüht uns Bestimmung
in windstillen Nächten erwachsen wir uns.
Stille Stimme spricht in der Scheuer:
Alles ist Leben, dem Zwecke gegeben.
Dasein ist Leben
Fühlen ist Sonne
fruchtloses Schreiten ist Ende und Tod
Weit hinter Wäldern hängt vom Himmel ein Strahl
glühend beglänzt er ein dunkeles Boot.
Bergwaldherüber erbraust ein Lied:
Hoch in den Wipfeln wiegen sich Sonnen.
Strahlen, himmelher aus den Gletschern gestiegen,
Himmelblau, von reifenden Feldern getragen,
Hände in meinen Haaren,
Klein bin ich und blind vor euerem Leuchten.
Wolken feuchten den Gang,
in den Städten brennt ein Gesang,
über den Schloten streicht eine Fiedel,
durch die Gassen flackert ein Brand,
Sonne und Sterne
Wind und Flamme
ich beuge mein Wort:
unfaßbar ist Gottes Name.
Frau im sonnigen Zimmer
hellblond weiß unter Blumen geblüht,
Alle Schönheit berge ich an meiner Brust,
tropfleise ist die Nacht in Deinem Schoß,
unsere Seelen verfließen
Sterne ergießen Stille in uns.
Die Stimme singt:
Zwei Hände wollen das Haar verflechten,
Kronen werden aus Himmel und Erde.
Die Gärten duften fremdes Geblüte
Wege versinken
Wände fallen
Gottheit lächelt hauptüber uns.
Heimat in Sonne
ich bin vergessen von Deinen Wäldern
im Rohr wiegt ein Vogel ein fernes Lied.
Heimat
Du wili ich sein am Abend der Tage.
Einen lichtbraunen Sarg hat die Sonne gebaut
er wiegt auf den Wassern
von weißen Rosen getragen.
Edelweiß aus den Bergen träumt auf der Brust,
Enzian äugt aus den Händen,
weißer Jasmin küßt meinen Mund.
Licht ist der Tod
eine stille Sonne der Tag
helle Sterne säumen die Nächte.
Sonne will tief ins Tal,
Lieder klingen hinter dunkelen Stunden
Abendrot goldet die Schmerzen ein.
Morgen sind wir und Mittag und Abend.
Allein will uns Nacht,
beide Hände greifen hinauf
mit silbernen Haaren verblüht der Traum.
Kurt Heynicke

Fachmänner
Ausschnitt
Der Ausschuß der Freien Volksbühne hat mich
gebeten, eine kurze Einführung über den Geist der
neuen Kunst für ihre Zeitschrift „Die Volksbühne"
zu schreiben. Für die Mitglieder des Verbands
der Freien Volksbühnen ist eine besondere Aus-
stellung von Werken der Künstler des Sturms zu-
sammengestellt. Der Kritiker der Sozialistischen
Monatshefte befaßt sich nun mit dieser Einführung,
ohne sie ganz gefaßt zu haben. Er scheint auch
von dem Glauben auszugehen, daß ich mich zum
ersten Male, über solche Dinge äußere und daß
ich Wert darauf lege, es zu tun. Ich lege nun
keinen Wert darauf, mich zuerst geäußert zu ha-
ben oder mich überhaupt zu äußern. Denn meine
Aeußerung ist Kunst. Man kann zwar mit Tat-
sachen jede Kunst erschlagen, man kann aber auch
mit der Kunst jede Tatsache töten. Das Kunst-
werk ist geschlossen, es ist daher für einen Kri-
tiker recht schwer, sich in ein Kunstwerk einzu-
haken, das geschlossene Kunstwerk läßt keinen
Raum hierzu. Jeder einzelne Satz steht so
fest, daß man ihm erst Gewalt antun muß, wenn
er vergewaltigt werden soll. Ich schrieb zum Bei-
spiel so: „Wir sehen nun aber nicht mit dem
Temperament sondern mit dem Auge. Und wenn
wir nicht das Temperament des betreffenden
Künstlers haben, schneidet er uns die Natur gerade
da aus, wo sie uns zu gefallen anfängt." Um
mich nun abzuschneideil, schneidet sich der Herr
Kritiker Folgendes zusammen, was ich geschrieben
haben soll: „Der Impressionismus schneidet uns die
Natur gerade da aus, wo sie uns zu gefallen an-
fängt." Wenn wir nämlich nicht das Temperament
des betreffenden Künstlers haben. Der Herr Kri-
tiker hat das Temperament aller Impressionisten
und findet es unlogisch, daß meine Leidenschaft
Aeußerungen des Temperaments nicht für Kunst
hält. Aeußerungen des Temperaments sind näm-
lich menschlich ganz interessant, aber die Kunst
hat nun einmal nichts mit Aeußerungen oder mit
Temperamenten zu tun. So leid mir das auch tut.
Der Herr Kritiker unterstellt mir ferner, daß ich
die Photographie für künstlerischer halte als den
Impressionismus. Er zitiert: „Die Photographie ist
ihm viel zuverlässiger, sie sieht viel ehrlicher mit
ihrer Linse und wir können uns den Apparat dort
hinstellen, wo uns die Natur gefällt." Der Herr
Kritiker stellt sich den Punkt dorthin, wo er ihm
gefällt. Denn unmittelbar auf meinen Satz heißt es
weiter: „Wir verbinden mit dem Photo unsere
Erinnerung und sind befriedigt. Nur ist damit kein
Kunstwerk geschaffen, auch nicht, wenn es mit
Oelfarbe angestrichen wird, wie es zum Beispiel
der berühmte Meister Lenbach tat." So wollte
mich der Herr Kritiker vor seinen Lesern anfüh-
ren, ich habe ihn aber bereits wieder ausgeführt.
Er behauptet weiter: „Das ist das Unlogische an
den Ausführungen Waldens: daß er nicht etwa
zur Kunst überhaupt führen will, sondern zu der
einzigen, die für ihn existiert; zu ihr als der allein-
seligmachenden." Die einzige Kunst, die für mich
existiert, ist eben die Kunst. Da meine „Rich-
tung" zur Kunst führt, kann ich doch den Herren
Kritikern nicht den Gefallen erweisen, ihretwegen
einen Umweg zu machen. Im großen und ganzen
findet zwar der Herr Kritiker das richtig, was ich
sage. Aber es kommt gar nicht darauf an, daß es
richtig ist, sondern darauf, daß man die Kunst sieht.
Der Herr Kritiker zitiert endlich: „Und wie eine
Warnung vor Gefahr hört man es immer wieder,
die Natur, das heißt die Nachahmung dessen, was
man zu sehen glaubt, hat nichts mit der Kunst
zu tun. Das Nachgeahmte, also das Gegenständ-

liche. in der Malerei ist nicht der Zweck, sondern
das Mittel. Das Bild muß des Bildes wegen ge-
sehen werden. Ungefähr so sagten es andere
längst auch (siehe diese Rundschau 1915 3. Band,
Pag. 1321) aber deswegen ist es doch nicht über-
flüssig." Ich habe diese Rundschau nachgesehen,
weil es mich interessierte, welch andere es längst
auch gesagt haben. Ich hatte allerdings von
Längst eine andere Vorstellung als das Jahr 1915,
da meine angeführten Sätze am ersten Juli 1916
veröffentlicht wurden. Ich glaubte, daß ein Kunst-
wissenschaftler auf Pagina 1321 mitteilen würde,
daß ähnliche Aeußerungen schon vor fünftausend
Jahren getan sind. Nun war es aber nur Herr
Doktor Hausenstein. Den Herrn Kunstkritiker
wird es interessieren, daß ich mich selbst aus dem
Jahr 1913 zitiert habe, daß also Herr Doktor
Hausenstein in seinem Heft sagte, was ich genau
ebenso sogar zwei Jahre längst auch gesagt habe.
Und vor fünftausend Jahren ist es nämlich auch
längst auch gesagt worden. Zwar nicht der Doktor
Hausenstein aber andere Herren waren so liebens-
würdig gewesen, von der Kunst zu sagen, was
Kunst ist. Es handelt sich eben nicht um das
Sagen von der Kunst. Denn Sagen ist keine Kunst.
Auch wenn man das Sagen da ausschneidet, wo
es einem nicht mehr zu gefallen anfängt. Kunst ist
nämlich nicht gefällig. Schon längst nicht mehr.
Ich habe wiederholt gesagt, wenn ich auch die
Pagina vergessen habe, daß ich der Kunst nach-
laufe. So schnell, wie die Herren Kritiker
rennen, komme ich aber nach. Ich mache einen
Umweg von meiner Richtung, stelle mich ihnen
vor, indem ich mich vor sie stelle, zum Schutz mit
der Logik bewaffnet für die unlogische Kunst, die
nur existiert und die allein selig macht.
Ja, Glas
Herr Fritz Stahl kommt aus dem Denken gar
nicht mehr heraus. Die Künstler denken jetzt näm-
lich, sagt Herr Stahl. Und er muß nachdenken.
Ich sehe ihn bildhaft vor mir: die Denkerfinger an
die Denkerstirn gestützt. Zwar kein Bild für
Götter, aber für jeden ehrlichen Kunstmaler. Durch
den Expressionismus ist es ihm grün und blau vor
den Augen geworden. In jedem Harmlosen wittert
er so einen Bösewicht. Herr Stahl findet alle
Bilder gut, „wo der Maler, durch sein Motiv ge-
reizt, sich gehen läßt". Deshalb findet offenbar
Herr Stahl seine Kritiken gut, wo er durch das
Motiv gereizt, sich gehen läßt. Aber wenn er auch
an sich halten würde, der Weg zur Kunst ist ihm-
versperrt. Das ist die große Frage, warum Künst-
ler, selbst solche, die er liebt, sich so selten ge-
reizt gehen lassen: „Mir scheint, daß hier wie oft
die neue Aesthetik einen Künstler von dem wahren
Zweck alles Schaffens, dem Ausdruck eigenen Er-
lebens weggeführt hat. Sie hat etwas angeblich
Höheres entdeckt: das Lösen von Problemen. Und
dadurch ist ein wenig anmutender Typus des den-
kenden Künstlers entstanden, ein Künstler der nicht
denkt, wie er das in ihm entstandene Bild am klar-
sten gestalten kann, sondern der zuerst an eine
Form denkt, meist an eine, die er bei anderen ge-
sehen hat, an ein schwieriges Problem formaler
Art." Herr Stahl erkennt den Ausdruck nur, wenn
ein eigenes Erlebnis vorliegt, das er hat, das alle
haben, das also keiner hat. Die Formen, die die
meisten Kunstmaler und Kunstkritiker denken, ha-
ben sie stets an anderen gesehen. „Daß junge
Menschen den Modetheofien unterliegen ist erklär-
lich. Männer müßten sich freimachen können. Und
um die Vierziger herum ist es höchste Zeit, nur
nach dem zu fragen, was in Einem selbst steckt,
wenn man überhaupt Wert darauf legt, sich aus-
zuwirken." Herr Stahl ist um die Fünfzig herum,.

58
 
Annotationen