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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Siebentes Heft (Oktober 1916)
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Leer, Francisca van: Gedichte
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Knoblauch, Adolf: Seidenfaden, [3]: Erzählung
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Runge, Wilhelm: Lieder
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Alker, Rudolf: Legende vom Prinzen und der Tänzerin
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0088

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IH
Die Straßen am Himmei sind siiber bestreut
Auf meinen Lippen singt ein Stern .
Zwei Sonnen halten jnein Herz
Rote Blumen kreisen meine Adern
Die Seele träumt in deinen Strahlen
Dein Sein erfüllt mich bis zum Rand des Seins
Ein tausendfach Gebet ist meine Qual
Rings um die Sterne kreisen unsre Herzen
Mein Atem glüht
Im Winde wachsen unsre Stimmen
Wir sinken jubeind in das Himmelreich
IV
Schwarz kniet die Nacht die blaue Erde
Die Himmel stürzen in die Dunkelheit
Aus allen Träumen steigt mein Antlitz auf
aus ailen Tränen heb ich mein Gebet
Ich gehe zu den Sternen ein ,
und meine Hände werden eine Schaie unter
Gottes Haupt.

Seidenfaden
Erzählung
Adolf Knoblauch
VII
Nach allem was schlank, anmutig, blaß, mit
Schnecken um die Ohren, sechzehnjährig vor ihm
einherlief trug Seidenfaden im Geiste Gelüst, er
schlug sich selbst ans Kreuz täglicher Verliebt-
heit. Für ihn gab es nur Heilung in der Nähe von
dicken, spießigen, breithüftigen, busengefildigen
Weibern, die ihn langweilten, wenn er im gefüllten
Bahn-Abteil zwischen sie gedrängt sitzen mußte.
Seidenfaden hatte früh als Knabe auf dem Lido
und in Biarritz herumgesessen, die Nacktheit an-
gestarrt, Eindrücke der weiblichen Körperlinien
gesammelt und seine erotischen Möglichkeiten mit
d<en Freunden erörtert. Seidenfaden begann
den Lido der Massen am Wannsee zu besuchen.
Täglich vom Morgen bis zum Abend lag er Som-
mer und Herbst hindurch im Sande des Sonnen-
bades und starrte auf die trikotne Gruppe abge-
lebter junger Damen, die mit kalkigen Gliedern
schläfrig Lebenslust posierten, auf Pfählen im
seichten Wasser vor den stierenden Männern im
nassen glatten schwarzen Badeanzug herumturn-
ten und zur gleichmütigen Badeblechmusik sich
unter Gelächter hin- und herdrehten. Seidenfaden
ergötzte sich, mit den Animier-Badnerinnen im
Sande zusammen zu liegen, denn wegen des
Havelwassers ging er nicht zum Baden.
Im Sande arbeitete er an seiner Philosophie. An
den massenwimmelnden Sonntagen, in den wür-
genden Ausdünstungen der geschwitzten Tausende,
im Kindergeschrei, den Zoten, während die berliner
Rangen beiderlei Geschlechts ihre Liebesspiele
klatschten und plätscherten, lag Seidenfaden zwi-
schen Sine, seinen Holden und deren Liebsten und
führte die Sache der kreuzweisen Liebe.
In der stinkenden Oede, im heissen Sand, am
seichten brutwarmen Wasser wälzte sich der ge-
bräunte Seidenfaden und griff von überall einen
Blick nackten Frauenleib, nackten Mädchenleib in
allen Rundungen, Beugungen, Streckungen, Hin-
gießungen.
* *
*

Seidenfaden mietete eine geräumige Mansar-
denstube nahe den Sanatorien und siedelte mit
seinem ganzen verstaubten und zerbrochenen Trö-
del über. Er hinterließ Schneekamps keine Kar-
toffel und Tomate.
Seinem neuen Heim, das ihn hegen und um-
frieden sollte, gab er in angestrengter Tätigkeit,
*ui Knieen rutschend, einen Anstrich mit weihenden
Farben. Er pinselte die schräge Dachdecke und
die lotrechten Stützbalken, welche durch die Stube
ragten, mit einer absolut weißen Leinfarbe an.
Dem Fußboden aber gab er einen Anstrich von
indigoblauer Lackfarbe, daß er gleißte wie Majo-
lika-Kacheln von Cadinen. Seine zerbrochenen
Stühle, durchgesessenen Rohrgeflechte, den un-
sauberen wüst behäuften Tisch, sein Piano bemalte
er mit dem gleichen blauen Lack, um ihn aufzu-
brauchen, und wenn seine Möbel davon nicht
heiler wurden, so wurden sie jetzt heiter dem
Ganzen wohl eingefügt. Das Fensterkreuz bekam
auch blauen Lack.
In diesem Himmel aus Indigo und Wolkenweiß
lebte Seidenfaden mit seinen bunten Manuskripten
und gemischten Marmeladentöpfen. Die Manu-
skripte verstaubten, und die Töpfe oder Büchsen
verstaubten, gefüllt oder geleert im Winkel, wo
das schräge Wolkenweiß dicht ins Indigo herab-
stieß. Dieser Winkel war Sinens liebster Ort, eine
runde Blumen-Vase, Geschenk einer Verehrerin
Seidenfadens, lag dort umgestülpt und war Sinens
Frauensitz. Hier naschte sie aus den süßen Töpf-
chen.
Die übrigen Räume der Wohnung, zu der
Seidenfadens Stube gehörte, waren im Besitz einer
jungen, lebenslustigen Wittwe.. Das eng nachbar-
liche Zusammenwohnen brachte alsbald trau-
lichere Beziehungen zur Witwe hervor. Bei ihren
allmählich regeren Besuchen auf Indigoblau und im
Wolkenweiß wurde sie sanft in die kreuzweise
Liebe eingeführt. Ehe Sine zum Bunten kam, saß
Lischen schon auf den dünnen, zaghaften Knieen
Schönlings und naschte aus Sinens süßen Töpf-
chen. Seidenfaden empfand das ahnungsvolle
Glück des kreuzweis Geliebten, wenn Lischen die
blossen Arme aus dem Morgenkleid hob, ihn um-
halste, seinen rötlichen Bocksbart küßte, ihre
Leibesfrische in seine welke Philosophie drückte,
indem sie aus dem Marmeladenglas mit den Fin-
gern schleckte. Lischen war fretiich weder die
ästhetisch stilgerechte und geistige Geliebte, noch
die ehelich dienende und strebend hingegebene Ge-
fährtin Sine — Lischen war die lebensfrische
Lustigkeit, die in zaghaften Zeiten alternden
Königen zur Anwärmung schläfriger Triebe des
Lebenswinters ins Bett gelegt wurde. Lischen
erheiterte, sie verscheuchte Sorgen, von denen
seine Stirn stockig und runzlig geworden war.
So oft Sine darauf drang, daß Bande von Amts-
wegen die flüchtigen Hände des Bunten Seiden-
faden mit ihren verflochten, so oft erfand Seiden-
faden wunderliche Ausflüchte, um sein günstiges
Junggesellenleben und seine Liebeserfindungen
weiter zu entwickeln. Sine, fügte sich unterwürfig
darein, sie geriet in immer größere Abhängigkeit
und Anpassung des kreuzweisen Zwanges, der ihr
süß schmeckte.
Zuweilen traf Sine Lischen noch auf Seiden-
fadens Knieen an, und sie durfte nicht sauer sehen,
wenn Lischen schleckte und mit Handkuß von
Seidenfaden bunt und duftig herabsprang. Dann
schmollte Sine düster auf der umgestülpten Vase.
Wenn aber des Geliebten rotwangig glänzendes
Angesicht sich ihr näherte, so half alles nichts und
sie setzte sich gern auf seine noch warmen, dünnen
Kniee. Seidenfaden fand das Heiße, Reizende der

Liebe und Küsse heraus, wenn Zudritt geliebt
wurde, die Liebe wurde intensiv, energisch,
heroisch. Die Vertilgung der Eifersucht machte
die Liebe feingeistig, vergöttert. Nun ließ
sich auch über die Liebe, die das schweigsamste
Ding von der Welt Beginn an war, unerhört viel
reden und theoretisieren.
Sine war grenzenlos eifersüchtig, sie verbitterte
schnell. Auf alle war sie eifersüchtig: Wittwe
Lischen, das Fräulein im Haus von Seidenfadens
Eltern, mit dem er nach dem Essen gern allein war,
die drei kleinen Dollingsmädchen, die zu sech-
zehnjähriger Magerkeit und asketischem Jungmäd-
chenleib heranwuchsen. Nicht zu zählen die Kniee,
Hüften und Arme der jungen Mädchen und Frauen,
die Seidenfaden im Bahn-Abteil gegenüber, neben
ihm saßen und sich an ihn drückten, nicht zu
zählen die Vielen, die im Sonnenbad durstig an
seinen blossen Leib sich schmiegten.
Sine saß im Winkel, wo Wolkenweiß dicht in
Indigo herabstieß, und zählte trüb die noch nicht
geschleckten Töpfchen.
Fortsetzung folgt

Lieder
Wilhelm Runge
I
Mittag
Blut fließt aus der Adern Mittagsenge
hält den Atem an ganz losen Leinen
mäht die Sonne hin in goldnen Garben
sammelt sommersummend
Bund um Bund
Dörfchen hängt am hohen Schilf des Tages
hebt und senkt die dächerbunten Flügel
und des Himmels überlichte Wasser
sprudeln Blumenzwitscher
Vogelschrein
H
Schrecken zäunt die spieligen Gedanken
Mondschein hätschelt seine wilde Nacht
zuckend blutet Welt vom Sims der Sterne
Seele hastet herzen wimmre Wunden
wankend
tastet zager Sommertag
IH
Duften steht mit ausgebreiten Händen
kraus springt Sonne über keck Gesträuch
leise weiden grille Wolken Träume
blauen Himmel streichelt koses Gras
Sonne wiegt im Moos die tanzen Sterne
und die Wälder schweben drüberher
Rosen kosen die verschämten Wiesen
schüchtern faltet Blut die trillre Hand
Bäume hetzen ihre grünen Segel
Winde liegen flüsternd ohrinohr
Summen hascht die flatterhaften Blumen
Bienen tropfen
Steine atmen schwer

Legende vom Prinzen
und der Tänzerin
Rudolf Alker
Es war eine Tänzerin im Reiche Gottes.
Ihre Zehenspitzen sprühten Feuer im Wirbeln.
Lind ihre Kinderschenkel waren süsse
Beischläferinnen.
Der Prinz hatte braune Augen und einen
goldgestickten Kragen.

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