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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Erstes Heft (April1916)
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Walden, Herwarth: Bilder: Vortrag zur Eröffnung der Sturm-Ausstellung in Den Haag
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Essig, Hermann: Der schöne Beck
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0010

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zwar anwenden, aber arbeiten kann man nur,
wenn man den Ursprung der Formel kennt.
Die Origo, der Ursprung, wird ja theoretisch sehr
beim Künstler geschätzt, wie soll eine Originalität
aus dem Ursprung eines andern Boden fassen,
wenn man nicht einmal den Ursprung des andern,
sondern nur seinen Stand nach dem Sprung aus-
wendig lernt. Oder mit den Händen nachmacht.
Während jener sprang. Die Origo ist doch nicht
die Erfindung des allerältesten Meisters, dann
wäre er allein nur Original gewesen. Auch er, der
allerälteste Meister, muß doch irgend woher ge-
sprungen sein. Sprünge werden wenigstens
noch nicht verpachtet. Man kann sich auch
die Originalität nicht leihen, selbst nicht von
dem reichsten Künstler. Der Urgrund, aus
dem der Ursprung erfolgt, ist kein Boden.
Aus dem Ewig-Fliessenden springt der Künstler
auf den Boden, er nimmt Gestalt an. Aber
niemals wird das Ewig-Fliessende in gleicher
Gestalt Form werden. Formeln lernen und Formeln
nachmachen ist eine Beschäftigung für Schüler.
Kind und Künstler fangen den Kegen mit bittend
geschlossenen Händen auf. Die andern nehmen
den Regenschirm.
Nun haben die Denker die Sache erfaßt. Also
Kunst ist gar keine Kunst. Die Denker können
sich das Kaleidoskop nehmen und dann stürzen
Farben und Formen ineinander. Oder sie sehen
sich eine Palette an. Gewiß, Kunst ist ein Zufall,
aber sie fällt eben nicht Jedem zu. Und das Ka-
leidoskop und die Palette sind kein Zufall. Sie sind
nämlich gemacht. Kunst ist gar nicht schwie-
lig, wenn man Künstler ist. Nicht der
Meisterschafts-Springer, der aus unsichtbarer
Höhe abspringt, gerät in Angstschweiß, sondern
das Publikum. Es springt nur, wer springen kann.
Gefahren sieht man unten. Das ist nicht die Kunst,
d a ß er springt. Sondern daß -er springt. Aber
wir sind so ängstlich, daß wir den Andern das
Springen verleiden wollen. Bleiben wir doch end-
lich einmal ruhig. Es springt nur, wer springen
kann. Bewundern wir den Sprung und nicht die
Gefahr.
Die Sonne fragt auch nicht ergebenst an, ob sie
die Erde vergolden darf. Sie tut es. Der Künstler
soll ergebenst anfragen. Warum soll er? Wem die
Kunst zu sonnig ist, der kann sich ja begraben
lassen.
Darf ich Sie nunmehr bitten, diese Bilder zu
betrachten. Keinen Auges und reinen Sinnes. Sehen
Sie nur. Kümmern Sie sich bitte zunächst
'einmal um weiter nichts, nicht einmal um die
Namen der Künstler. Nehmen Sie einmal an, Sie
erwarten einen Sonnenaufgang. Man muß ja nicht
nur immer eine Sonnenfinsterniß sich ansehen, zu
der man noch geschwärzte Gläser braucht. Der
Sonnenaufgang wird vorausgesagt. Ich zeige ihn
hiermit an. Aber nicht das ist erheblich. Er-
heblich ist es, die Sonne zu sehen. Auf welche
Weise die Sonne aufgeht und wie sie es macht,
das wird nie angezeigt. Mit Worten kann ich nur
sagen, daß es bestimmt nicht gemacht wird. Das
Scheinen ist eine Angelegenheit der Sonne selbst.
Sehen Sie ruhig hin. Lenken Sie Ihren Verstand
ab, sonst lenken Sie sich selbst ab. Gönnen Sie
der Kunst wenigstens Minuten Ihrer Sammlung.
Die Sammlung zur Kunst geschieht nicht
vor Ihnen, aber sie geschah.
Glauben Sie an die Kunst und sie wird vor
Ihren leiblichen Augen auferstehen.
Herwarth Waiden

Der schöne Beck
Hermann Essig
Der schöne Beck war verlobt!
Wie ein Orkan brauste es durch alle Kneipen
und Ballsäle. Wie hieß die Glückliche, welche das
entzückende Bärtchen Henri quatre kratzen fühlen
durfte? Eine Dame der Halbwelt natürlich. Man
konnte sich denken, daß Beck, ein schöner Mann,
Lumpengeschmack hatte.
Eine krause Wut zeichnete nach dem Be-
kanntwerden so manches Mädchenantlitz der
Oberwelt. Ein Beweis, wie beneidenswert eigent-
lich die Unterwelt war. Und man zweifelte nicht,
daß dieser schöne Beck es fertig bringen würde,
die berüchtigte Elena in der Oberwelt heimisch
zu machen.
Elena saß dann mit ihrem bukettierten Kufe wie
ein Schatten mitten unter den Frauen des unan-
tastbaren Leumunds. Es war nicht auszudenken.
Und doch war Beck so schön, daß keine einzige
gegen ihn Stellung zu nehmen wagte, er konnte
sich einfach alles erlauben. Man murrte in der
Stille und bewunderte seine Schönheit nach wie
vor laut.
Ganz anders stand die Sache mit Beck selbst.
Wohl hatte er sich verlobt, aber nur, um
scheinbar zu heiraten. Er wollte es prüfen, wie
der Wirbelwind in die Krinotlin-en fuhr. Deshalb
hatte er sich Elena ausgesucht.
Er hoffte diese Person ebenso leicht, wie er
sie genommen hatte, wieder abschieben zu können.
Dann wäre die Frauenwelt noch rasender um ihn
geworden, wenn er wieder frei war. Beck war
ein dämonischer Kavalier und hatte sich* dieses
Programm ohne Mephistos Hilfe zurechtgelegt.
Elena hatte in ihrem Leben schon wahrhaft
viel hinter sich und hatte energische Nüstern. Frei-
lich, der schöne Beck war kühn genug, ein Scherz-
spiel mit ihr zu wagen.
Elena, war sie so unerfahren geblieben, daß
sie dies nicht von der ersten Stunde an merkte,
wie er mit wohlgesetzten Liebesschwüren nahte,
heißes Begehren in den Augen?
Offenbar ließ sie sich von Beck anbeten nach
Herzensnöten und war der Spielball seiner Liebes-
leidenschaft. Man glaubte, ein Kindchen zu sehen,
so verändert war Elena. Sie gab sich ganz ihrem
Heiland, dem schönen Beck, hin und sie zeigte
sich hingegeben, unwiderstrebend allem, was er
von ihr begehrte.
So kam es, daß der schöne Beck viel von ihr
hatte und genug hatte, ganz wie er ahnte. Er
wußte, diese Hingabe an mich ist so groß, daß ich
die Hingabe auch nicht einbüße, wenn ich Elena
zu Boden trete.
Er erschien eines Tages bei ihr und erklärte
ihr, daß ein Ende sein müsse, müsse. Er hatte
erwartet Elena würde in Ohnmacht fallen, und er
würde sie ein letztesmal , in Krämpfen liegend, be-
sitzen, aber es war anders gekommen, der schöne
Beck erhielt eine glatte Ohrfeige.
Also so einfach kam er nicht los von ihr. Der
schöne Beck mußte krank werden, er, der Held,
mußte in eine sieche Krankenstube flüchten, um
Elena zu entgehen. Er mußte tun, als wollte er
seine Schönheit aufgeben, nur um ihr zu entrinnen,
Ueber Elena regneten die Flüche der ganzen
weiblichen Einwohnerschaft. Wahrscheinlich hatte
sie ihn krank gemacht. Sie war verrucht! Aber
Elena blieb ruhig und trocken mit energischen
Nüstern.
Beck wurde immer kränker, da die Braut ihn
täglich besuchte. Er verfiel in Fieber, und er
deutete dem Arzte an, daß die Besuche der Braut
für ihn aufregend und schädlich seien. Na-

türlich wurden die Besuche sofort verboten. Elena
lächelte, sie wußte schon. Es genügte ihr, wenn
sie sich künftig beim Pförtner des Krankenhauses
nach dem Geliebten erkundigte.
Beck fragte, ob die Braut es aufgegeben habe,
sich für ihn zu interessieren. Doch er erfuhr, daß sie
sich täglich zwei- bis dreimal sogar, unabwend-
bar, nach dem Befinden des todkranken Bräuti-
gams erkundigte. Beck schwitzte furchtbar, und
seine Taktik mußte durchdringen. Er verfiel in
Delirium.
Elena, eine Dame der Unterwelt, mußte es zu
duimm werden, sich mit einem kranken Kerl herum-
zuschlagen. Leider, Beck verrechnete sich gründ-
lich.
Er bat darum den Arzt, der Braut ja seinen
Zustand ungeschminkt mit der vollen erschüttern-
den Wahrheit seines nahen Todes zu berichten.
Der Arzt berichtete einfach pflichtgemäß, daß
es immer und immer, selbst den vereinten An-
strengungen von Professor, Medizinalrat und
Assistenzarzt nicht gelingen könne, die Diagnose
über die Krankheit des Herrn Beck richtig und
präzis zu stellen.
Die Krankheit war ein absonderlicher Fall.
Immerhin. Ein gewisses Fieber war da. Vielleicht
Entlobungswahnsinn.
Wenn die Aerzte zum schönen Beck hinein-
traten, so lag er meist im Delirium, schließlich. Er
delirierte von Ameisen, von Oxalsäure, von Büffel-
jagd, Tanzbeinen, Glasbläsern, Nordlandsreisen,
Hauswirten, ausgenommenen Hühnern, über-
schwemmten Kellern, Orchideenzucht und Kletter-
affen.
Ach, es war interessant, ihm zuzuhören. Der
Medizinalrat ahnte bald, daß dieses Delirium nicht
echt sein konnte. Das erste Mal blieb die Visite
zwei Minuten bei Beck und hörte nur kurz, was
er faselte.
Man verschrieb ihm eine Morphiumspritze mit
leichtester Dosis.
Beck war -entzückt, und er versäumte nicht,
es Elena wissen zu lassen, damit sie Furcht kriegen
würde, später einen Morphinisten zu besitzen,
wenn sie ihn nicht endlich aufgab.
Das zweitemal verweilte der Kat eine Minute
länger, und er flüsterte laut ,Morphium', sagte
aber leise .Wasser' in die Ohren der Assistenz.
Mit Beck wurde jetzt einfach Schindluder ge-
trieben. Jedesmal, wenn die Aerzte mit grimmigem
Gesicht bei dem Patienten verweilt hatten, mußten
sie sich nachher krampfhaft .zusammennehmen,
beim Verlassen des Zimmers nicht laut hinauszu-
lachen. Und der Medizinalrat war so perfid, täg-
lich eine gezählte Minute länger bei ihm zu bleiben.
Beck mußte auf diese Weise täglich länger deli-
rieren.
Der M-cdizinalrat sagte scherzend zu seinem
Begleiter: ,Merken Sie genau auf, unser Lieber
wird bald nichts mehr zu reden wissen, ich glaube
nicht, daß er ein so vorzüglicher Dichter sein
wird, bei jedem Tage seine Phantasie eine Minute
länger zu dehnen.'
Beck schwitzte allmählich Pein bei seinem De-
lirium, nun sollte er schon während der Dauer von
ganzen langen fünfzehn Minuten immer neue Ein-
fälle haben. Er merkte, daß er versagen würde,
und änderte seine Taktik.
Er war ja unter Anwendung von Wasser-
spritzen bereits ein verzweifelter Morphinist ge-
worden. Er beschloß, von jetzt ab in Apathie still
zu liegen.
Der Medizinalrat hatte gewonnen. Als sie ein-
traten und Beck still lag, schlaff, scherzte er laut:
.Sehen Sie, meine Herren, Herr Beck weiß nichts
mehr.' In diesem Augenblick wäre er beinahe auf-
geschnellt und aus dem Bett gesprungen, um das

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