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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Erstes Heft (April1916)
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Walden, Herwarth: Bilder: Vortrag zur Eröffnung der Sturm-Ausstellung in Den Haag
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0009

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Teil der Zeitgenossen ist zu stolz auf seine Augen,
mit denen er nicht einmal sehen gelernt hat. Er
verlangt vom Bildwerk die Wiedergabe des eige-
nen optischen Eindrucks, der nicht einmal sein
eigener ist. Hätte er ihn, so wäre er schon künst-
lerisch. Künstler sein heißt eine eigene Anschauung
gestalten können. Die Einheit von Anschauung
und Gestaltung ist das Wesen der Kunst, ist die
Kunst. Die großen Neuerer des neunzehnten Jahr-
hunderts haben ein doppeltes Erbe hinterlassen,
ein materielles, -das ihren Epigonen und Nachah-
mern von heute zufiel und das diese angstvoll
festhalten und ein geistiges, das mit dieser Aus-
stellung vorgeführt wird. Jene klammern sich an
d i ie Form, die Größere geschaffen haben. Statt
Eigenes zu gestalten, ahmen sie Gestalten ver-
gangener Bilder nach. Und zwar nur die Bilder,
nicht einmal die so kläglich oft herbeigerufene Na-
tur. Und Nachahmung kann nie Kunst sein. Es
bedeutet nichts, geliebte Bilder nachzufärben, oder
die geliebte Natur zu verfärben. Die affenhafte
Fähigkeit, nachzuahmen, vermißt man bei den
Künstlern der Gegenwart, die das geistige Erbe
der großen Neuerer angetreten haben. Man redet
von dem Fehlen der Form und meint das Fehlen
der Uniform. Menschen sind wir zwar alle, aber
trotzdem gleicht kein Körper dem andern. Das
Gleichen wird nur durch die Uniform vorgetäuscht.
Man bleibt sich gleich, auch wenn die Uniform mit
der Mode wechselt. Selbst ein Sich-Zurückanziehen
in Biedermeierröcke, Krinolinen, römische Togen
oder griechische Faltenkleider ändert am Körper
nichts. Und den Körper der Kunst ändert nicht
'einmal das Licht von außen, nicht einmal das Hell-
Dunkel. Den Körper ändert ausschließlich der
Geist, dem der Körper dient. Den Körper ohne
Geist zu malen, ist keine Kunst. Man malt aber
noch nicht geistig, wenn man Geister malt. Selbst
ein schöner Geist ist nur ein Schöngeist, also
kitschig. Kunst ist die persönliche Gestaltung eines
persönliches Erlebnisses. Das Einzige, was den
Künstler bindet und zugleich ihm Halt gibt, ist das
Material seiner Kunst. Jede konventionelle Form
aber ist ein Gerüst für einen einstürzenden Bau
oder ein Korsett für einen verfallenden Körper.
Kunst ist Geburt und nicht Wiedergeburt, auch wenn
man sie Renaissance nennt. Wenn man eine edle
Frucht gemessen will, muß man die Schale opfern.
Auch die schönste Schale hilft nicht über die Schal-
heit des Innern. Der Künstler malt, was er schaut
mit seinen innersten Sinnen, den Ausdruck, die
Expression seines Wesens. Der Künstler ist sich
bewußt, nur ein Wesen der Wesenheit zu sein. Er
ist vergänglich und deshalb sich selber wie alles
Vergängliche ihm nur ein Gleichnis. Er spielt
im Leben, er spielt mit dem Leben, er spielt Leben.
Der Eindruck von außen wird ihm der Ausdruck
von innen. Er ist Träger und Getragener seiner
Visionen, seiner inneren Gesichte. Kann er dafür,
daß Gesichter anders aussehen. Wurde Beethoven
sein Rhythmus vormarschiert? Wohl aber ließ er
Alenschenheere aller Länder nach seinem Willen
stürmen, siegen oder fallen. Große Meister der
älteren Zeit, Matthias Grünewald und Greco,
Seghers und Cezanne bildeten die Menschheit nach
ihren Bildern. Die jüngstvergangene Malerei
stellte die Menschheit zu Kostümfesten zu Wasser
und zu Lande auf. Die Künstler haben nicht
mehr gebildet, dafür waren sie es. Der wirk-
liche Künstler muß der Bildner seiner Bildungen
sein. Und die Gebildeten insgesamt sollten sich
endlich entschliessen, aus der Passivität der Bil-
dung zur Aktivität des Bildes aufzuschauen.
Die Bildung ist eine Tatsache, die die Tat
vernichtet und uns zu einer Sache macht. Wir
schliessen unsere allgemeine Bildung ab, und
werden Spezialisten. Wir nennen uns dann auch
Analytiker. Und bringt die Sache wenig Geld ein,

nennen wir uns Wissenschaftler. Manchmal auch
Forscher. Wir forschen nach den Elementen. Erst
gab es nur vier, daun sechzig, jetzt ungefähr ein-
hundert. Und jedesmal, wenn die Herren Forscher
die Elemente ansehen, sind es wieder mehr. Wir
forschen nach den Bakterien, finden sie, aber die
Krankheit wuchert ruhig weiter, nur wissenschaft-
licher. Wir forschen nach den alten Aleistern und
finden jeden Monat neue Rembrandts. Erst
neulich hat ein ganz großer Rcmbrandt-
forscher festgestellt, daß Rembrandts Reichtum
mit seiner Armut zunahm. Ein altes Rezept
übrigens, das immer noch wie neu auf Ärzte wirkt.
Andere Kunsthistoriker suchen die Plätze auf, an
denen ein guter Mensch geweilt hat und die er
ihnen nicht vorenthielt. Das Meer sieht zwar
anders aus, wenn man hinkommt, aber man be-
ruhigt sich, das Wetter war eben damals offenbar
günstiger. Die Landschaft hat sich verändert, man
mußte die Bäume fällen, um Häuser zu bauen, auf
daß die Landschaftsbilder einen Platz fänden, sie,
die es mehr gibt, als Bäume aller Wälder. Die
abgemalten Menschen sind gestorben, aber irgend-
wo lebt immer die Kusine einer Kusine.
Und mancher Schädel hat sich noch tadellos in
der Erde erhalten. Das ist die vergleichende
Kunstwissenschaft. Kunstwissenschaftler, die nicht
mehr ganze Bilder sehen können, beschäftigen sich
mit interessanten Einzelheiten, insbesondere mit der
Zusammensetzung der Leinwand. Einzelheiten, die
ihnen nicht passen, nennen sie übermalt. Sie lösen
mit der Kraft der Elemente alles ab und o Wunder,
jedes Mal war eine Untermalung da. Elemente sind
nämlich klüger als Kunsthistoriker. Elemente sind
Synthetiker, sie binden, was die andern trennen.
Aber auf analytische Weise ist noch niemand
Kunstkenner geworden. Nicht darauf kommt
es an, daß der große Name noch lebt, sondern
darauf, daß das Bild lebt. Namen haften in jedem
Gedächtnis, Bilder nicht. Darum überleben die
Namen die Bilder.
Aber ein Bild lebt länger als alle Namen.
Ethnographie ist keine Graphik. Unsere Museen
sind ethnographische Anstalten und in den ethno-
graphischen Museen liegt noch die große Kunst
begraben. Die Kunst der Namenlosen. Der
Künstler sieht und sucht Bilder. Er erinnert
sich nicht, er ersinnt.
Seien wir doch einmal natürlich. Aber wirk-
lich. Denn wird man bestreiten wollen, daß unser
Körper und alle Körper sich fortwährend bilden.
Tut das der Körper nicht mehr, sind wir nämlich tot.
Doch während unser Körperliches lebt, steht unser
Verstand still. Wir merken das nicht, denn unser
Verstand ist sehr schnell satt. Nur der Magen
schreit. Der Körper erinnert uns wenigstens an
sein Bilden. Plötzlich ist der Rock zu eng oder
die Bluse zu weit. Wir merken etwas. Der Ver-
stand ist satt. Wir wissen alles. Alles ist schon
dagewesen, nur wir sind nie dabeigewesen. Denn
wir wußten ja schon alles. Da kommt ein Mensch
und sieht den Körper wachsen. Man zieht doch
manchmal den Rock aus, es soll auch Menschen
geben, die durch die Röcke sehen. Es gibt Augen
die sehen, wie sich Zellen lieben. Forscher sehen
nur, wie sie sich trennen. Denn erst muß das
Leben herausgenommen sein, ehe man das Tren-
nen untersuchen kann. Aber die Liebe soll man
auch schon bei Lebenden gesehen haben. Die
Liebe, die umarmt, die; Liebe, die gebiert, die
Liebe, die Frucht trägt, die Liebe, aus der das
Leben blüht. Die Liebe untersucht nicht, die Liebe
sucht. Die Suchenden finden sich, vereinen sich.
Dichter, sogar alte Dichter, nennen Liebende ein
Bild für Götter. Bilder sind stets für Götter.
Nur wenn man Liebende abmalt, ist noch kein
Bild geschaffen. Liebende stellen sich nie zur Liebe
auf. Liebe wird gefühlt, von den andern noch

immer nicht geahnt, weil sie eben die Liebe nur
an der vollendeten Tatsache und nicht an der
Liebe erkennen.
Nun wissen Sie zwar noch immer nicht, was
ein Bild ist. Aber Sie fühlen es vielleicht. Wir alle
beobachten nicht, wie wir wachsen. Aber wir
sehen den Erwachsenen vor uns. Sehen wir doch
einmal auf die Bilder. Fragen wir doch einmal
nicht, wie sie gewachsen sind. Stellen wir uns
doch einmal nicht gegenseitig vor. Wir sind des-
halb nicht unhöflich, denn wir gehen ja nicht zum
Bilde. Wir stehen vor ihm. Oder richtiger unter
ihm. Warum stehen wir immer über dem Bilde.
Warum drängen wir uns dem Bilde auf. Seien
wir doch einmal bescheiden. Vielleicht stehen wir
\ or einem König, der nicht König spielt, weil er
König ist. Sehen wir doch einmal hin. Sehen wir
doch einmal, wie auf diesen Bildern Formen und
Farben nnt einander spielen, Formen und Farben
in innigsten Beziehungen leben, Formen und Far-
ben glücklich sich selbst genug sind. Sehen wir
doch einmal wie dort Strenge starrt, dort Milde
bläut, dort Glück rötet, dort Liebe grünt, dort
Haß vergilbt, aber wehren wir schnell unserm Ver-
stand. Denn Liebe grünt nicht nur, Liebe rötet
auch, Haß vergilbt nicht nur, Haß schwärzt auch.
Jedes Wort ist nur ein Gleichnis, jedes Bild nur
dann ein Sinnbild, wenn es m i t dem Sinn und
nicht nach einem Sinn lebt. Sonst wird jeder
Sinn ein Unsinn. Denn jeder Unsinn stammt aus
dem Sinn. Und wenn man schon verständig sein
will, so sei man wenigstens vernünftig. Der eine
liebt eine dicke Frau, der andere eine schlanke.
Der eine kann Eichen nicht ausstehen, und der
andere ärgert sich über Lorbeer. Es gibt keine
Gesetze der Schönheit. Es gibt nur Gesetze des
Organischen. Alles Organische ist schön. Dick
oder dünn, kurz oder lang, das ist alles gleich,
aber organisch muß es sein. Warum soll jene
gerade Linie einen Knick bekommen, weil ein
Alensch zufällig eine Nase hat. Warum soll jenes
Dreieck einen Höker haben, weil auf dem Berge
ei:! paar Bäume stehen. Was gehen das Dreieck
die Bäume an. Kümmern sich die Nasen um die
geraden Linien oder die Bäume um die Dreiecke.
Also vergleichen wir nicht. Weder mit den alten
Aleistern, die meistens nur alt sind, noch mit der
Natur, die jünger ist als ihre Anhänger. Und wenn
schon der Verstand eine so natürliche Angelegen-
heit ist, wie man behauptet, warum soll es der
Geist nicht sein. Der Geist spricht zwar aus dem
Verstand, aber er offenbart sich vor dem Ver-
stand. Jede Mutter rühmt ihr Kind, das zwar noch
keinen Verstand hat, aber doch schon so viel emp-
findet. Schon? Woher hat es das Kind? Also muß
es doch etwas geben, was außerhalb des Ver-
standes der Eltern und der Aelteren liegt. Das
nämlich ist die eigentliche Anschauung, das
Schöpferische, das Bilden aus sich, das Ge-
stalten. Jeder Besenstiel ein Pferd. Nachher lernt
man, höchst verständig, daß das Pferd kein
Besenstiel ist. Auf dem Besenstiel konnten wir
einst alle reiten. Auf dem Pferd ist es schwieriger,
doch das lernt man schon.
Ein großes Staunen ist auf der Erde, wenn etwa
ein Handwerker Gedichte schreibt. Ein Hand-
werker, ohne Schulbildung, der vielleicht sogar
orthographische Fehler macht. Man ist noch nicht
Dichter, wenn man orthographische Fehler macht.
Mau kann es sein und orthographische Fehler kann
jeder Schüler verbessern. Technische Dinge sind
zu erlernen. Man ist noch nicht Maler, wenn man
Keine Technik gelernt hat. Aber mit der Tech-
nik ist man es noch lange nicht. Die erlernte Tech-
nik wird von den Laien überschätzt und von den
Kunstmalern. Es handelt sich nicht darum, Gelerntes
zu lernen, es handelt sich darum, aus s i c h zu
lernen. Auch das ist Technik. Formeln kann man

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