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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Zehntes Heft (Januar 1917)
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Walden, Herwarth: Für die Zeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0116

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Für die Zeiten
Der tragische Scheffler
Herr Karl Scheffler versucht sich jetzt ln der
Literatur. Er ist zwar noch immer für Lieber-
mann, aber gegen Ibsen. Wie ahnungslos, wie un-
künstlerisch Herr Sdheffier der Kunst gegenüber
steht,, hat er selber nie besser bewiesen, als mit
seiner Arbeit „Ibsen-Dämmerung", die die Vossi-
sche Zeitung für Staats- und gelehrte Sachen ab-
druckte. „Im Volksfeind läßt Ibsen seinen Doktor
Stockmann in dessen großer Programmrede
sagen: Eine normal gebaute Wahrheit lebt, sagen
wir, in der Regel, siebzehn bis achtzehn, höch-
stens zwanzig Jahre; selten länger. Dieser Aus-
spruch richtet sich nun auch gegen die Wahr-
heiten, die Ibsen in seinen Dramen verkündet hat,
auch diese sind schon recht gealtert und einige
von ihnen werden demnächst ganz eingehen."
Herr Scheffler hält also Künstler für Menschen,
die Wahrheiten verkünden. Vielleicht hält sich
deshalb Herr Scheffler selbst für einen Künstler,
wenn seine Wahrheiten auch nicht einmal normal
gebaut sind. „Ibsens Wahrheiten sind schneller
sterblich, weil ihnen das Elementare fehlt, weil
sie alle absichtsvoll gedacht, weil sie überhaupt
zu sehr gedacht sind; es sind nicht so sehr all-
gemein menschliche als vielmehr soziale Wahr-
heiten. Und sie sind darum abhängig vom Wandel
der sozialen Anschauungen und Einrichtungen."
Hingegen findet Herr Scheffler den WaHenstein
und den Oedipus elementar und „ewig aktuell".
Er hält Ibsen offenbar deshalb für einen Na-
turalisten, weil in seinen Dramen Journalisten Vor-
kommen. Wahrheiten werden für ihn dann ewig
aktuell, wenn sie in ein historisches Kostüm ge-
steckt werden. Er sieht das Unkünstlerische in
Kleidern nicht, hält aber die Kleider für künst-
lerisch. Die Bilder müssen natürlich und die Dra-
men unnatürlich sein. Er hält es für eine allgemein
menschliche Wahrheit, seine Mutter zu heiraten,
aber für eine soziale Wahrheit, daß der stärkste
Mann allein steht. „Der Wandel der sozialen An-
schauungen und Einrichtungen hat es mit sich ge-
bracht, daß die stärksten Männer sich zu Ver-
bänden zusammen schließen." Sei es auch nur zum
Verband der Berliner Kritiker. „Dem Zuschauer
fällt es immer häufiger auf, wenn er sich im
Theater selbst beobachtet, daß gewisse Züge
dieser Dramen, die früher quälend und beunruhi-
gend gewirkt haben, heute satirisch, ja ausge-
sprochen komisch auf ihn wirken." Ueber das Be-
unruhigende hat sich der Zuschauer stets dadurch
hinweggesetzt, daß er es komisch findet. Immer
mit die Ruhe. Die Züge kommen mir bekannt vor.
Hierauf verfolgt Herr Scheffler die Züge, da er
nicht mitfahren kann: „Verfolgt man die Emp-
findung, so gelangt man bald zu der Erkenntnis,
daß Ibsen sich grundsätzlich in seinen bürger-
lichen Dramen im Stil vergriffen hat, und daß er
es hat tun müssen, weil er zu sehr abhängig ge-
wesen ist von den zeitlich beschränkten Wahr-
heiten." Herr Scheffler tut es eben nicht unter
der Ewigkeit und er ist so schnell zu der Erkennt-
nis gelangt, weil er nicht schneller laufen konnte.
Also ausgesprochen komisch wirkt Ibsen auf
Herrn Karl Scheffler. Das nennt der Mann Er-
kenntnis. „Sieht man das Lebenswerk dieses ge-
nialen Mannes (— der sich grundsätzlich im Stil
vergreift —) tendenziös an, so stellt sich heute
wie von selbst die Ueberzeugung ein, daß die
meisten der Stoffe, woraus Ibsen seine Tragödien
der menschlichen Seele gestaltet hat, mit unge-
wöhnlicher Bildungskraft, mit einer Kunst, worin
oft ein altmeisterliches Können ist, recht eigentlich
Lustspielstoffe sind, daß die Gestalten, die sich so

intensiv aber immer auch passiv mit ihren Emp-
findungen beschäftigen, als sei das die einzig
ernste Angelegenheit des Lebens, ihrer Anlage
nach zumeist Komödienfiguren sind." Die Erkennt-
nis des Herrn Scheffler ist noch nicht sehr weit
gelangt, sonst müßte er wissen, daß Lustspiele
keine Komödien sind und daß jede Komödie auch
eine Tragödie ist. Es ist zum Beispiel ein Lust-
spiel, wenn Herr Scheffler das Leben mit seinen
einzig ernsten Angelegenheiten für eine klassische
Tragödie hält. Dabei ist die Angelegenheit nur
eine Angelegenheit des Empfängers. Denn: „Diese
Behauptung ist auch von anderer Seite schon aus-
gesprochen worden." Die andere Seite von Herrn
Scheffler besteht aus zwei Herren, nämlich den
Herren Paul Ernst und dem Badener Arzt Georg
Groddeck. Herr Paul Ernst hat nicht etwa gegen
Nietzsche geschrieben, das war wiederum Herr
Otto Ernst, hingegen ist er Neu-Klassiker, verfügt
also über zeitlich unbeschränkte neue Wahrheiten.
Herr Scheffler legt sich aber noch mehr auf die
andere Seite: „Vielleicht haben auch andere noch
in diesem Sinne geschrieben; jedenfalls sind die
Stimmen ungehört verhallt." Die Stimmen schrei-
ben in diesem Sinne und verhallen, weil sie sich
verschrieben haben. Herr Scheffler hingegen
schreibt verhalten: „Jetzt scheint aber eine ge-
wisse allgemeinere Bereitschaft da zu sein, es
scheint an der Zeit, einmal eine Diskussion in
größerem Umfange zu eröffnen." Die Stimmen
stimmen ab und die Diskussion gibt eine nette
Rundfrage für Tageszeitungen zu irgend einem
fröhlichen Fest. Man ahnt gar nicht, wie wichtig
es ist, eine allgemeinere Bereitschaft gegen Ibsen
mobilzumachen. Denn: „Es handelt sich ja
keineswegs um eine müssige oder eine nur lite-
rarische Formfrage, sondern um Fragen der Welt-
anschauung, die irgendwie jeden Einzelnen an-
gehen." Zwar handelt es sich um die Weltan-
schauung des Herrn Scheffler, die keine An-
schauung ist, sondern eine Frage, noch dazu eine
angehende Frage. Von Bildern versteht eben Herr
Scheffler nichts. „Die Entscheidung darüber, ob
die Menschen und Probleme, die Ibsen vor
unseren Augen dramatisch bewegt, tragisch oder
komisch aufgefaßt werden müssen, oder welche
innere Berechtigung die modernen Zwitterformen
der Tragikomödie, die sich bei Ibsen schon an-
kündigt, hat, zieht andere wichtige Lebensent-
scheidungen nach sich." Die wichtige Entschei-
dung, die Herr Scheffler zwischen der Kunst und
seinem Leben trifft, ist tragikomisch. Sie ist auch
humoristisch, weil Herr Scheffler sich einbildet,
bilden kann er nicht, daß Ibsen Menschen und
Probleme vor seinen Augen zu Gunsten der allge-
meineren Bereitschaft dramatisch bewegt. „Ibsen
und mit ihm sein Publikum — es war das beste
Publikum, das ein Dichter sich wünschen mag —
haben nicht über den Zeitproblemen gestanden,
sondern mitten darin." Herr Scheffler hingegen
steht über der Zeit, aber mitten in der Zeitung.
Er hat kein Gesicht, aber einen Gesichtspunkt.
Talent hingegen ist dem Ibsen nicht abzusprechen:
„Mehr Talent als Ibsen braucht ein Dramatiker
gar nicht zu haben; es reicht vollauf zu Ewig-
keitswerken, wenn die rechte Kunstform gefunden
und gemeistert wird." Die rechte Kunstform haben
die Herren Scheffler und Paul Ernst gefunden, nur
läßt sich die rechte Kunstform nicht meistern, der
Meister formt die Kunst. „Daß Ibsen offenbare
Lustspielstoffe mit grausamer Konsequenz ins
Tragische gezwungen hat, daß er widerstreitende
Elemente tragikomisch zusammengebracht und
aufs schwerste gegen das Stilgefühl gesündigt hat,
daß ihm die große Oekonomie der Klassiker fehlt
— das alles weist letzten Endes auf die selbe Ur-
sache zurück: der ungemeinen Qualität der Be-

gabung entsprach nicht die Qualität der Persön-
lichkeit." Alan denke sich eine Persönlichkeit wie
Herrn Karl Scheffler mit der ungewöhnlichen Be-
gabung von Ibsen, sie hätte jede Tragödie ins
Lächerliche gezwungen. Das ganze Leben hätte sich
anders entschieden. Und wenn man auch noch so
üppig auf Kosten der Klassiker lebt, sie alle zu-
sammen besitzen nicht so viel Oekonomie wie
Ibsen. Freilich konnte er nicht so sparsam mit der
Kunst umgehen wie Herr Scheffler. Sein Kavalier-
Kunst-Ersatz hat die Qualität des Kavalier-Ei-
Ersatzes, der in einschlägigen Geschäften empfoh-
len wird. Herr Scheffler hat eben einen Gesichts-
punkt, er setzt seinen lebensentscheidenden Punkt
auf das große I und versagt Ibsen: „Und diese
Persönlichkeit versagte auf dem entscheidenden
Punkt, weil sie determiniert war von einer Zeit,
die ein schlechtes unruhiges Gewissen hatte, die
erfüllt war von dunklen Gefühlen der Sündhaftig-
keit, der es an der Unbescholtenheit des Instinktes
fehlte." Diesen Satz schreibt Herr Scheffler mit
ruhigem Gewissen in die Zeitung, der stets der
Instinkt fehlt, namentlich wenn unbescholtene Per-
sönlichkeiten in ihr schreiben, die von ihrer Sünd-
losigkeit überzeugt sind. „Ibsen selbst steht im-
ponierend und auch ein wenig komisch da, wie ein
Sophokles im schwarzen Gehrock, mit Zylinderhut
und Regenschirm, mit einem durch scharfe Brillen-
gläser funkelnden Forscherblick und mit klein-
städtischen, klein-ländlichen Gewohnheiten." Ganz
anders dagegen der nackte Herr Scheffler, dessen
Blick auch ohne Gläser nicht funkelt, und der mit
großstädtischen Gewohnheiten den oder die
Moden-Alfred-Marie bespricht. Also Ibsen mußte
Komödiendichter werden, wenn er sich für das
Lebensgefühl des Herrn Scheffler interessiert
hätte: „Tragisch kann nur der Kampf derer, die
gern und stark leben, mit einem unentrinnbaren
Geschick sein, und dargestellt kann ein solcher
Kampf nur werden von einem Pathos, das dem
Skeptiker von vorne herein verdächtig erscheinen
muß." Dieses Deutsch ist zwar pathetisch, aber
noch nicht tragisch. Herr Scheffler kämpft mit
einem unentrinnbaren Ungeschick, das ihn von
vornherein unverdächtig erscheinen läßt. „Die
Skepsis hat Ibsen fast immer verhindert, den Be-
griff des Schicksals elementar zu fassen. Er hat
die allgemeine Tristheit des Lebens für tragisch
gehalten." Die allgemeine Tristheit des Lebens ist
die Lebensentscheidung des Herrn Scheffler, die
allerdings trist stimmen kann. Hätte Ibsen nur den
Herrn Scheffler kennen gelernt, es wäre sicher
daraus eine Komödie entstanden. Solche Typen
hat Ibsen mit begreiflichem Stilgefühl nie tragisch
genommen. Wenn er auch nicht über das Pathos
des Herrn Scheffler verfügte und über eine solche
Persönlichkeit. „Darum kann er in seinen Stücken
eigentlich nur Alenschen brauchen, die sich eigen-
sinnig verrennen und alle mehr oder weniger un-
vernünftig handeln und denken." Vernunft wird
Unsinn, sagte ein großer Klassiker, er hätte Herrn
Scheffler also auch nicht brauchen können. „Schwie-
rigere Situationen als die in Ibsens Dramen werden
vom einfachen Volk täglich ohne alle Tragik auf-
gelöst." Volk und Künstler wissen sich zu helfen,
nur die Kritiker nicht. Gewiß, alles geht mit die
Ruhe. Auch klassische Tragik wird vom einfachen
Volk täglich ohne Apparate aufgelöst. Romeo kann
Julia heiraten, die Jungfrau von Orleans wird
Frauenrechtlerin, Oedipus wird von dem Onkel
mitgeteilt, daß j ene seine Mutter ist. Es geht
glänzend. Namentlich aber, wenn man wie Herr
Karl Scheffler nicht nur über einen Willen, nein
auch über die Willensfreiheit verfügt. Herr Scheff-
ler kann nämlich sowohl so wie so: „Fast immer
fehlt der Zwang, der von außen kommt; der tragi-
sche Zwang bei Ibsen ist zumeist etwas Inner-

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