liches und ist darum eigentlich keiner, weil der
Mensch fast immer sowohl so wie so
kann." Es ist nicht zu bezweifeln, daß Herr
Scheffler sowieso sowohi so wie so kann. Der
Mensch kann fast immer, aber wenn er nicht kann,
schafft Ibsen die Tragödie. Herrn Scheffler hin-
gegen wird es erst dann tragisch zumute, wenn
der Zwang von außen kommt. Trotzdem es eigent-
lich unrecht ist, eine solche Persönlichkeit zu
zwingen. Ich habe nie gezweifelt, daß ein Zei-
tungsschreiber fast immer sowohl so wie so kann.
Nur kann er fast immer nichts, was man wieder
sowohl so wie so auffassen kann. Herr Karl
Scheffler aber verlautbart ahnungsios, wieso er
nichts von Kunst versteht: „Der innerliche Zwang
ist eigentlich keiner." Herr Scheffler kann vielen
Unsinn mit Vernunft schreiben, kein Gott hindert
ihn daran. Die Vossische Zeitung rechnet es sich
sogar zur Ehre und ihm als Honorar an. Ehre,
wem Honorar gebührt. Herrn Scheffler gab ein
Gott nichts zu sagen. Darum schreibt er gegen
Ibsen und gegen Kunst. Und nachdem Herr Scheff-
ler den Ibsen zerrissen hat, speist er ihn auf:
„Dieser seltsam große Mensch will geistig ver-
daut sein; wie Böcklin und Wagner, Nietzsche und
Tolstoi verdaut werden müssen." Ibsen liegt ihm
aber zu schwer im Magen. Denn: „Jetzt aber
scheint es an der Zeit, aus der Bezauberung auf-
zuwachen. Die Literaturkritik sollte sich des The-
mas Ibsen von neuen Standpunkten bemächtigen.
Umsomehr, als es eine sehr unterhaltende und be-
lehrende Tätigkeit wäre." Wenn die Kollegen nur
nicht von den Punkten herunterfallen. Ein Punkt
ist kein fester Stand. Und jeder Künstler ist so
groß, daß diese Art Kritiker nur auf die eigne Nase
. fallen kann. Das wird ein Fest. An langen Win-
terabenden stehen sich die Kollegen auf die ver-
schiedenen Punkte, Herr Scheffler steht sich etwas
unglücklich auf ein Fragezeichen, man unterhält
sich, indem man das Rätsel Ibsen löst und belehrt
sich, indem man das Rätsel Kunst für gelöst hält.
Mit Hilfe der einzig ernsten Angelegenheiten des
Lebens und mit dem lebensgroßen Pathos. Pathe-
tisch kündet Herr Karl Scheffler in der Vossisdhen
Zeitung die neue Zeit an: „Jetzt scheint eine neue
Zeit anzubrechen. Wie bestehen vor ihr Nora und
Hedda Gabler, Rebekka West, Ellida Wangel,
Helene Alving, Hilde Wangel." Es geht ihnen gut,
die neue Zeit war ihnen schon längstens bestens
bekannt. „Wie erscheinen den von Erfahrungen
dieser Zeit Belehrten Gregers Werle und Brand,
Stockmann und Solneß und andere Verwandte des
Edlen von La Mancha." Die lachen über Sancho
Scheffler, der so unsinnig vernünftig ist. Herr Karl
Scheffler ist die Persönlichkeit, die in der neuen
Zeit angebrochen wird. Sie ist aber nicht zu ver-
dauen. Gehen wir, meine Freunde, aus der neuen
Zeit. Gehen wir aus der Zeit. Die Zeit scheint
solchen Leuten neu anzubrechen. Wir aber
brechen die Zeit ab, damit wir beschienen werden
in Ewigkeit.
Neuorientierung
Das Berliner Tageblatt wundert sich über die
Posener Neuesten Nachrichten. Der Posener Kri-
tiker kennt Rilke nicht und schreibt ihn Rielke.
Er nennt ihn sogar einen unbekannten Dichter-
ling. Das Berliner Tageblatt ist sehr stolz, und
erklärt dem Herrn Kollegen aus Posen, daß der
unbekanute Dichterling Rainer Maria Rilke sei.
Der Name ist hierorts bestens bekannt. Ich könnte
dem Posener Kollegen helfen, wenn ich wollte.
Jeder wirkliche Dichter ist für das Berliner Tage-
blatt einmal ein unbekannter Dichterling gewesen.
Und jeder unbekannte Dichterling ist vom Ber-
liner Tageblatt als wirklicher Dichter gefeiert
worden. Der Herr aus Posen soll nur nicht zum
Berliner Tageblatt in die Schule gehen.
Hinaus in die Ferne
Herr Fritz Stahl versucht noch einmal gegen
den Sturm zu säuseln: „Nun aber hat der Sturm,
der sich wesentlich vom „Sturm" unterscheidet,
den jungen Maler aus Atelier und Parteicafe hin-
ausgewirbelt, und da draußen hat die große Natur
mit ihm ein ernstes Wort gesprochen und ihm
Aufgaben gezeigt, wo er bisher noch Probleme
sah. Noch ist er nicht ganz frei, irgend einer der
bösen Ismen fährt ihm hie und da noch einmal
ins Konzept." Der „Sturm" unterscheidet sich da-
durch nur wesentlich von dem Sturm, daß er auch
den Stahl aus der Kunst und aus der Kritik hin-
ausgewirbelt hat. So kann er draußen ein ernstes
Wort sprechen. Die große Natur wird den kleinen
Stahl plappern lassen und der kleine Stahl wird
glauben, er habe die Aufgabe gelöst, die ihm das
Berliner Tageblatt gestellt hat. Ein gegenständ-
liches Bild: Stahl hält Zwiesprach mit der Natur.
Naturbilder
Ich empfehle Herrn Stahl die Porträtmalerin
Thomann, Ansbacher Strasse 9, direkt am Witten-
bergplatz, fertigt Oei'porträts auch nach der klein-
sten Photographie, unter Garantie der vollkom-
menen Aehnlichkeit. Lebensgroßes Brustbild Mk.
95.—. Empfohlen im Anzeigenteil des Berliner
Tageblatts vom 14. November i916. Herr Stahl
möge sich der Nachwelt mit geschwellter Brust
für Mk. 95.— erhalten. Fehlt es doch nicht an
einigen Anerkennungen: „Herr Exporteur M„ Ber-
lin, Wilhelmstraße. Nachdem die beiden bei Ihnen
nach Potographien bestellten Oelportraits (Herren-
und Damenbildnis) jetzt fertiggestellt und in
meinen Besitz gekommen sind, kann ich nicht um-
hin, Ihnen nochmals mitzuteilen, daß die Bilder
wirklich vorzüglich ausgefallen sind. Dieselben
waren für ein Geburtstagsgeschenk bestimmt unc
war die Ueberraschung und Freude über die über-
aus gute Wiedergabe der Bilder ungemein groß.
Der damit beabsichtigte Zweck ist voll und
ganz erfüllt worden, aber auch von allen
anderen Seiten sind die Bilder als sehr gut
ausgefallen bezeichnet worden." Nicht damit ge-
nug. „Frau Ingenieur R„ Nollendorfstraße,
schreibt: „Die künstlerische Ausführung, sowie
die Aehnlichkeit des von Ihnen gemalten Portraits
meines Mannes befriedigt mich dermaßen, daß ich
mich ebenfalls malen lasse." Nicht damit genug:
„Herr Bankdirektor Dr. K„ Kurfürstendamm: Das
Bild meines Vaters hat allgemein gut gefallen und
bitte noch drei Stück zu malen." Aufgaben,
Herr Stahl, ohne Ismen und ohne Probleme. Na-
türliche Bilder, mit gesunden Augen gemalt und
von gesunden Augen anerkannt.
Der Ekel
Die Kölnische Zeitung hat eine vergnügliche
Rubrik „Kunst, Wissenschaft und Leben". Für
diese Rubrik wird allerlei gefunden: „In den Blät-
tern für Kunst und Kritik, der literarischen Bei-
lage des Kölner Tageblattes, finden wir folgende
vergnügliche Buchbesprechung aus der Feder von
Max Ernst, die wir tmsern Lesern nicht vorent-
halten möchten." Das Kölner Tageblatt hat näm-
lich Kunst gefunden, und die Kölnische Zeitung
möchte sie dem Leben nicht vorenthalten. Die Be-
sprechung von Max Ernst wird also nachgedruckt,
ln ihr heißt es: „Zeitungen begeiferten August
Stramm zu ihrer Schande. Das Geschehen ant-
wortete mit tiefster Beschämung: Das Leben des
Hauptmanns Stramm geschah seinen Tod in der
Schlacht, als Zeitungen seinem verrückten Geist
eine vierzehntägige Kur im Schützengraben ver-
schrieben." Hierzu bemerkt die Kölnische Zei-
tung: „So, nun weißt du es, verehrter Leser —
sofern du nämlich zu jenem halben Dutzend von
Auserlesenen gehörst, die heute das literarische
Geschehen der Zukunft machen. So du aber zu
der großen Hammelherde der übrigen Sterblichen
gehörst, die noch mitten drin stehen in den lite-
rarischen Vorurteilen einer verblödeten Gegen-
wart, dann stehst du da wie der Ochse vor dem
Scheunentor . . ." Von solchen Ochsen läßt sich
nicht einmal die große Hammelherde mehr leiten.
Also lies das Buch von Stramm! Oder hast du
schon genug an der Kritik des Herrn Ernst? Ernst
ist die Kritik und zum „Stramm"peln diese
Kunst!" Es gehört wohl nicht zu den literarischen
Vorurteilen einer verblödeten Gegenwart, solche
Witze für schamlos zu erklären.
DasX für ein U
„Jugendlicher Unreife entsprechend, steht die
Erörterung sexualer Dinge im Vordergrund. Nir-
gends ist auch in diesem Bemühen ein Sinn, ein
Zweck, ein Ziel faßbar." Das steht zu lesen in
der Zeitschrift „Die Hilfe" und diese Sätze schrieb
Herr Universitätsprofessor Richard Hamann in
Marburg an der Lahn. Diese sexualen Dinge fin-
det Herr Professor Hamann in der Zeitschrift
„Der Sturm". Jugendlicher Unreife entsprechend,
ich bin nämlich ein Jahr älter als Herr Professor
Hamann, bemüht er sich um einen Zweck, der
keine Ursache hat. Der Herr Professor steht sehr
im Vordergrund und wagt sich nach Berlin. Er
schreibt über den Sturm und über Kandinsky. Das
tat er auch schon im Hintergrund an der Lahn.
Zu Marburg veranstaltete die Buchhandlung Ebel
im Februar 1914 eine „Ausstellung moderner ex-
pressionistischer und futuristischer Kunst". Das
glaubte Herr Professor Richard Hamann der
Buchhandlung und schrieb in den Marburger Zei-
tungen also über Kandinsky: „Den Höhepunkt rein
künstlerischen Komponierens stellen wohl die
Bilder Candinskys vor, Opus 4 a, Opus 63... das
ist das rein Malerische, grenzenloser Zusammen-
klang der Farben — unbestimmt, mystisch, wie
Musik der Sphären, Harmonien, die nun den Ur-
grund der Welt ahnen lassen.... Von der Souve-
ränität dieser Künstler gibt einen Begriff eine uns
vielleicht Marotte erscheinende Kleinigkeit: Can-
dinsky — der sich sonst Kandinsky schreibt —
schreibt sich hier einmal zur Abwechslung mit C.
Auch wird der aufmerksame Betrachter bemer-
ken, daß die meisten Bilder mit Pastellstiften ge-
malt sind, der schnellsten Technik — denn wie
wäre es möglich, diesen von aller Materie gelösten
nur die Anschauung nicht die Substanz der Dinge
betreffenden Ideen zu geben, wenn die Künstler
gezwungen wären, auf das Trocknen der Farben
zu warten, bis sie eine andere darüber setzen
könnten." Die Maler hatten sich offenbar für
Marburg verschworen, sich über die Buchstaben
hinwegzusetzen. Denn Herr Professor Hamann
schreibt weiter: „Ich hebe nur die Federzeich-
nung eines Athleten (Nummer 2 der Sieger von
Denoir) hervor, nur noch Brustfieisch." Von D
auf R konnte der Herr Professor nicht springen.
Wenige Tage später las Herr Professor in seiner
Zeitung: „Was einige wußten, manche im stillen
ahnten.... die Ausstellung war ein Scherz, ein
Fastnachtsulk." Aber die Marburger Zeitung hatte
einen sanften Trost für ihren Kunstkritiker Ha-
mann: ..Denn denen, die alles für Ernst nahmen,
sei zum Trost gesagt, daß sie weniger Vorwurf
als die Künstler Anerkennung verdienen, da einige
Mensch fast immer sowohl so wie so
kann." Es ist nicht zu bezweifeln, daß Herr
Scheffler sowieso sowohi so wie so kann. Der
Mensch kann fast immer, aber wenn er nicht kann,
schafft Ibsen die Tragödie. Herrn Scheffler hin-
gegen wird es erst dann tragisch zumute, wenn
der Zwang von außen kommt. Trotzdem es eigent-
lich unrecht ist, eine solche Persönlichkeit zu
zwingen. Ich habe nie gezweifelt, daß ein Zei-
tungsschreiber fast immer sowohl so wie so kann.
Nur kann er fast immer nichts, was man wieder
sowohl so wie so auffassen kann. Herr Karl
Scheffler aber verlautbart ahnungsios, wieso er
nichts von Kunst versteht: „Der innerliche Zwang
ist eigentlich keiner." Herr Scheffler kann vielen
Unsinn mit Vernunft schreiben, kein Gott hindert
ihn daran. Die Vossische Zeitung rechnet es sich
sogar zur Ehre und ihm als Honorar an. Ehre,
wem Honorar gebührt. Herrn Scheffler gab ein
Gott nichts zu sagen. Darum schreibt er gegen
Ibsen und gegen Kunst. Und nachdem Herr Scheff-
ler den Ibsen zerrissen hat, speist er ihn auf:
„Dieser seltsam große Mensch will geistig ver-
daut sein; wie Böcklin und Wagner, Nietzsche und
Tolstoi verdaut werden müssen." Ibsen liegt ihm
aber zu schwer im Magen. Denn: „Jetzt aber
scheint es an der Zeit, aus der Bezauberung auf-
zuwachen. Die Literaturkritik sollte sich des The-
mas Ibsen von neuen Standpunkten bemächtigen.
Umsomehr, als es eine sehr unterhaltende und be-
lehrende Tätigkeit wäre." Wenn die Kollegen nur
nicht von den Punkten herunterfallen. Ein Punkt
ist kein fester Stand. Und jeder Künstler ist so
groß, daß diese Art Kritiker nur auf die eigne Nase
. fallen kann. Das wird ein Fest. An langen Win-
terabenden stehen sich die Kollegen auf die ver-
schiedenen Punkte, Herr Scheffler steht sich etwas
unglücklich auf ein Fragezeichen, man unterhält
sich, indem man das Rätsel Ibsen löst und belehrt
sich, indem man das Rätsel Kunst für gelöst hält.
Mit Hilfe der einzig ernsten Angelegenheiten des
Lebens und mit dem lebensgroßen Pathos. Pathe-
tisch kündet Herr Karl Scheffler in der Vossisdhen
Zeitung die neue Zeit an: „Jetzt scheint eine neue
Zeit anzubrechen. Wie bestehen vor ihr Nora und
Hedda Gabler, Rebekka West, Ellida Wangel,
Helene Alving, Hilde Wangel." Es geht ihnen gut,
die neue Zeit war ihnen schon längstens bestens
bekannt. „Wie erscheinen den von Erfahrungen
dieser Zeit Belehrten Gregers Werle und Brand,
Stockmann und Solneß und andere Verwandte des
Edlen von La Mancha." Die lachen über Sancho
Scheffler, der so unsinnig vernünftig ist. Herr Karl
Scheffler ist die Persönlichkeit, die in der neuen
Zeit angebrochen wird. Sie ist aber nicht zu ver-
dauen. Gehen wir, meine Freunde, aus der neuen
Zeit. Gehen wir aus der Zeit. Die Zeit scheint
solchen Leuten neu anzubrechen. Wir aber
brechen die Zeit ab, damit wir beschienen werden
in Ewigkeit.
Neuorientierung
Das Berliner Tageblatt wundert sich über die
Posener Neuesten Nachrichten. Der Posener Kri-
tiker kennt Rilke nicht und schreibt ihn Rielke.
Er nennt ihn sogar einen unbekannten Dichter-
ling. Das Berliner Tageblatt ist sehr stolz, und
erklärt dem Herrn Kollegen aus Posen, daß der
unbekanute Dichterling Rainer Maria Rilke sei.
Der Name ist hierorts bestens bekannt. Ich könnte
dem Posener Kollegen helfen, wenn ich wollte.
Jeder wirkliche Dichter ist für das Berliner Tage-
blatt einmal ein unbekannter Dichterling gewesen.
Und jeder unbekannte Dichterling ist vom Ber-
liner Tageblatt als wirklicher Dichter gefeiert
worden. Der Herr aus Posen soll nur nicht zum
Berliner Tageblatt in die Schule gehen.
Hinaus in die Ferne
Herr Fritz Stahl versucht noch einmal gegen
den Sturm zu säuseln: „Nun aber hat der Sturm,
der sich wesentlich vom „Sturm" unterscheidet,
den jungen Maler aus Atelier und Parteicafe hin-
ausgewirbelt, und da draußen hat die große Natur
mit ihm ein ernstes Wort gesprochen und ihm
Aufgaben gezeigt, wo er bisher noch Probleme
sah. Noch ist er nicht ganz frei, irgend einer der
bösen Ismen fährt ihm hie und da noch einmal
ins Konzept." Der „Sturm" unterscheidet sich da-
durch nur wesentlich von dem Sturm, daß er auch
den Stahl aus der Kunst und aus der Kritik hin-
ausgewirbelt hat. So kann er draußen ein ernstes
Wort sprechen. Die große Natur wird den kleinen
Stahl plappern lassen und der kleine Stahl wird
glauben, er habe die Aufgabe gelöst, die ihm das
Berliner Tageblatt gestellt hat. Ein gegenständ-
liches Bild: Stahl hält Zwiesprach mit der Natur.
Naturbilder
Ich empfehle Herrn Stahl die Porträtmalerin
Thomann, Ansbacher Strasse 9, direkt am Witten-
bergplatz, fertigt Oei'porträts auch nach der klein-
sten Photographie, unter Garantie der vollkom-
menen Aehnlichkeit. Lebensgroßes Brustbild Mk.
95.—. Empfohlen im Anzeigenteil des Berliner
Tageblatts vom 14. November i916. Herr Stahl
möge sich der Nachwelt mit geschwellter Brust
für Mk. 95.— erhalten. Fehlt es doch nicht an
einigen Anerkennungen: „Herr Exporteur M„ Ber-
lin, Wilhelmstraße. Nachdem die beiden bei Ihnen
nach Potographien bestellten Oelportraits (Herren-
und Damenbildnis) jetzt fertiggestellt und in
meinen Besitz gekommen sind, kann ich nicht um-
hin, Ihnen nochmals mitzuteilen, daß die Bilder
wirklich vorzüglich ausgefallen sind. Dieselben
waren für ein Geburtstagsgeschenk bestimmt unc
war die Ueberraschung und Freude über die über-
aus gute Wiedergabe der Bilder ungemein groß.
Der damit beabsichtigte Zweck ist voll und
ganz erfüllt worden, aber auch von allen
anderen Seiten sind die Bilder als sehr gut
ausgefallen bezeichnet worden." Nicht damit ge-
nug. „Frau Ingenieur R„ Nollendorfstraße,
schreibt: „Die künstlerische Ausführung, sowie
die Aehnlichkeit des von Ihnen gemalten Portraits
meines Mannes befriedigt mich dermaßen, daß ich
mich ebenfalls malen lasse." Nicht damit genug:
„Herr Bankdirektor Dr. K„ Kurfürstendamm: Das
Bild meines Vaters hat allgemein gut gefallen und
bitte noch drei Stück zu malen." Aufgaben,
Herr Stahl, ohne Ismen und ohne Probleme. Na-
türliche Bilder, mit gesunden Augen gemalt und
von gesunden Augen anerkannt.
Der Ekel
Die Kölnische Zeitung hat eine vergnügliche
Rubrik „Kunst, Wissenschaft und Leben". Für
diese Rubrik wird allerlei gefunden: „In den Blät-
tern für Kunst und Kritik, der literarischen Bei-
lage des Kölner Tageblattes, finden wir folgende
vergnügliche Buchbesprechung aus der Feder von
Max Ernst, die wir tmsern Lesern nicht vorent-
halten möchten." Das Kölner Tageblatt hat näm-
lich Kunst gefunden, und die Kölnische Zeitung
möchte sie dem Leben nicht vorenthalten. Die Be-
sprechung von Max Ernst wird also nachgedruckt,
ln ihr heißt es: „Zeitungen begeiferten August
Stramm zu ihrer Schande. Das Geschehen ant-
wortete mit tiefster Beschämung: Das Leben des
Hauptmanns Stramm geschah seinen Tod in der
Schlacht, als Zeitungen seinem verrückten Geist
eine vierzehntägige Kur im Schützengraben ver-
schrieben." Hierzu bemerkt die Kölnische Zei-
tung: „So, nun weißt du es, verehrter Leser —
sofern du nämlich zu jenem halben Dutzend von
Auserlesenen gehörst, die heute das literarische
Geschehen der Zukunft machen. So du aber zu
der großen Hammelherde der übrigen Sterblichen
gehörst, die noch mitten drin stehen in den lite-
rarischen Vorurteilen einer verblödeten Gegen-
wart, dann stehst du da wie der Ochse vor dem
Scheunentor . . ." Von solchen Ochsen läßt sich
nicht einmal die große Hammelherde mehr leiten.
Also lies das Buch von Stramm! Oder hast du
schon genug an der Kritik des Herrn Ernst? Ernst
ist die Kritik und zum „Stramm"peln diese
Kunst!" Es gehört wohl nicht zu den literarischen
Vorurteilen einer verblödeten Gegenwart, solche
Witze für schamlos zu erklären.
DasX für ein U
„Jugendlicher Unreife entsprechend, steht die
Erörterung sexualer Dinge im Vordergrund. Nir-
gends ist auch in diesem Bemühen ein Sinn, ein
Zweck, ein Ziel faßbar." Das steht zu lesen in
der Zeitschrift „Die Hilfe" und diese Sätze schrieb
Herr Universitätsprofessor Richard Hamann in
Marburg an der Lahn. Diese sexualen Dinge fin-
det Herr Professor Hamann in der Zeitschrift
„Der Sturm". Jugendlicher Unreife entsprechend,
ich bin nämlich ein Jahr älter als Herr Professor
Hamann, bemüht er sich um einen Zweck, der
keine Ursache hat. Der Herr Professor steht sehr
im Vordergrund und wagt sich nach Berlin. Er
schreibt über den Sturm und über Kandinsky. Das
tat er auch schon im Hintergrund an der Lahn.
Zu Marburg veranstaltete die Buchhandlung Ebel
im Februar 1914 eine „Ausstellung moderner ex-
pressionistischer und futuristischer Kunst". Das
glaubte Herr Professor Richard Hamann der
Buchhandlung und schrieb in den Marburger Zei-
tungen also über Kandinsky: „Den Höhepunkt rein
künstlerischen Komponierens stellen wohl die
Bilder Candinskys vor, Opus 4 a, Opus 63... das
ist das rein Malerische, grenzenloser Zusammen-
klang der Farben — unbestimmt, mystisch, wie
Musik der Sphären, Harmonien, die nun den Ur-
grund der Welt ahnen lassen.... Von der Souve-
ränität dieser Künstler gibt einen Begriff eine uns
vielleicht Marotte erscheinende Kleinigkeit: Can-
dinsky — der sich sonst Kandinsky schreibt —
schreibt sich hier einmal zur Abwechslung mit C.
Auch wird der aufmerksame Betrachter bemer-
ken, daß die meisten Bilder mit Pastellstiften ge-
malt sind, der schnellsten Technik — denn wie
wäre es möglich, diesen von aller Materie gelösten
nur die Anschauung nicht die Substanz der Dinge
betreffenden Ideen zu geben, wenn die Künstler
gezwungen wären, auf das Trocknen der Farben
zu warten, bis sie eine andere darüber setzen
könnten." Die Maler hatten sich offenbar für
Marburg verschworen, sich über die Buchstaben
hinwegzusetzen. Denn Herr Professor Hamann
schreibt weiter: „Ich hebe nur die Federzeich-
nung eines Athleten (Nummer 2 der Sieger von
Denoir) hervor, nur noch Brustfieisch." Von D
auf R konnte der Herr Professor nicht springen.
Wenige Tage später las Herr Professor in seiner
Zeitung: „Was einige wußten, manche im stillen
ahnten.... die Ausstellung war ein Scherz, ein
Fastnachtsulk." Aber die Marburger Zeitung hatte
einen sanften Trost für ihren Kunstkritiker Ha-
mann: ..Denn denen, die alles für Ernst nahmen,
sei zum Trost gesagt, daß sie weniger Vorwurf
als die Künstler Anerkennung verdienen, da einige