Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

DOI Heft:
Zweites Heft (Mai 1916)
DOI Artikel:
Stramm, August: Die Unfruchtbaren: Tragikomödie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0020

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Unfruchtbaren

TragiAomödie
August Stramm

Tembeck
Kroller
Scherwenz
Murx J
Referendar Rohrbruch und Frau

Studenten

Vermieterin Frau Star sch
Bertin W Gegenwart

Studentenbude: an der Wand vom Fenster
links zur Tür, rechts ein kleines Schreibbureau,
ein Bett, ein Waschgestell und in der Türecke der
Kachelofen. Links neben der Tür eine Kommode;
gegenüber neben dem Fenster ein Kleiderriegel
mit verschlossenem Tuchvorhang; über dem
Waschgestell ein billiger Spiegel; mehr in der
Mitte ein abgetretener mit faseriger Litze einge-
faßter Teppich von unbestimmter Farbe, darauf
ein runder Tisch mit grellgeblümter Plüschdecke
und drei verschlissene mit Häkeldeckchen ge-
schmückte Lehnstühle verschiedener Größe und
Form. Neben Nippsachen und Bildern ä la garnie
hängen, stehen und liegen Studentenbilder und
Embleme. Bücher, Kleidungsstücke, Kragen,
Schlipse, Zigarrenkisten, Aschbecher umher.
Der Fenstervorhang ist vorgezogen, das Bett
ist abgedeckt und unbenutzt.
Tembeck (hockt bei brennender Petroleum-
lampe vor dem Schreibpult und arbeitet. Er hat
den Rock zugeknöpft, den Kragen hochgeschla-
gen, und beide Hände in den Rocktaschen; die
Fiisse in Filzschuhen schuffelt er an den Waden).
Kroller (schwer verschwiemelt, reißt die Tür
auf und bleibt, Hut im Nacken, Mantel aufge-
knöpft, auf seinen Stock gestützt im Türrahmen
stehen; er brüllt): Lampe aus! Schwerebrett!
Lampe aus! (tritt ein, haut den Stock aufs Bett,
geht zum Fenster und zieht den Vorhang zurück)
der helle Tag kuckt durchs Fenster!
Tembeck (blickt auf, ruhig): wisch dir mal erst
die Nacht aus den Augen.
Kroller (umarmt ihn tollaunig und drückt über-
mütig Tembecks Kopf auf das Schreibpult:
Junge... eine Nacht...
Tembeck (wehrt sich): Donnerwetter.
Kroller (läßt von ihm ab): Lampe aus! (er bläst
die Lampe aus)
Tembeck (streckt die Hand aus, um ihn zu
hindern): bei der Kälte!!
Kroller (fährt auf): noch nicht geheizt? neun
Uhr? (wirft Hut und Alantei ab, reißt den Stock
vom Bett und stürmt zur Tür): Frau Starsch!
Wirtschaft! Feuer! Kaffee!
(eine keifende Stimme antwortet vom hinteren
Flur)
Kroller (verschwindet im Flur und trommelt
mit den Fäusten an verschiedene Türen): Feuer!
Kaifeeee!
(Die keifende Stimme kreischt letzt auf dem
Flur zwischen dem Gebrüll)
Kroller (zerrt lachend Frau Starsch in Nacht-
jacke und Unterrock in das Zimmer)
Frau Starsch: Jemeinheit!
Kroller (haut ihr lachend mit dem Stock eins
hinten über)
Frau Starsch: au!
Kroller (überbrüllt sie): Jemeinheit!
Frau Starsch (sucht sich loszumachen): Sie!
Kroller (faßt sie lachend um und knutscht sie):
fühl bloß!
Frau Starsch (kreischt und quietscht auf):
Herr Kroller, ik ruf de Polzei (sie reißt sich los
und läuft raus): Jemeinheit!
Kroller (imitiert ihre Fettstimme): Jemeinheit!
(er dreht sich lachend um)

Tembeck (der sichtlich unangenehm berührt in
Büchern gekramt hat): laß das alte Weib in
Ruh.
Kroller (wirft sich aufs Bett): Mensch, du hast
keine Glut mehr
(Im Nebenzimmer fliegt ein harter Gegenstand
gegen die Wand, ein lautes Geschimpfe wird
hörbar und der Ruf: „Ruhe!")
Kroller (fährt lachend hoch): ho! Murx! Joseph!
haben wir den in seinen Träumen gestört? (er
haut mit der Faust gegen die Wand): hei! eins
zwei drei! (er geht den Stock schwingend zur
Tür): Hilfsstellung! (stößt in der Tür auf
Scherwenz, der in Hemd und Hose ungekämmt
und ungewaschen hereintritt und Kroller ins
Zimmer zurückstößt)
Scherwenz (wütend): vafluchter Saufbold! (er
wirft sich in den nächststehenden Fauteuil und
steckt fröstelnd die Hände in die Taschen)
Kroller (rempelt ihn): Saufbold?! du Sauf-
philister !
Scherwenz (schüttelt ihn unwirsch ab): ich
sauf überhaupt nicht mehr vastehst de? minde-
stens acht Wochen nich.
Kroller (beugt sich überrascht zu ihm herab
und starrt ihm ins Gesicht): Tatsache?! (tanzt
hohnlachend umher): Jemeinheit!
Murx (stürmt rein, ebenfalls wie Scherwenz in
Hemd und Hose, sich noch den Rock über-
ziehend, wütend): der Teufel hol euch alle mit-
einander! ich zieh, ich zieh sofort, ich will meine
Ruhe haben.
Kroller (faßt ihn an den Hals und wirft ihn
aufs Bett): Ruhe, Kameel, wer dir deine Ruhe
läßt, begeht n Verbrechen. Verstehst de . . was
hast de wieder für Ringe um de Augen?
Murx (entwendet sich ihm und springt auf): es
mag sich nicht jeder de Augen vom Kopp saufen.
Kroller (schüttelt ihn): meine Augen? meine
Augen haben ein Weib gesehn, ein Weib . . .
Frau Starsch (steckt den Kopf durch die
Türe): ich kann wohl den Kaffe für die Herren
jleichzus...
Kroller (wirft wütend seinen Schlapphut nach
ihr): ha, Fettwanze.
Frau Starsch (hat die Tür schon wieder ge-
schlossen)
Al u r x (sucht am Fußende des Bettes zwischen
Bett und Waschgestell und zieht eine Flasche
vor)
Kroller (sucht ihm die Flasche aus der Hand
zu winden): her mit dem Schnaps.
Murx (hält die Flasche kramphaft fest): ich ver-
bitt mir das, verstehst de (immer wütender):
ich verbitt mir das ein für allemal, deine alber-
nen Spässe
Frau Starsch (trägt ein Tablett, das mit vier
Kaffeekännchen, vier Milchtöpfchen, vier Zucker-
näpfchen, vier Tassen und acht Brötchen besetzt
ist): ja, vabitten, vabitt mer ooch . . . vastehn Se,
Herr Doktor, Sie (verteilt die Portionen auf den
Tisch): Spaß allemal, aber ze viel is ze viel, ann
friehen Alorjen, un Lischen, von wejen, wenn
die so wat bei ihre Mutter sieht.
Kroller (hat die Flasche losgelassen und sie
angestarrt): bist de schon wieder da? (er geht
zum Tisch und rafft die Zuckerstückchen zu-
sammen) : komm her (sucht ihr den Zucker in
den Mund zu stecken)
Frau Starsch (wehrt ab): Herr Kroller
Kroller (unbeirrt): Zucker jibt Fett, stoppt lose
Mäuler (er wirft ihr, da sie bereits durch die
Tür gehastet ist, die Zuckerstücke nach)
Tembeck (gießt Kaffee ein und bricht ein Bröt-
chen): der schöne Zucker
Murx (hat ein Gläschen auf dem Schreibtisch er-
wischt und schenkt ein)

Scherwenz (schiebt mit dem Arm verächtlich
die Kaffeetasse weg und streckt die! Beine untern
Tisch)
Murx (gießt denSchnaps runter und schüttelt sich
behaglich): ah! (er droht scherzend Kroller) du,
Lieschen!
Kroller (geht zum Tisch und gießt ein, ver-
ärgert): äh!
Scherwenz (mürrisch, ohne aufzublicken): laßt
die Finger von, rat euch, Finger von.
Murx (grienend, lauernd): hast de Erfahrung?
Scherwenz (mürrisch): genug . . für ein bai-
neologisches Praktikum in Aachen.
Kroller (setzt auf): Lieschen?
Murx (stellt die Flasche überrascht auf den
Tisch): von Lieschen?
Kroller (hupft auf die Knie schlagend jubelnd im
Zimmer umher): das steck ich Mutter Starsch,
Mutter Starsch (brüllt) Mutter . . .
Scherwenz (auffahrend): hältst de dein Maul!
Murx (nachdenklich vor sich hinstierend, grie-
nend, lauernd, lüstern; seine Fröhlichkeit hat
etwas fahriges, immer zum Umschlag drohendes,
bald ausgelassen überschäumendes, bald kind-
lich verstecktes): also darum warst de so oft
ze Haus, schlafe ze Haus, de letzten Wochen.
Kroller (höhnt): schlafe ze Hause, schlafe ze
Hause
Tembeck (schüttelt den Kopf und setzt sich)
Murx (grienend, schnalzend, die Augen ins Leere,
die Hände in den Taschen): nee . .. nee . . . seht
ihr, das verfluchte Weibsvolk
Kroller (höhnisch von der Seite): du hast doch
keine Bange nich
Murx (fährt auf): wie?!
Kroller (rührt in seiner Tasse und trinkt): du,
interessiert dich det nich, he? hab dich noch nich
jesehn
Murx (fahrig, hilflos, wütend): ich? ich?! dir auf
die Nase binden? ja (in plötzlichem rettendem
Einfall) hast de Tembeck schon mal gesehn?
Kroller (trocken): das ist ganz was anderes
(reißt dem Murx mit einem plötzlichen Ruck
die Hände aus den Taschen) Hände hoch!
Murx (dringt wütend auf Kroller ein): laßt mich
in Ruh (schlägt um sich und lacht blöde) eure
Dreckereien. Pfui Teufel (frech) und wenn
schon, ja, jeder nach seinem Geschmack
Scherwenz (macht eine Bewegung des Ekels)
Murx (begehrt auf): ihr?! kein Weib auf der
Straße ist vor euch sicher
Scherwenz (ruckt im Stuhl, angewidert): Feig-
heit! hundsgemeine Feigheit!
Murx (verständnislos): was?
Scherwenz (stößt wütend die Hand auf den
Tisch)
Kroller (höhnisch): n Kerl, der sich nich an n
Weib ranwagt
Tembeck (fährt mit der Hand nachdenklich
übers Gesicht): Feigheit
Murx (steht zusammengeduckt mit leeren
Augen): Feig . . .? (lacht laut auf und gießt sich
hastig einen Schnaps ein) habt ihr Ahnung (stürzt
hastig den Schnaps runter)
Tembeck (steht auf und zieht die Uhr)
Kroller: was siehst
Tembeck: Rohrbruch wollte mich besuchen
(Allseitigc überraschte Bewegung)
Scherwenz: Rohrbruch ?
Murx (steht mit glänzenden Augen): oh
Kroller: ach!
Scherwenz (trocken): was will er?
T e m b e c k (lächelnd): er macht seinen Doktor.
(Bewegung)
Kroller: Potz Blitz! (pfeift)
Murx (strahlend): neulich sah ich ihn mit seiner
jungen Frau.

!4
 
Annotationen