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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Neuntes Heft (Dezember 1916)
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Behrens, Franz Richard: Felden
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Knoblauch, Adolf: Seidenfaden, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0111

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Becher bersten Flügel
Katze packt Buchfink
Rotgelb hackt Blutgrün
Blut über Kotflügel sonnt naßblanke Spitzen
Dornen sitzen
Tränen sengen Blutsee
Tränen lachen Honigtropfen
Wiegen schwer tanzend auf dem Blut
Tanzsterne ertropfen Paradiesvögel
Dicke Käfiggitter kuppeln Kanten
Kreßgestreifte Tiger begieren haferbraunen Hasen
Hase streichelt weich große Sonnenblume
Leckt dotter Blütenblätter
Blume beugt
Hase rädert armen Raum
Schlägt wirre Purzelbäume
Silbersonnen baden aus der Blume lichtlohen Weg
zum Hasen
Hase legt sich ergeben in die Tigertatzen
Schneesiibrige Winterwiese atmet Nacht
Skabiosenhimmel stielt Vollmondkugel
Sterne streuen Frieden
Weite tiefe Silberschale schlingt in sich glänze
Aepfel
Birnen Aprikosen
Pralle Trauben randen
Büffel rennen Bäume ein
Birkenherb flirrt Maischein
Lerbeerzweige leiben Kronenkränze
Majestäten
Lämmer weiden Lilien
Silber leuchten dünne Herzen
Weiße Schwäne sieden golden Glasen
Lila Schwäne furchen mattes Meer
Schwarze Schwäne kreisen saphyr Glühen
Korallen lassen Wogen nagen
Edelweiße sterben Bergesbrand
Königskerzen trotzen Hummelheeren
Nachtigaiten tollen Morgeniicht
Trichtern trunken
Nachtfalter sieden Mondguß
Pfirsichblüten sirren nieder
Sprenkeln Taudiamanten
Drehende Goldurne klemmt Lohe
Bachblumen ranken wuchern Urne
Verschwinden
Libellen lachen hinein
Rauch biaut Purpurschleppen
Scheckige Raupen entleiben an Nesselhaaren
Menge kleiner knosper Raupen schwillt heraus
Stolpert in leckende Feuer
Dieselben Raupen weiden goldenen Leibes
purpurpunktiert silberne Weidenzweige
Vier Kondore fliegen lange feldes Meer
aufgehender Sonne entgegen
Fliegen schneller schneller
Sonne bleibt gleich fern
Kondore zerschmettern sich an porphyrfrühen
Granitzacken
die Leiber fliegen pfeilig Blutwolken dampfend
in das Sonnengold
Eine Marguerite dorrt
Viele Margueriten blühen

Einzelne Margueriten in vielen Margueriten
dorren und blühen
Tulpen und Hyazinthen neigen sich flutender
Flamme zu
Strahlender leuchten die Farben
Heller wuchten die Umrisse
Von der Flamme ergriffen brennen
Farben und Formen Juwelen.
V Wohnen
Blute Strahlen spritzen gleich orange Saffranfeuer
Blute Strahle speien kurze lange lange kurze
kurze lange Helle
Schimmer
Leuchten
Stern steht
Starken gelbt
Wälder wachsen
Berge felsen
Fluten strömen
Kamillen frist fast Sonne
Sand ackert dicken dunklen Acker
Dicht am zungenfrohen Feuermeer treibt
seltene Blume seltene Blüten fingerhutgroße blasse
Elefanten
Fallen zur Erde
Laufen fort
Kalifeuer kümmert hinten in der Ferne
Feld voll Elefantenblumen bärt blühend
Schwarze Falter fliegen Sonne
Schwarze Falter stürzen
Weiße Falter stürzen
Weiße Falter fliegen Sonne
Steine bleiben Steine beim Granatbrand
Sonnenuhr spielt unaufhörlich
Stundenglas sandet
Linden blüten Bruchsekunden
Vertrocknen
Scharlach tunkt den Boden
Blutbrand ringt um
Uhr und Glas stehen
Linden blühen lange Lerchen sonnenheiter.

Seidenfaden
Adolf Knoblauch
Fortsetzung
Die listige Sine, Dollings wohlgeratener Erst-
ling, prüfte den von Kerzenschein besonnten Leib.
Sie war unruhig, an den Füßen nicht ganz sauber
zu sein, aber die dämmernde Beleuchtung ver-
hüllte das Unvollkommene und beglänzte die
Schönheit. Sie erwartete mit klopfendem Herzen
die Freunde.
Seidenfaden geleitete den Freund an der Hand,
der Meister stellte den der Weihe Würdigen im
Tempel dar. Und Siegfried blieb an Seidenfadens
Hand stehen, betrachtete das schöne Weib, wei-
dete sich an ihrer „ästhetischen Linie". Dann
hauchte er zum Meister: „Darf ich . . .?" Er
durfte! Und er stürzte zum Divan, küßte und be-
rührte Sine am ganzen Leibe. Seidenfaden stand
neben dem Paare, glücklich, seine Eifersucht zu
besiegen, seine Augen zu weiden und zuschauend
zu genießen.
Sine tat die eine Hand auf das krause Haupt
des entbrannten Siegfried und reichte die Andere

dem lieben Gemahl, der ihr Haupt nahm, über
den Scheitel glättete, ihr Angesicht am Kinn hob
und sie auf den Mund küßte. Indes drückte Sieg-
fried die unteren, niederen Leibesglieder und
herzte die Freundin. So spielten sie das „Früh-
stück" von Manet.
Im schönsten Spiel wurde die Türklinke nieder-
gedrückt, und vom Flur rief Gabriele, die aus
irgend einem Grunde wach geworden war, nach,
ihrem Manne. Entsetzt sprang Sinchen auf, und
mit Bedauern sahen die jungen Leute die ästhe-
tische Hinterseite des Mädchens wie einen Mond
in der Gaststube zum weiß duftenden Bett ent-
schwinden.
Seidenfaden setzte sich auf das teppichverhüllte
Kleiderbündel, Siegfried öffnete und fragte Ga-
briele besorgt, warum sie nicht schliefe. Frau Ga-
briele sah im Zimmer die Unordnung, die brennen-
den Kerzen, den rotbäckigen Seidenfaden, und er-
lag ihrem traurigen Verdacht. Aber sie traute sich
vor Seidenfaden nicht, den Ereignissen nachzu-
gehen, verlangte aber, daß Siegfried sogleich zu
Bett ginge. Er hätte am anderen Morgen zu ar-
beiten. Siegfried war verstimmt wie eine Knabe,
der zu Bett gehen soll und die schönen Weih-
nachtsspielsachen verlassen muß.
Die Buntheit hatte Siegfried gefärbt. Das
genäschige Dreieck drängte es, die Idylle zu ver-
längern. Siegfried mietete ein entlegenes Turm-
zimmer in der alten Stadt fern von Gabriele, die
vom apostolischen Geiste der Ueberwindung recht
unberührt geblieben war. Aber Gabriele fügte
sich nicht in den Ehestand der Schmach, sie ver-
bot Siegfried alle Zusammenkünfte mit der Ge-
sellin des Bunten. Sie hatte auf geheimnisvolle
Weise die verderblichen Turmzimmerpläne des
verliebten Dreiecks ausgespürt.
Freilich blieben Siegfried immer die kleinen
Gelegenheiten, die sich darboten, wenn Geschäfte
der Partei ihn nach Berlin führten. Dann besuchte
er das bunte Paar in Sinens blauer Stube bei der
Mutter und nahm ftirlieb mit ein Bischen Drücken,
Kosen und Küssen, wobei sie angekleidet blieb: er
durfte höchstens die Bluse lüpfen. Aber auch „ein
Bischen" freute Seidenfaden und er sah genießend,
überwindend dem Spiele zu.
Das gelehrige Melusinchen war die Stolz-
Magdliche, Verschlossene, die alles Grelle, Harte,
Eifersüchtige mied. Sie ging den Stürmen aus dem
Weg, um auf der Stube, im Bett die süßen Leiden-
schaften des Bitteren zu genießen.
Sie hatte zuweilen Augenblicke trübsten Zwei-
fels, dann erkannte sie in der kreuzweisen Liebe
die ärmliche Vermummung sexueller Not und
in Seidenfadens unerschöpflicher unfruchtbarer
Liebeswut schwere erotische Belastung! Sie war
eines Tages zu Ostende im heiter menschen-
wimmelnden Kursaal sehr unglücklich, sie saß be-
reits eine Stunde schweigend mit Seidenfaden
inmitten fröhlicher Gespräche der Anderen, und
er hatte nicht einen Blick für sie, er starrte ohne
abzulassen auf eine unweit sitzende Dame und
machte ihr schöne Augen. Sine wich nicht einen
Augenblick von seiner Seite und maß den Grad
seiner Verliebtheit ihr zuleide. Beim Verlassen des
Saales wies Seidenfaden endlich darauf hin, daß
wiederum eine Dame verliebt in ihn sei, seinen Fuß
getreten, sein Knie berührt habe. An diesem Abend
weinte Sinchen und betrauerte sterblich ihr Los.
Doch des Bunten auserwählte Eigenschaften
gaben ihr die Schwungkraft wieder und sie folgte
ferner blindlings.
Mit wunderlicher Geschwätzigkeit hatte Seiden-
faden seiner Leidensgefährtin Jahre lang die Ent-
haltsamkeit der Frau als die Grundlage seiner
Liebe eingedrückt. Und die müssige Sine beschäf-

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