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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Neuntes Heft (Dezember 1916)
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Essig, Hermann: Der Wetterfrosch, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0105
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wieder vor auf iiin zu. Die Mitte vom See wurde
ganz leer und der Ring der Schwebenden außen
immer dichter. Stösse wie Weilen und Wogen er-
schütterten sein Ohr, wirbelnde Trommeln; als be-
reitete sich eine freudige Begrüßung vor, hob sich
die Menge. Seine Augen faßten den ganzen See
und sahen doch nichts. Ein dumpfer Schlag zuckte
darein, er bebte, gelb war der Schlag, er hatte
ihn in der Sonne blitzen! gesehen. Noch einmal,
noch einmal solch ein Schlag. Jetzt jetzt, darum
wars. Das Mädchen vom großen See kam heraus
und stand in der Mitte und Musik und Menge
drehte sich um sie wie ein weitschwingendes
Karussell.
So wollte es das Mädchen haben, Musik und
viele Menschen. Es stand ganz still mit gesenktem
Blick, oft . . sah es auch zu ihm herüber.
Auf einmal war sie wieder verschwunden.
Nirgends in dem schwarzen Schwarm konnte er
sie entdecken.
Er hatte zu ferne nach ihr gesucht, sie war
nahe bei ihm und rief ihn an: „komm doch herein".
Er schnappte in die Kniee und wollte klatsch wie
ein Hase fliehen, aber sie hielt ihn fest und zog
ihn — das Mädchen vom See — zu sich herein.
Er wagte nicht, zu widerstreben und nicht sie
anzuschauen, höchstens von der Seite, wenn sie
gerade wegsah. Als sie ihn aber fragte, „ist dirs
nicht recht?" mußte er ihr beim Antworten in die
Augen sehen, da schoß ihm das Blut gegen den
Kopf.
Das Mädchen lächelte und zog ihm die Schlitt-
schuhe an.
Haarsträubend! die Schande für ihn, er der
rauhlederne Knabe ließ sich von dem zarten Mäd-
chen die Schlittschuhe anziehen. — Etwas
sprechen wagte er nicht. — Nur einmal als das
Mädchen in die Hände fror, griff er an seine
Stiefel, aber er erschrak, er hatte sie bisher immer
verkehrt angeschraubt.
„Laß es nur", sagte sie, ,',wenn man sie selber
festmacht halten sie lange nicht so." Aha, das war
der erste Lehrsatz, dachte der Knabe und sah das
Mädchen verwundert an. Gewiß, dachte er weiter,
darf auf dem See niemand fahren, der nichts kann,
darum will sie michs lehren.
Das Mädchen ließ seine Füße los und sie
schlugen auseinander. Sie war fertig und seufzte
nicht einmal. Sie sah ihn so merkwürdig lieb an,
daß in ihm eine Wolke aufstieg. „Willst du mit
mir fahren?" frug sie. Er hatte eine Wolke und
zögerte — das Mädchen konnte ihm auch nur
schön tun und ihn vielleicht in den See nehmen,
konnte man nicht wissen, . . Schick stimmte ihm
sicher bei — er schaute sie prüfend an.
Das Mädchen verstand ihn zu nehmen. „Hast
du Furcht?"
Der Knabe schämte sich seiner Gedanken und
kreuzte die Arme, wies das Mädchen haben wollte.
ln ihren zarten Händen fühlte er sich schnell
wieder als der Plebejer, zu dem sich eine Prin-
zessin herabließ.
Unzählig viele Herren und Damen schwebten
vorbei in vornehmen Bogen und alle nach dem
Takte der Musik. Und immer im Vorbeifliegen
hörte der Knabe sagen: „Das ist der Eiskönig".
Er konnte das Mädchen nichts fragen, aber als sie
selbst sagte „du bist der Eiskönig" war kein
Zweifel mehr, daß er gemeint war. „Natürlich ist
Eiskönig, wer dich führt", sagte er.
Das war sein einziges Wort, sein erstes.
Das Mädchen drückte ihm fest die Hände. —
Er fühlte sich bald so sicher wie auf den Füßen
und vergaß, was um ihn vorging. Er schwebte da-
hin und neben ihm die Eiskönigin. Und alle die
vielen Menschen umkreisten und umflogen die
Eiskönigin, allen wars, als flögen sie mit Flügeln,

als hätten sie Schwingen. Und einer unter allen
war der Knabe, in ihm klang nur die Musik und
das Rauschen und Summen. Ihm wars wie im
Traum.
Der „Froschstupfer" war Eiskönig. Der
„Froschstupfer" konnte Schlittschuhlaufen, die
Beine regen, den Takt halten, schweben und
fliegen. „See und Krötenloch!"_haha!
Er drängte sich mit allen, wenn die Musik ver-
wehte, an die großen Oefen, wos Glühwein,
Punsch und Pfannkuchen gab. Er aß selbst einen
Pfannkuchen mit Flimbeerfüllung wie die andern
großen Eiskünstler, fuhr wieder los, wenn die
Pauke anfing zu murmeln und war gleich wieder
im Schwung hinein auf den See. Und wies dunkel
wurde, wurden blaue große Monde an Stangen
aufgehängt und rings am See entlang schaukelten
in langen Ketten unter den grauen Erlen Lampions
in allen Formen und Farben und wieder brausten
die Töne und die Erlen bewegten leise ihre
dunkeln Köpfe und der Knabe folgte dem Zuge der
Windweile, die an den Erlen hinauslief weit in
den See.
Er fuhr weit weit und neben ihm schwieg die
Eiskönigin.
Als es auf dem See ganz dunkel wurde, weit
weg von den Lichtern und nur ein weißer Streifen
Pfad war und See, fragte die Eiskönigin: „wie
heißt du?" Der Knabe schwieg lange, dann sagte
er: „ach würde ich dir sagen wie ich heiße, dann
wärest du mir nicht mehr gut". Das Mädchen
faßte ihn fest an. „Du hast gewiß einen schönen
Namen?" Aber der Knabe schwieg und sagte
seinen Namen nicht. Da schmiegte sich das Mäd-
chen enger an ihn und küßte ihn. „Ich bin deine
Braut", sagte sie, da fühlte der Knabe nicht mehr
das Eis unter den Füßen und der weiße Streifen
war ein huschendes Nichts.
*
Der Knabe war draußen auf dem See, wo die
Bäume aufhörten am Ufer zu stehen, er fühlte wie
das Mädchen leicht war neben ihm und wies warm
über den See blies. Er schätzte den Streifen ab,
wie lang er noch sein könnte, er fragte das Mäd-
chen, „wo liegt denn die Stadt?"
Keine Antwort.
Er wollte des Mädchens Hände fester packen.
Die Hände waren nicht zu greifen.
Er sah sich um, sah Niemand hinter sich, neben
sich, vor sich. Wohin er sich drehte, nur laue
Finsternis. Da rief er zaghaft „Eiskönigin", sie
war nicht da.
Das war eine Stille, die seine Füße auf ein
riesiges Brett stellten, ein Brett so groß wie für
einen Holzsoldaten von der Länge eines Münster-
turms. Er vermochte kaum auszuziehen. Er
merkte, er war nicht der Eiskönig, sondern ein
klein winzig Menschlein mit einem riesenschweren
Brett an den Füßen. Mit diesem Brett an den
Füßen sollte er sich ans Land, zurück zur Musik,
von der auch kein leiser Ton mehr zu hören war,
schleppen. Er lief rückwärts, in schweisstriefender
Hast, aber die Züge seiner schweren Schlitt-
schuhe waren kurz und schwächlich.
War überhaupt noch etwas da außer ihm auf
der Erde?
Ja, er sah ihn vor sich sitzen, Schick, einen
Frosch von der Größe einer Kuh oder eines
Ochsen, der furchtbar blickte starr gerade ihm
entgegen, wie wenn er ihm eine lange Eisenstange
gegen die Brust drückte, damit seine Flucht um
so schmächtiger wurde auf dem See ohne Ende.
Schick war ein Ochsenfrosch mit einer häßlichen
Haut und wulstigen Ausschlägen und fing an zu
lachen, dröhnend, daß das Eis aufsprang vom
Widerhall.

Schicks Aussehen wurde immer aussätziger, er
verschwand unter dem Eis, der Streifen wurde
weißer und größer. Der Knabe blieb stehen und
lauschte. Es war ganz still, nur schob sich unter
ihm etwas an der Eisdecke entlang, es rutschte
immer lauter, dann ein donnernder Knall und
Schick schob seinen dicken großen Kopf, hart an
die Eisdecke gelegt, wie einen Eisbrecher durch
den See. Der Knabe sprang mit wackelnden
Beinen, aber er kam nicht hinaus.
Jetzt schob sich Schick unter seinen Füßen hin
wie ein Schornsteinfeger, es krachte andauernd,
er blieb regungslos stehen und wartete bis Schick
vorbei war. Aber Schick blieb jetzt auch stehen.
— „Schick sah ihn, Schick wußte von ihm. an
Schick hatte er sich versündigt." —
Der Knabe rief laut, wußte aber nicht, ob ein
Ton aus seiner Kehle kam. Dafür bemerkte er
deutlich vor sich die Erlen, einen dunklen Streifen,
der den weißen säumte, er hörte sie rauschen und
fuhr auf sie los, mit gesteigerter, aufgeweckter
Kraft. Den schwarzen Streifen mußte er erreichen,
aber er veränderte sich gar nicht, wurde nicht
höher und dunkler.
Er sah es ein, wies mit ihm stand. Warum hatte
er auch das Mädchen nicht von sich Weggehen
sehen?! Er ging langlam weiter und fing an zu
weinen. Die Fußknöchel brannten ihm. Ob er
seinen Vater und seine Mutter Wiedersehen
würde! . . wenn sie ihn hier sehen würden! . .
er schluchzte laut, hielt den Arm vor die Augen
und wischte sich die Tränen.
Ganz sachte schob sich etwas in seine linke
freie Hand. Er wollte es abschütteln und schrie
auf „bist du der Frosch?"
„Mir gehört der See" und ein Krachen wie
dumpfer Donner war die Antwort.
Es packte ihn der Frosch, er führte ihn hinein
in sein kaltes Wasserhaus ... er flehte „ich will
wieder auf deinen Teich gehen und auf ihm fahren,
ich will nicht mehr auf den großen See in die
Stadt gehen."
„Geh du nur auf den Stadtsee, wer wird auf
einem Krötenloch Schlittschuh laufen?""
Es war also nicht der Frosch, laut krachte es
hinter seinen Gedanken her. „Nicht Krötenloch
sagen", schrie er, „Schick bricht ja das Eis ent-
zwei, weil ich . . .
„Auf einmal nicht mehr Krötenloch, so so?"
„Gewiß nicht mehr, Schick hat ein schönes
Königreich", es konnte doch Schick sein, der mit
ihm sprach . . . das schmeichelte und versöhnte
Schick.
Aber es versöhnte nicht, nein . . es schoß wie
mit Kanonen auf ihn.
„Wir müssen eilen, daß wir hinauskommen,
der Frosch bricht bald durch", sagte die Hand,
die ihn führte.
„Hast du auch Angst vor dem Frosch?" fragte
der Knabe und schaute die schwarze Gestalt, die
neben ihm ging, endlich an.
„Mich kann er nicht leiden, er gönnt mir kein
einziges Eisfest."
„Bist du meine Braut?" fragte der Knabe zu-
traulich.
„Komm, komm, siehst du nicht, wie mein See
hinter uns herkommt?, das ganze Eis geht schon
unter..wir laufen im Wasser..laufe, da kommen
jetzt die Erlenbäume, hörst du, wie sie tosen im
Südsturm?" Der Knabe wurde nach vorwärts
gerissen.
„Der Frosch ist durch" und hinter ihnen
versank der See in die Tiefe.
„Dein schöner See" jammerte der Knabe.
Des Mädchens Tränen fielen auf des Knaben
Hand. Mein See ist noch da, bei Tag würdest du

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