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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Erstes Heft
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Graf, Oskar Maria: Die visionären Ekstasen des Dichters J. M. Tullian: nebst Chronik von Anfang und Ende
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Heynicke, Kurt: Kurzes Spiel vom Weib
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Runge, Wilhelm: Lieder
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0020
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,,Je besser man lügt, desto wahrer .... Alter Humbug!"
Plötzlich blieb er stehen, sah auf, zischte schnaubend: „Richtig!
ja, der fette Einband mit dem Anhang, tja, totrichtig, sah aus
wie ein Schwein, das das Schwänzlein freundlich rollt, ha, ja . .
freundlich, und der Schreiber? Ist auch ein Schw — nein!
Er ist der Kellner, der diesen ganzen Dreck serviert!" Offen-
bar befriedigt über diese Erkenntnis, setze er seinen Gang fort,
ging schneller — rannte — keuchte.
In seinem Zimmer fiel er in den Divan, stöhnte. Dann be-
gann er wieder zu schreiben
Solchermaßen geschah zur Sommernacht in einem unwich-
tigen anno domini. Es wäre schlechtweg Anmaßung, diese
komische Schrulle zu Papier zu bringen, ihr einen besonderen
Wert beizulegen, wären nicht, wie aus Vermutungen einer be-
trächtlichen Anzahl geistig einwandfreier Personen hervorgeht,
seltsame Geschehnisse damit verknüpft. Besagter Auslagebe-
gucker war nämlich kein anderer als Tullian, unser geliebter
Tullian. Und um die Geschehnisse steht es so:
„Augenzeugen bekunden, bei jedem Rekordflug folgendes
gesehen zu haben: Sobald der Flieger landet oder abstürzt,
wirbelt eine Gestalt aus dem Boden, reibt sich die Hände,
tänzelt mit geradezu rasender Geschwindigkeit um den Apparat
und ruft laut: ,Fein geflogen? Eure Nerven gekitzelt. Ge-
spannt! Wie mit meinen Büchern! Das Leben gewagt — ge-
nug getan!' Dann ein Surren — die Gestalt ist fort. Einige
behaupten sogar, bei einer aufregenden Absturzszene die tän-
zelnde Gestalt ganz verzückt ausrufen gehört zu haben: „Blut
gefällt Euch, nicht wahr? Noch besser aber die Leiden An-
derer. Wohlan führt Gladiatorenkämpfe ein — das erspart
die Buchschreiberei. Auch unterhälts besser —"
Und ein pfeifendes Trr.
Und all diese Leute vermessen sich bei der geringsten An-
zweiflung ihrer wahnwitzigen Erzählungen eidlich zu bestätigen,
daß die Erscheinung identisch sei mit dem leibhaftigen Dichter
Julius Magus Tullian.
Nun aber ists genug. Und dieses ist nicht mehr zum Lachen,
oder gar Anlaß zu einem scheelsüchtigem: „Ist das alles?"
Ich bitte.


Kurzes Spiel vom Weib
Kurt Heynicke
Der Mann
Der Bruder
und das Weib
Helles Zimmer bei Nacht Eine Uhr
Der Mann: Die Uhr schreit. Hörst du ihre Stimme? Sie
zerfrißt meine Besinnung. Wo ist Sie?
Der Bruder: Deine Sehnsucht geht wandern. Aber Dein
Stab zerbricht. Du sollst Deine Gedanken nicht in ihren
Schatten stellen. Sonne dich in deiner Sonne. Dieses
Weib ist Stunde. Ewigkeit heißt deine Sehnsucht.
Der Mann: Stunden in Sternen, Brüder. Ihr Leib ist ein
Gefäß, ich hänge daran und trinke.
DerBruder: Wärest du Peitsche, du Trinker. Ihre Augen
spielen um Dich und ihre Gedanken hängen an fremden
Blicken. Sie ist Weib.
Der Mann: Wenn ich Haß gebären könnte in ihrem Arm.
Aber meine Seele bekommt rote Augen. Ich bin ein
seidener Mantel um ihre Glieder in den Stunden ihres
Schenkens.
(Ein Wagen rollt nahe und vorbei. Der Mann geht an das
Fenster.)

Der Bruder: Sie ist es nicht. Bruder, du bist zu tief in
ihr. 0, blühe hinauf und hinüber! Könntest du glänzen
über ihr Lächeln! Aber im Narrenkleid ihrer gelben Haare
fesselt dein Blut
Der Mann: Meine Besinnung ist hinweg. Kleine Schoß-
tiere winseln herum. Wände fallen auf mich. Eine Hand,
zu heben. Eine Stund,e, zu sein. Nichts. Schatten. Nichts,
(am Fenster) Luft in der Nacht. Wehen unter den Sternen.
Ich will gehen. In den Frieden der Nacht. In die Nacht
des Friedens. Ein Gebet liegt am Wege. Es wird blühen
an meiner Brust, (hinaus)
Der Bruder : Spiel deine Sterne. Schenke sie dem Weibe
zum Schmuck. Sie tritt sie in den Staub. In das Lachen.
Das Weib: (durch die Tür) Mein heiliger Narr ist hinweg.
Meine Augen gingen ihm nach. In die blinde Nacht.
DerBruder: Du hieltest ihn nicht? Seine Nacht hat Sterne.
Die deine ist ein Katzenauge. Seine Qual floh in jene Nacht.
Die dunkle Hand wird ihm Frieden sein. Wie du funkelst,
du Tier!
Das Weib: Gott zum Dank, Herr Priester. Dient ein Tier
nicht dem Stärkeren? Er ist nicht Kraft, zu der ich beten
kann. Er schleudert mir nicht die Fetzen seiner Seele ins
Gesicht und tritt nicht meinen Leib. Ich würde schreien
ihm zur Lust! Ich will das Ende! Aber am Ende steht eine
Flamme. Sie blutet. Du!
Der Bruder: Du! Ich! Meines Bruders Seele verbrennen
im Hauch eines Weibes. Mein Herz schürt Flammen. Du!
Nein!
Das Weib: (zischt) Du Priester. Du Mann, der sich nicht
kreuzigen will.
(Sie geht in die Ecke des Zimmers, schaltet das Licht aus.
Der Mond sticht durch das Fenster. Sie reißt ihre Kleider
fetz herab. Der Mond umzittert ihre nackten Glieder)
Da, du Mann! Da meine Seele und da und da! Und mein
Leib blüht und sternt vor dir. Hörst du die Stunde. Sie
klopft und hat keine Seele. Sie fließt, ich glühe, ich golde
sie. (Er schreitet. Tastet ihr entgegen, sinkt. Sie hebt
seinen Leib an ihre Lippen)


Lieder
Wilhelm Runge

Bäume schleifen Wolken windhinüber
Wiese kraust die Stirn
Die Steine stutzen
und die Mauerblümchen fallen ein
Fragen rauft das Blut
die Wunden warten
Wunden ringen
Sterne stützen Wald
Sonne drückt verängstelt durch die Aeste
Sträucher picken Rascheln schatttenauf
Dunkel frißt gefräßig in den Tag
Welken würgt
die bleichen Winde weinen
und die Blätter flattern
Staub
*
Erwarten heftet
Kommen lüftet lässig
Hast blinden Augen
Hände lauschen taub
Erinnern flößt
und Zögern sänftet nieder
leise hält Lächeln
streichelt
geht

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