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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Graf, Oskar Maria: Die visionären Ekstasen des Dichters J. M. Tullian: nebst Chronik von Anfang und Ende
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0019

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Dahinten muß eine strömende Stadt über bauchige Berge
blutrot in den Himmel türmen. Hinter tief verhängten Fenstern
schmachten Mädchen. Und bauen Burgen, formen plätschernde
Brünnlein, gedämpfte Schloßhöfe in weichen Sofas, denken an
silbrig-fließenden Mond. ^
Sogar der ferne Trompeter fenlt nicht, noch die Einsamkeit
schroffer Raubritterschlösser.
Aber Herr Metzgermeister Grölinger brummt über die Zei-
tung hinweg, daß sich sowas für eine ehrsame Bürgerstochter
nicht gehört.
Frau Kommerzienrat Kropfeder preßt den nudeligen Bauch
in das Gewand einer Nymphe. Die Wohltätigkeit!
Säle flattern, klammern Toiletten ein und schwitzender
Duft, der gerne weggefächert sein will.
,,Emma, geh mach!" Ein bißchen fad. Da —: Pix, der
letzte Druckknopf liegt in Fesseln. Frau Kommerzienrat Kropf-
eder schnaubt auf. Ja, nun wieder Nacht!
Schleppender Mantel, sterniger Du! Lehne Dich nicht an
die zickzackenen Häuserbrocken. Meine Hände verwelken
sehnend. — Ich will, ein Page, Dich streichelnd in meine Hand
nehmen. Und voll beglückt hinter Dir herschreiten, Nacht, Du
Königin! Ich liebe Dich mehr als alle Glut und Eleganz schot-
ternder Straßen, denn Du hast das wachsene Gesicht, durch
das man deine tiefen rätselumwobenen Denksäle schmetternd
herausfühlt.
Denn zuletzt, Nacht und Inferno, seid ihr die Zuflucht der
Totverliebten und Seher.
Sieben Männer stehen siebenartig gekleidet. Ganz nah.
Zu all diesen sieben Gesichtern, die gewiß auch dankbare Stoffe
für Buchseiten naturalistischer Bücher sein könnten, gesellt sich
siebenfach ein Weib.
Ich fühle, so wie man einen weichen Polster fühlt, auf dem
man gemächlich sitzt: Sieben Schicksale und alle die meinen,
alle — (Ist's genug? Oder muß noch mehr gesagt werden? Ge-
nug? Daß einer einmal zelebrierend gesagt hat: Es gibt, einen
Born. Irgendwo. Und: „Es ist noch nicht genug Hoffnungs-
losigkeit getrunken worden.")
Im Wurstladen an der Ecke steht hinter getürmten Würsten
ein blasses Gesicht. Die Sonne brennt hinein und höhlt ein Loch
und sengt eine müde Frau heraus und schält sie für den kom-
menden Tag.
Gewiß hat sich dieses Mädchen in die fleischige Hand ge-
schnitten, die mit soviel Fett hantiert.
Hoch in den Lüften, in verblaßten Schwaden, durch Wolken,
die geschürzt die Welt befächern. Hoch also — tront sieben-
fach dies müde Weib. Aber auf der Straße ist es das Lauf-
mädchen von der rothaarigen, spindeldürren Modes am Rondell-
platz.
Und doch sagt wer, totaufdringlich an eine verschlossene
Tür pochend: „So öffne, wenn Du doch weißt, daß ich Dich lieb
habe." Aber das ist schließlich nur so.
Jedenfalls sind die Siouxindianr rasend über Prärien ge-
stürmt und haben nur nach Fleisch gehungert.
Man muß die tiefe Wehmut leerer Gläser ergründen und die
starre Ohnmacht eines Bulldoggenauges erschauen, um lachen
zu lernen. Selbst mein Spiegel ist ein unehrlicher Schuft. Und
deshalb — nein, ich bin gestolpert.
Deshalb heißt es von mir, ich wäre betrunken und säße hier
im Park auf der nassen Bank und schliefe.
Allerdings, denn gestern hob eine schöne Dame lupfend
meinen gesichtverdeckenden Steifhut und sagte lächelnd: „Ah,
erst Koofmann, dann Loofmann, jetzt Soofmann." Brückenlos
ertrinken Tage, und nicht einmal Nächte sind Pflastersteine für
meine Straße.
Das Ende
Als der große Dichter Julius Magus Tullian sich an einem
Morgen schneuzte und solchermaßen den Tag begann, fragte
ihn eine Dame auf der Straße, wovon er denn den Stoff für
so bilderreiche Skizzen hernehme, daß er vom Wesen der

Mimik das Tiefste begriff, nämlich das kokette, einschmei-
chelnde Lächeln, das man dem und dem zu servieren genötigt
ist, weil sonst die Vermutung in verschiedenen Köpfen Raum
gewönne; „Ein dummer, einfältiger Tölpel!" So beauftragt von
einem Methaphysischen dahinter einer plötzlich aufquellenden
Erkenntnis antwortete ei* schmeichelhaft: „Von den Frauen,
liebes Kind!"
Blätter verkündeten laut und vernehmlich, daß hier endlich
der wahre Dichter der Frau sich entfalte. Auflagen hämmerten
fordernd und mit der Ungeduld eines erregten Klopfers an die
Peripherie seiner Phantasie, sodaß er sich wimmernd in namen-
loser Qual bog. Stöhnend spie ihn eine Straße auf die glatte
Vorstadtwiese, die unweit seiner Behausung sich ausbreitete.
Und außer der Gefahr von Steinwürfen toller Hundsbuben noch
die Annehmlichkeit: „Schutt abladen gestattet" in sich ein-
schloß. Sein wogendes Gemüt legte sich allgemach, wie auch
er sich hinlegte und sich einmal recht eindringlich bedauerte.
Weil er aber dabei allgemach in einen derartigen Katzenjammer
geriet, daß ihn ekelte, gab er das Philosophieren auf und schloß
kurz abgeschnitten: „Ich bin einfach Hiob! Fertig!" Und be-
geilte sich mit rosiger Gemütlichkeit, schmälerte sein Schwei-
fen in die anmaßenden Wolken und schlief endlich ein. Und
begann zu träumen.
„Hoch auf einem Berge nackend, der blendenden Sonne
den Blick zuwendend. Jubelnd! Unter ihm lag —: ein flim-
mernder Teppich — die rauschende Stadt. Auf einem glitzern-
dem See flogen Segel, die ganze Wl:lt lag vor ihm: hier bitte,
wie eine saftige Pastete.
Erwachend rief er trunken: „Ich liebe Dich, o Erde!" Und
reckte sich. Als er in die Stadt kam, war Kriegslärm.
Schritte dröhnten dumpf und höltern. Bahnhöfe hallten: „Es
braust ein Ruf .... Beim Nornenbrunnen stand ein feister
Metzgermeister und musterte selig die grau dahinschwellenden
Wellen.
Vor einer aufgestapelten Kopfmenge türmte sich ein säuliger
Erker:
„Meine sehr verehrten Anwesenden!" Alan ließe danken für
die hingebende Teilnahme. Aber es sei schon einigen schlecht
geworden, deshalb werde eindringlichst gebeten, auseinanderzu-
gehen . . .
Auf eine Order hin mußte sich auch unser Dichter stellen.
(Hier erlaubt sich der Chronist eine Einschaltung, denn er war
der Einzige, der den leibhaftigen Tullian als Soldat sah.)
Hernach ist noch ruchbar geworden, daß ein Held bei Saar-
burg von gottverdammten Franktireurs erschossen wurde.
„Jetzt kann ich meinem Mietzins nachschauen" soll eine
biedere Hausfrau gesagt haben.
Eine sehr bewegte Geduldsprobe für einen fordernden und
begehrenden Leser, wenn man mit dem bischen Sterben eines
Menschen so viel Tänze macht. Es gemahnt das zu sehr an den
frechen, aufdringlichen Verkäufer, der mit Hilfe seiner unver-
schämten speichel-leckerischen Beredsamkeit einem abgeneig-
ten Kunden einen Artikel aufschwätzen will. Ja, es ist sogar
ein wenig komisch. Zum Glück, zum großen Glücke läuft eben
noch eine federfeste Episode ein, als ich diese Zeilen zusammen
setze, die ich nicht versäumen möchte noch beizufügen:
Mitten durchs Fenster des Buchladens schnitt das Licht.
Bunte Einbände schlüpfen ineinander; Buchstaben tänzelten.
Auf einmal bog sich die Scheibe, färbte sich anders — lachte
breit, latschend. Auf einem Einband stand: „Das Buch der
Sünde", zwanzigste Auflage.
Selbstgefällig grinsten die dicken, butterfesten Buchstaben.
Der Anhang zitterte, fauchte gegen die Scheibe, tischte den
Herrschaften die Worte auf: „Eine gewaltige Tragödie.
ein mit dem Blute geschriebenes Geständnis eines Mannes . . -
nicht ohne tiefe Erschütterung .... das wahrste Buch!" An
der Auslage stand ein Mann, lachte verbissen, spie auf das
Fenster: „Gesindel! Rabengesindel verfluchtes!" Ging. Eigent-
lich bewegte sich nur seine Gestalt von dannen. Er spie immer
noch auf die Scheibe, fletschte mit den Zähnen, lachte boshaft
in sich, polterte. . .

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