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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Kritiker: Tragikkomödie in drei Personen
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Heynicke, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0100

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Werturteil des Herrn Robert Breuer schließlich ausgebildet hat,
längt er die Künstler des Sturms zu loben an. Die Folge ist,
daß sich die Preise der Bilder nicht mehr steigern lassen, meine
Tantiemen daher ihre Nettigkeit verlieren und ich deshalb das
Lob des Herrn Robert Breuer niederkämpfen muß, nur damit
ich wieder seine preisbildende geistige Funktion ausnutzen
kann. Gefährlich bleibt nur, daß das Werturteil des Herrn
Breuer sich von Monat zu Monat ändert. Einmal lobt er, einmal
tadelt er, und zwar dieselben Künstler, so daß seine Preise wie
Gummibälle auf der Erde herumschnellen. Die Käufer werden
durch die Elastizität des Herrn Robert Breuer zur Spekulation
oder in ihr Unglück getrieben. Befriedigt liest der Herr Käufer
beim Frühstück das Lob eines Bildes durch Herrn Robert
Breuer, er beschließt zu kaufen, da die Preise gefallen sein
müssen. An einem schönen Sommermorgen geht er in die
Kunstausstellung Der Sturm und erfährt dort zu seinem Ent-
setzen, daß der Preis des Bildes wieder gestiegen ist. Herr
Breuer hat es nämlich unterdessen verrissen. Das ist die Spe-
kulation auf die Baisse. Der andere Herr Käufer, der für die
Hausse ist, hat das verrissene Bild gekauft. Jetzt sinkt das Bild
urplötzlich in seinem Preis und von seiner Wand. Herr Breuer
hat das Bild nämlich nicht gesehen und es für gut befunden.
Hier müßte der Staat einschreiten. Diese ungesunde Preisbil-
dung muß totgelegt werden. Kein Mensch weiß mehr Be-
scheid. Es ist auch nicht zu verlangen, daß das deutsche Volk
die geistige Funktion des Herrn Robert Breuer begreifen kann.
Wie soll sich nun das deutsche Volk vor dem Kunsthändler
Herwarth Waiden retten, der Herrn Robert Breuer die Preise
verdirbt. Herr Robert Breuer gibt einen Hinweis, ohne ihn aus-
zusprechen: das deutsche Volk kaufe die Bilder, die ich gegen
Herrn Robert Breuer und gegen die Kunstkritik in ihrem künst-
lerischem Wert verteidigt habe, nicht in der Kunstausstellung
Der Sturm, sondern bei Herrn Paul Cassirer. So einfach ist
die Lösung. Sowie die Bilder dort verkauft werden, sind es
keine „aufgeschwätzten Kunstwerke" und keine „unausgegore-
nen Experimente". Wenigstens fühlt sich der Herr Robert
Breuer dann in Sicherheit. Er ist um die Sorge gekommen,
mir durch Verriss Tantiemen zu verschaffen. Er darf seinem
guten Herzen Luft machen und darf loben, loben, loben. Der
Markt des Herrn Paul Cassirer ist bekanntlich eine Wohl-
tätigkeitseinrichtung für die minderbemittelten Schichten der
Bevölkerung. Herr Robert Breuer, der im Nebenberuf Sozialist
ist, darf sich sozial gebärden und darf loben, loben, loben.
Handelt es sich doch nicht mehr um den Handel und um den
„zinsgierigen Kapitalismus" des Sturms.
Und wenn Herr Robert Breuer auch einen Verein der Ber-
liner Kunstkritiker gründet und sich schützend vor die Kollegen
stellt: Ich nehme es mit dem ganzen Verein auf. Ich trete sogar
aus, bevor er gegründet ist. Die Herren mögen sich unter-
einander besprechen, aber die Kunst aus ihren Fingern lassen.
Ich schlage ihnen auf die Hand, in der sie nichts halten können.
Ich rolle meine Kunst auf sie hinab, daß sie zu Staub zergehen,
der sie sind. Hier steht die Kunst. Ich umglühe sie mit meiner
Flamme. Gott hilft ihr durch mich. Ich kann nicht anders.

Gedichte
Kart Heynicke
Nacht
In mir ist Nacht
viel Sterne, Glanz im Tal und Händefalten.
Hellhoch am Bogen Gottes hängt der Mond
der Menschheit Urlied fließt aus seiner Schale
hin über Menschen, Städte, weiche Feste,
hin über Herzen, Träume, Angesichte
das weiße Lied im blauen Licht.

Hoch über allem ferner Glanz,
Geheimnis,
Urlidht,
Gott, sein Vater.
Fremdes Gesicht
Die Fräcke biegen laut vor deinem Angesicht
ich höre meinen Herzschlag sterben.
Ich reiße Nacht ins Flattern greller Stimmen
ich biege alle Stunden in den Staub.
Auf deinen Nacken flirren gelbe Augen.
Im Saal steht ein Gesicht aus hundert Männern.
Ein Peitschenschlag, der alles Blut zerbricht!
Ein Gassenwort in die Gebärden hohler Stunden!
Ich fessle mich.
Ich beuge mich vor dir mit allen Angesichtern.

Aufruf
Wir wollen einen gewählten Kreis von
Menschen vereinen, die für das Wissen um
die Kunst wirken, die für die Kunst als gei-
stiges Erlebnis wirken.
Wir wissen, daß der Mensch der Gegenwart sich sehnt
nach einer geistigen Wirklichkeit, in der er die Einheit des
Seins erlebt. Die geistige Wirklichkeit kündet sich in der
Kunst. Das Erlebnis der Kunst füllt unsere Sehnsucht.
Wir wissen, daß die Kunstmacht jeden sehnenden Men-
schen greift ohne Unterschied von Alter, Geschlecht, Beruf,
Stand.
Jedem Menschen wollen wir dieses Wissen geben, jedem
Menschen die Kunst und das Erlebnis der geistigen Wirklich-
keit.
Wir haben den Verein Sturmbühne gegründet, weil
er nötig ist.
Wir nennen den Verein Sturmbühne, weil die Büh-
nenkunst unsere stärkste Hilfe braucht.
Die Kunstgestalt des Theaterwerkes ist noch eine Kunst-
gestalt der Vergangenheit. Das Bühnenkunstwerk der Gegen-
wart gilt es durchzusetzen.
Im Sturm ist der Bühnenkunst der Weg bereitet durch
die Erkenntnis der Kunst der Gegenwart, durch Schaffen in der
Kunst, durch Sammlung und Gliederung der Kräfte, die einer
Bühnenkunst dienen. Die Kunstschule des Sturm erzieht
die ausführenden Künstler, vor allem die Schauspieler, und trifft
alle sachlichen Vorbereitungen zum Spiel des Bühnenkunst-
werkes.
Wirwollenfür die Bühnenkunst der Gegen-
wart wirken.
Wir wollen unsere Mitglieder die ersten
Gestaltungen des Bühnenkunstwerkes erle-
ben lassen.
Wir nehmen einen gewählten Kreis von Mitgliedern jeden
Alters und jeden Standes auf, doch nur Menschen, die Fühlung
mit der Kunst der Gegenwart haben oder haben wollen. Wir
erwarten von unsern Mitgliedern, daß sie nach Kräften für die
Erkenntnis der Kunst und für die Bühnenkunst wirken. Auf
Wunsch wird den Mitgliedern Gelegenheit zur praktischen Mit-
arbeit geboten.
Der Ausschuß
Dr. John Schikowskl / Vorsitzender
Rudolf Bauer
Rudolf Blümner
Lothar Schreyer
Herwarth Waiden

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