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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Zwölftes Heft
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Walden, Herwarth: Die Ängstlichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0184

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Die Ängstlichen
Und wüi sein Opfer haben
Die Literarische Gesellschaft, eine Zeitschrift von der Li-
terarischen Gesellschaft zu Hamburg herausgegeben, veröffent-
licht im Februarheft ihres vierten Jahrgangs einen Beitrag „Kri-
tik der Kritik". Hier liest man: „An Hamburgs verbreitetstem
Blatt beschrieb ein Kritiker einst seine Reise nach Halle: — im
Ton eines dichtenden Bürgers. Am Ende wagte er gegen Dok-
tor Sauerlandt und sein Museum moderner Kunst einen Ausfall
der unverantwortlich, weil einsichtslos und offenbar aus unkri-
tischen Motiven gelenkt war. Neben diesem Burgeois schreibt
seit einiger Zeit auf Wunsch des einsichtigen Chefredakteurs
ein Mann, der Kunst und Kunstwissenschaft studierte. Ihm
werden, so scheint es, die Zeilen vorgezählt, ihm wird jeglicher
Ausspruch, der Neues und eine Erweiterung des Horizontes
bringt erschwert. Der Grund? Der Besitzer der Zeitung
ist gesonnen, mit allen Mitteln gegen jüngste Kunst zu propar
gieren. Er vermag seine Absicht auszuführen!"
Hierzu bemerkt das verbreitetste Blatt, das Hamburger
Fremdenblatt: „Jedenfalls sehen wir uns nicht veranlaßt, ihm
Rede zu stehen. Nur sei gegenüber seinen verzerrenden An-
deutungen über Personalien und innere Angelegenheiten un-
seres Blattes folgendes gesagt: Am Hamburger Fremdenblatt
sind seit langen Jahren zwei Kunstberichterstatter tätig ge-
wesen, neben Herrn Ph. Berges nach einander die Herren Denis
Hoffmann, Hakon und Dr. Dammann. Alle diese Berichterstat-
ter, wie auch die Theaterkritiker, die stets mit ihrem Namen
gezeichnet haben, sind in ihrer Kritik niemals vom Ver-
lag oder dem Chefredakteur eingeengt wor-
den, bis auf die einzige folgende Ausnahme,
die seit jeher zum Programm des Blattes, eine gesunde Kunst
zu pflegen, gehört. Diese Richtschnur geht dahin, daß Bestre-
bungen des „Sturm" und verwandte Erscheinungen, wie die fu-
turistische Malerei, im Fremdenblatt keine Pflegstätte finden. '
Zwar finden die Bestrebungen des Sturms im Hamburger
Fremdenblatt auf einstimmigen Beschluß des Besitzers der Zei-
tung keine Pflegstätte, wohl aber eine Druckstätte. Es wird
die Leser des Hamburger Fremdenblatts interessieren, daß ver-
derbliche Schriften des Sturm und sogar die Verlagsverzeich-
nisse mit „futuristischen Gemälden" in der Druckerei des Ham-
burger Fremdenblatts hergestellt werden. Sie hat den selben
Besitzer wie die Zeitung. Warum soll ein Besitzer seinen Be-
sitzstand nicht mehren. Schließlich geht ihn moralisch nur die
Gesundheit der Leser seiner Zeitung an. Seine Maschinen ha-
ben einen starken Magen. Und Geld ist Geld. Nicht etwa, als
ob die Druckwerke des Sturm wegen der Seuchengefahr für
das Hamburger Fremdenjblatt mit Apothekerrechnungen be-
zahlt werden. Es geht alles durchaus gesund und ehrlich zu.
Hingegen möchte ich dem Besitzer des Hamburger Fremden-
blatts meine schweren Bedenken nicht verhehlen, daß er dem
Sturm den Anzeigenteil seines gesunden Blattes gegen Bezah-
lung zur Verfügung stellt. Zwar halte ich von Anzeigen nichts.
Es soll aber doch Vorkommen, daß Leser diese Anzeigen lesen.
Wo bleibt die Richtschnur? Vorn wird der Leser in Spalten
eingeengt, auf daß er niemals nichts vom Sturm erfahre. Und
mitten in der Zeitung wird ihm mitgeteilt, daß Der Sturm sogar
in Hamburg tobt. Geld macht eben immun. Auch das ist ein
Programm des Blatts. Freilich, seine Kunstkritik läßt sich da-
durch nicht einengen. Sie folgt den höheren Anordnungen des
Arbeitgebers. Der Herr heißt Broschek und seine Druckerei
wird vom Verlag Der Sturm bestens empfohlen. Damit aber
den Lesern der übrigen Hamburger Zeitungen die kritische
Tätigkeit des Herrn Broschek zur Förderung der Volksgesund-
heit Hamburgs nicht entgeht, hat Der Sturm am Ende seines
Abends in Hamburg den sechshundert Besuchern ein Blatt für
Broschekfremde überreicht. Es enthält die Sätze, in denen
der Besitzer des Hamburger Fremdenblatts seine kritische
Ausnahmestellung dem Sturm nicht vorenthält, dieselben Sätze,
die ich oben angeführt habe. Um Irrtümern vorzubeugen sei
mitgeteilt, daß Der Sturm diese Blätter ausnahmsweise nicht

in der Druckerei des Hamburger Fremdenblattes hat herstei-
len lassen. Wenn der Herr Broschek zu viel verdient, wird er
vielleicht noch übermütig und ergibt sich einem ungesunden
Kunstwandel. Solche Wandlung kann ich nicht auf mein einge-
engtes Gewissen nehmen. Ja, so ein Drückeberger.
Ich weiß Bescheid
Das Hamburger Fremdenblatt über eine Hamburger „Aus-
stellung von Werken neuerer Kunst", unterzeichnet Dr. Walter
H. Dammann: „Die drei farbigen Pferde von Franz Marc wür-
den Anlaß geben, zu untersuchen, wie von diesem schönen kla-
ren Bilde die Entwicklung zur überhitzten und überspannten
Sturmkunst führen konnte."
Zum Glück für den Herrn Doktor ist die Untersuchung
durch Herr Broschek verboten. Er wüßte auch sonst nicht
Bescheid.
Der schlafende Zensor )
Im Hamburger Fremdenblatt des Herrn Broschek schreibt
ein Herr F. R. über dieselbe Ausstellung: „. . . . und zu Franz
Marc nicht das richtige Verhältnis gewinnt, doch empfinden,
wie reich und vielgestaltig diese Kunst ist und wie viel ur-
sprüngliche Kraft sich in ihr offenbart."
Oder weiß Herr Broschek nicht genug Bescheid, daß Franz
Marc zum Sturm gehört.
Der Gesundanbeter
Die neue Hamburger Zeitung veröffentlicht am 5. Novem-
ber 1917 einen Bericht eines Journalisten Karl Eugen Schmidt
über französische Kunst in der Schweiz. Hierin steht zu lesen:
„Van Gogh war vollständig irrsinnig und ist im Irrenhause ge-
storben, Cezanne war menschenscheu und litt an Verfolgungs-
wahnsinn; wenn ein Besucher sich seinem Atelier näherte, ver-
rammelte er sich oder nahm Reißaus, auf der Straße wich er
jedem Begegnenden ängstlich aus; die Kinder in Aix, wo er
wohnte, liefen ihm nach und lachten ihn aus; als eines Tages
ein Besucher mit zwei Damen an die Ateliertür pochte und er
keinen andern Ausweg mehr sah, schlug er mit der Axt ein
Loch in die gegenüberliegende Wand und entfloh in den
Garten." Es scheint mir nicht gerade normal zu sein, wenn ein
Besucher mit zwei Damen an die Ateliertür pocht. Und wenn
der Besucher gar noch der Herr Karl Eugen Schmidt gewesen
sein sollte, so würde ich gern auch einen Ausweg gesucht ha-
ben, wo der Zimmermann kein Loch gelassen hat. Schließlich
kann doch kein Mensch beim Häuserbau mit solchen Ausnah-
men rechnen. Auf ähnliche Weise äußert sich dieser Herr
Schmidt über Gauguin, Toulouse-Lautrec und Renoir. Mit allen,
diesen Künstlern ist der Herr Schmidt persönlich bekannt
gewesen. Ihnen allen fühlt er sich kraft seiner Gesundheit
überlegen. Wenn dieser Herr Schmidt gar noch Bilder gemalt
hätte, — dann hätte er sich nicht bei der neuen Hamburger
Zeitung zu bescheiden brauchen, ihm wäre ein Pflegstättchen
im Hamburger Fremdenblatt sicher gewesen.
Bemerkungen zu Worringer
Herr Wilhelm Worringer wird von seinen Freunden maß-
los überschätzt. Ueber seinen Vortrag „Bemerkungen zur neuen
Kunst" bemerkt die Frankfurter Zeitung: „Dürfte man doch
darauf gespannt sein, wie Worringer, dessen Schrift Abstrak-
tion und Einfühlung gewissermaßen die theoretische Einleitung
der neusten Kunstbestrebungen ja mehr als das: der frucht-
bare Ansporn für das Schaffen zahlreicher junger Künstler ge-
worden war, heute nach zehn Jahren zu den praktischen Resul-
taten steht." Es ist der Größenwahn der Kunstwissenschaft! zu
glauben, daß sie Kunst einleitef, fördert oder gar schafft. Jede
Theorie steht hinter der Kunst. Sie'ist stets nur ein Vergleichen
aus den Erfahrungen, die Kunst aber ein Gleichnis aus dem Nicht-
zuerfahrenden. Die sogenannte Individualität sammelt eben
Erfahrungen, und deshalb ist Herr Worringer zum Schluß in
Sorgen um seine Individualität: „Zum Schluß verhehlte Wor-
ringer nicht seine Bedenken gegen die Entwicklung, die die

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