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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Feininger, Lyonel: Zwiesprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0088

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Zwiesprache
F eininger-Knoblauch
Lieber Feininger!
Sie sind traurig, nicht so sehr über den Mißerfolg Ihres
bisherigen Kunstschaffens, als über das Mißliche und Frag-
würdige des endlich sich durchsetzenden Erfolges. Wollen wir
uns beklagen darüber, daß so manche Kraft ungenutzt hingeht
und sich vergibt, so mancher Wille stärker ist als das Werk,
das seine Hände hervorbrachten, und das Werk hinsinkt und
unnütz wurde? Suchen wir Würde, Stattlichkeit, Feier und
Tempel für unseres Geistes Werk? Wollen wir hoch über der
Menge die Formen erheben, die unsere Hände bildeten? Und
unsere Röde aussenden, damit die Herzen aus ihrem Zauber-
schlaf erwachen? Geschlecht auf Geschlecht steigt empor.
Jugend folgt auf Jugend, und noch immer ist keiner unserer
Herzenswünsche erfüllt, noch immer ist Einsamkeit unsere
Wüpde, Verzicht unsere Stattlichkeit, die von Niemandem ge-
sehene, unbekannte, bildende Arbeit unserer Hände unsere
Feier. Wir ließen die Jahre hinter uns, in denen wir Kraft und
Energie als einzige Lebensbeweger kannten. Wir gingen den
steinigen beschwerlichen Weg zur Vollendung unserer Kunst,
und täuschten uns nicht mehr auf dem jugendlichen Miß-
verständnis des Absoluten. Wir glauben an Gott und das
schöpferische Prinzip, das unendlich hoch über der bloßen Tat
(auch in der Kunst) steht. Der Schöpfer umfaßt den ganzen
Himmel.
Es gibt niemanden, der wie Sie wohltätige Aufmerksam-
keit und Zartheit eines weitherzigen ermunternden Verstehens
empfindet. Aber Sie wurden enttäuscht (wie häufig wurden
wir alle doch getäuscht), und Sie zogen sich zurück, verwundet
durch einen von unbekannter Kraft auf Ihre Brust geschleuder-
ten Zweifel, der mehr als eine Krankheit, Sie der Verdammnis
anheimgab. Sie traten zurück von Ihren Plänen, von der Ar-
beitsgemeinschaft der Sicheren und Tüchtigen, vom Leben in
Güte und belohnter Kraft. All das versank, während Ihre
Nächsten über das Verhängnis grübelten, das über Sie gefallen
war und Sie ihren schmerzenden Blicken wie hinter einem
Vorhang verbarg.
Sie glaubten nicht mehr daran, Götter mit Ihren Händen
des zwanzigsten Jahrhunderts bilden zu können. Gott riß Sie
von Ihrem Ich fort (und Sie waren doch einstmals stark und
glücklich dahingeschritten) und lehrte Sie Bilder zu machen,
während die Aengste Ihr Dasein verschlingen wollten.
Gott sprach zu Ihnen in Ihrer Angst und unendlichen Not,
und Sie erhoben sich zu ihm durch das Lob seiner geringsten
und ärmsten Kirchen, und Sie zeigten ihm jene wundersamen
Winkel unserer Städte, in denen unsere Gebrechlichkeit, unsere
Selbstentäußerung und unsere Bedürftigkeit zum Opfer ver-
borgen wohnt, wo das Licht verging und der Schrecken seinen
Stachel verlor.
Dann teilten zuweilen gewaltige Strahlen die Finsternis
und fuhren aus Ihren Händen schöpfungsbegierig zu den end-
losen Weiten des Himmels auf, als sollte unser Dasein bersten
von der Kraft über allem Verstände.
Sie traten nicht zurück in die Geselligkeit des ehemaligen
Glücks. Sie empfingen Schalen voll glühender Farben, und als
Sie mit denen zu Ihrer Freude und Erheiterung malten, wurden
Sie für hundert Jahre verzaubert: Larven — Narren —
Schellenträger — Jesuiten — Zeitungsleser im berauschten
Tanze nach göttlicher Melodie zu binden.
Adolf Knoblauch
Feininger
Nicht umsonst bin ich, als letzte Möglichkeit, mich auszu-
drücken, Maler geworden; und dazu ein unsinnig sich plagender,
hundert Mal versagender. In meiner stillen Kammer führe ich
verzweifelte Kämpfe; täglich stehe ich auf zu neuem Kampfe,
beseelt von neuer Hoffnung; um dann abends vollkommen zu
verzagen, vollkommen zu verzichten. Nur ist mir, je älter ich
werde — und darum preise ich das älter werden! — desto
stärkerer Willen beschieden.

Heute gibt es für mich wahrhaftig nur die Vertiefung,
den Willensakt zum Ausdruck; mit vielleicht keiner einzigen
Gabe des zeitgenössischen rein „malerisch", „amüsant"
schaffenden Künstlers.
Menschen mit Sehnsucht verstehen mich. Sehnsucht will
auch niemals amüsiert werden.
Die Kirche, die Mühle, die Brücke, das Haus — und der
Friedhof — haben mich, von Kindheit auf mit tiefen, andäch-
tigen Gefühlen erfüllt. Sie sind sämtlich sinnbildlich; ich bin
mir hierüber aber erst seit diesem Kriege klar geworden, warum
ich sie im Bilde immer von Neuem darstellen muß.
Im Laufe der Zeit erreiche ich es wohl, mich immer mehr
vom Verquälten und Zerstückelten zu entfernen. Letzte
Form kann nur durch die vollkommene Ru h e im Bilde erreicht
werden.
Heute lebt die Kunst des Ego, der Eitelkeit, und wird
steuerlos, wo sie wähnt, schöpferisch zu sein.
Viele halten mich für einen Umstürzler, während ich eine
unbändige Reaktion nur in mir weiß gegen das ganze Heutige.
Sie haben recht: Erinnerung — wurzeln in den Kindheits-
jahren, durchs ganze Leben! — die Zukunft — Sehnen, Sehn-
sucht! — und die Gegenwart — Arbeit! —
Wem von uns wird gegenwärtiges Genießen be-
schieden!? Bewußtes Genießen? — Ja, Musik am Reinsten
wohl. Aber sie ist auch „Vergessen"des Heutigen.
Knoblauch
Ich bin sehr überrascht, daß Sie mit Ihrer Kunst sich so
einsam fühlen. Vielleicht sind es der Abstand, eine rassige
Vornehmheit und die tüchtige Künstlerschaft, die Ihre Stellung
ungewöhnlich abseitig machen. Franz Marc hoffte, daß aus
diesem Artilleriekriege eine erneuerte volksnahe Kunst hervor-
gehen müßte, aber ich glaube nicht, daß das Reich der Kunst
durch einen Krieg errungen werden kann. Der Preis und Ruhm
wird meiner Ueberzeugung nach denen zufallen, die dem
schwersten Erleiden, der schwersten Prüfung nachfolgen und
nicht in allgemeine Heils- oder andere Theoreme verfallen.
Kein Mensch weiß jetzt etwas von unserer Zukunft, und es
ist nur schön, sich zu erinnern! So erinnere ich mich an Ihre
Bilder, nicht als Kunstwerke, sondern als Gegenstände der Liebe
und Sammlung. Ein Mensch ist so organisch beschaffen, daß
er, in welche Umgebung und Lage auch versetzt, sich einrichtet,
ausgleicht und erduldet. Aber ein wenig Wein, Erheiterung,
Erlösung durch Farben oder Töne und tiefe Liebe zum reinen
Leben braucht er, um im Augenblick heil zu werden. Sie, lieber
Feininger, reichen dem Bewunderer Ihrer Bilder einen tiefen
Zaubertrank, und ich möchte viel vergessen, wenn ich mich
an einige Ihrer Werke erinnere, die von schweren Farben
glühen.
Dann aber denke ich an die anderen, die düsteren, schwer-
gefugten, architektonischen! Dann wache ich auf, ich besinne
mich, und ich sehe die schwere Dämmerung des menschlichen
Lebens sich mit unerträglichem Druck ausbreiten. Da sind
Ihre kleinen gefugten, gedrückten Kirchen, die sich nicht mehr
aufrichten können, menschliche Wesen, die leiden und heroisch
dulden. Wjas soll man ihnen befehlen, welchen Trost ihnen
zusprechen, womit sie aufrichten und stützen. Das ist schon
alles überflüssig und käme auch nicht mehr zurecht.
Feininger
Gott rette uns vor den „gefühlvollen" Künstlern. Ihnen
muß in meiner Arbeit die Bosheit aufgegangen sein — ich tobe
mich immer nach einem andächtigen, tiefreligiös empfundenen
Werke gründlich hinterher aus an skurillen Kompositionen.
Die Menschen sind mir doch zu blöd, und ich mit! Doch
gegen einen Einzelnen könnte ich meine Bosheit nicht richten
— nur gegen mich selbst! In den andern stecke ich nicht,
aber „mir Aas kenne ick!"

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