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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Feininger, Lyonel: Zwiesprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0089

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Was ist Kunst: Selbstoffenbarung.
„Unfreiwillig" will ich nicht sein. Außerdem ist für tief-
empfindende Künstler der Sarkasmus die rettende Stachelhaut
nach außen hin.
X *
*
Ueberhaupt schätze ich nicht das Explosive, Abgerissene
im Kunstwerk. Ist einmal die Feuer-Rakete losgelassen, was
bleibt davon nachher übrig? Alles Kitzel, Unterhaltung, Ueber-
spannung, Außenseite, Hysterie. Laßt uns wenigstens nicht in
unserer Sache klein sein!
* *
*
Seit Neujahr bin ich sehr glücklich in meiner Arbeit ge-
worden. Ich habe mich von einem großen Teil Ballast befreit,
und bin imstande, gelassener an Dinge, die ich liebe, zu gehen,
als vorher. Hauptsächlich verdanke ich dieses Glück dem Be-
suche, nach fast zwei Jahren, wieder bei den alten Kölner
und schwäbischen Meistern und den herrlichen van Eyck,
Breughel, Lukas Kranach dem Aelteren.
Wie unübertrefflich und für alle Zeiten steht diese Ma-
lerei da! Wie gehen alle Maler dieser Kraft und Geradheit
tuschelnd und künstelnd aus dem Wege, ,.Reize" hinstreuend,
um den Geist vom direkten Ziel abzulenken.
Dieses Glück ist mir nicht über Nacht gekommen — es
steckt seit Urzeiten tief in mir verborgen, immer ersehnt und
erstrebt und immer von neuem überwuchert durch unser neu-
zeitliches „Milieu" — aber letzten Endes doch faßbar, wenn
ich den ganzen, ganzen unseligen Sauerteig verdaut und aus-
geschieden habe. Ich glaube, dieses Mal hat es einen größeren
Schub nach vorne gegeben, als bisher.
Knoblauch
Mit geschärftem Blick, fern vom „Karneval der Gesell-
schaft" schaue ich auf die Dinge und werte. Wir erwarben
uns eine dreiste gottesfürchtige Art und erzogen uns dazu, in
Donner und Zorn von solchen Sachen zu sprechen, die kindisch
herabgewürdigt wurden.
Ich verehre jene Zurückhaltung und Keuschheit, edle Un-
zugänglichkeit echter Künstlerschaft. Lassen Sie mich nur
ruhig überschätzen, ich liebe selbst schon nicht Riesenmaße,
bin sehr für das Einzelne, Feine, Gütige und Milde. Und wenn
Sie einige dieser Eigenschaften in sich gebildet haben, dürfen
Sie sich ruhig verehren lassen.
* * *
Die Schwachen leiden, mitten in den Triumphen der
Mechanik und ungehemmten Zerstörungen schwinden ihre ohn-
mächtigen Stimmen hin, blind vor jenem Worte, daß „Gott in
dem Schwachen groß ist."
Sie stehen abseits, die zur Geistigkeit berufen sind. Härte
und Strenge des Lebens halten ihre reinen Stirnen darnieder.
Da sie zu nichts tauglich sind, als ihrer täglichen Arbeit und
den kleinen Freuden des engsten Kreises zu leben, da ihr Herz
so groß ist, alle Widrigkeit und Erhabenheit in sich zu fassen,
und sie jede Beschränkung verschmähen, da sie die sittlichen
Grenzen aufrichten und heiligen: so ist ihr Platz nicht im
kriegerischen Dasein der Völker.
Feininger
Ich sprach von „Menschen" und bekenne freimütig, daß
ich zu sehr gewohnt bin, mich mit mir zu beschäftigen, um
gegen andere loszuziehen, wenn es sich um menschliche Irr-
tümer und Schwächen handelt.
Aufs Entschiedenste aber muß ich jede Ueberheblichkeit
den zeitgenössischen Künstlern gegenüber von mir weisen, auch
die Vermutung, daß ich sie richtig einzuschätzen glaube
denn sie passen mir zwar nicht, für meine persönliche An-
schauung und übergroße Sehnsucht — aber ich erkenne durch-
aus ihre Eigenschaften an und in vielen Fällen ihre überaus
großen Fähigkeiten — die ich leider mir selbst aberkennen
muß.

Ueberschätzen Sie mich nicht, halten Sie mich nicht für
etwas anderes, als einen Menschen, der am allermeisten gegen
seine eigenen Mängel zu kämpfen hat. Ich würde jedoch mich
weit ärmer bekennen als ich wahrhaftig bin, wenn ich leugnen
wollte, daß ich häufige Zeiten des Gefühls der großen, mächti-
gen Stärke habe. Ich fühle mich übervoll von einer Welt,
die adäquat auszudrücken, mir meistens so unendlich wenig
gelingt. Und wenn ich sage: ich weise den „Trost" von mir —
und die Versuchung — anstatt sie wirklich (diese innere
Welt) zu geben, etwa nur technische oder flüchtige Schön-
heiten zu geben, wie Viele es tun. Nur das gelungene Werk,
das auf das Direkteste ausgeht, kann mich erlösen und ist
fähig zu leben, weil es „zeitlos" geworden ist.
* *
Etwas Selbstgefühl kann nicht schaden!
Man ist oft genug so voller Selbstvernichtung und Zweifel-
sucht über seine weitere irdische Bestimmung.
Schließlich ist diese Kunst nur meine Sache, mir selbst
gegenüber, und ich schaffe einfach um das bischen Höchste,
was in einem kurzen Menschendasein unter stetem Ringen
vielleicht erreicht werden kann, gleichviel in welcher Form
oder Kunst.
* *
*
Mein Unglück (wenn Sie wollen) ist, daß ich vielleicht zu
sehr noch mit meinem Werk zurückhalte! Aber ich bin voller
Zuversicht, daß ich meine Grenzen noch lange nicht erreicht
habe, und daß ich von Fall zu Fall immer weiter vorwärts-
schreite, daß ich mich von dem Gedanken leiten lasse, noch
Besseres zu geben als bisher!
Knoblauch
Es ist stets ein gut Teil Martyrium darin, wenn man fest
seinen Weg innehält, und es ist eine Kühnheit darin, wenn ein
erprobter Künstler sein Urteil über das Schaffen seiner Zeit
fällt.
Sie sagen, daß Sie wohl sich selbst aber nicht die „Ande-
ren" kennen. Ich kann mir nicht denken, daß Sie sagen wollen,
Ihre Kunst geht von Ihrem Ich aus. Ich glaube, daß Ihr „Sich
selbst kennen" Kierkegaard'sch zu verstehen ist.
Ich muß bis zur völligen Verzweiflung an mir selbst in den
anderen Menschen gelebt haben und leben, um den Welt-
zusammenhang zu verstehen, soweit es Gott zuläßt. Dann erst
kann ich auch mich verstehen als die schwerste aller meiner
Aufgaben. Ich kann mich aus dem Grunde nicht verachten,
was auch ein christliches Ressentiment wäre.
Ich behaupte nicht, daß die Kunst religiös sein soll, aber
ich habe zur obersten Pflicht, religiös und sittlich zu sein. Ich
habe ganz einfach dem inneren Gebot zu folgen und mit Hilfe
meiner Kunst die sittliche Aufgabe zu erfüllen. Es ist völlig
verkehrt, etwa die Kunst selbst als religiösen Zweck zu be-
trachten. Ich muß diese Verderbnis des Geistes überwinden.
Es wäre höchst nötig, lieber Feininger, daß Ihre Verzweif-
lung an der Kunst gewissen Leuten, die allzu sorglos den be-
kannten breiten Weg wandeln, als Mühlstein um den Hals ge-
hängt würde.
* *
*
Die Kunst soll sich möglichst von Krieg und Frieden fern-
halten, denn beide sind Aufgabe der Sittenlehre. Kunst ist
aus sich und für sich selbst nichts und nie Selbstzweck. Sie ist
ursprünglich des Inhalts bar; aber sie soll treue Dienerin des
Weltgesetzes werden, Zeugin unserer inneren Welt, die wir
alle verehren.
Meine Aufgabe ist ganz einfach und naheliegend die Hin-
gabe meiner selbst in einem sittlichen Leben. Wenn mir einer
anbietet, werde das und das, aber verzichte darauf, Du selbst
zu sein, dich zu offenbaren, und lebe ganz deiner neuen Aufgabe;
wenn mir einer die Macht in die Hände legen würde, der Welt
den Frieden zu geben, sobald ich darauf verzichte, der persön-
lichen Aufgabe zu leben und nur dem Friedensgedanken zu
dienen; so würde ich auf beide Anerbieten „nein" antworten,

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