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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Feininger, Lyonel: Zwiesprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0090

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denn sie würden nicht dem einfachen und naheliegenden Sinne
meines Lebens entsprechen.
Der Friede der Weit ist nicht der Friede der Kunst und
meiner selbst. Ich würde unglücklich werden!
Feininger
Ich gehe wie ein schlechter Schwimmer leicht im Strudel
der Empfindungen unter. Mein Mitteilungsbedürfnis ist so groß,
daß ich es mit Worten nicht ausdrücken kann. Oft setze ich*
mich an die Orgel und suche Erlösung in Bachs gewaltigen
Tönen. Es steigt dann eine Fuge oder ein Choralspiel von welt-
entrückender Verklärtheit. Ja, mit dem Schreiben! Geht es
einem schlecht, dann kommt man vielleicht am ehesten dazu.
Geht die Arbeit aber gut, (dieser Gradmesser für alles!), so
hält man sich fest an das gute Gelingen, und will, vor
Ueberschwang, schreiben; jede Minute: und spart
es noch auf, damit noch mehr mitzuteilen, sich ansam-
meln kann — und schreibt am Ende doch dann erst, wenn sich
der Katzenjammer einstellt.
Auf der Staffelei steht vor mir ein angefangenes Bild. Voller
Frische, voll leuchtender Farbe: mit kühnem, breitem
Auftrag. Seit drei Tagen berausche ich mich daran.
Und nun: ich habe zwei, drei Bilder aus diesen letzten,
schrecklichen, verquälten Wintermonaten hervorgeholt und ver-
gleiche sie mit dem neuen Glückskind! Ja, was meinen Sie?
Das Glücksbild zerfällt in Bravour — und die
Schmerzensbilder sind verklärte Werke — mit einem Zauber-
schlag scheint es zu gestehen, daß aus diesen verquälten Kin-
dern dunkler Zeiten diamantharte, unvergängliche Visionen ent-
stehen, voller verborgener Schönheit. Sie sind nicht von der
heutigen Zeit. Das Glücksbild ist es. —
* *
Es gibt nur eine Kunst — die zeitlose. Alles, was
auf halbem Wege zur letztgültigen Form und Vertiefung stehen
bleibt, muß sich überleben. Denn die Seele, die die eigene
unendliche Not erkannt hat, kann nicht mehr mit weniger
als dem Letzten, Höchsten oder Tiefsten sich abspeisen lassen.
Doch das Glücksbild soll weiter gemalt werden und ein
Glücksbild bleiben. Denn ich bin doch noch zu „jung " und stecke
zu sehr in der Notdurft der Sinne, um sie ganz abzutöten. Ich
will von siebzig Jahren an mich ganz davon loslösen und
bis hundert Jahre nur noch Geist sein.

Soll ich noch von meinem Glücksbild berichten? Es ist im
Modder und Schlamm unreiner Farben untergegangen und be-
steht nicht mehr, sondern wird überspachtelt als Grundfläche
für ein künftiges „ernstes" Bild. Dagegen habe ich mit Härte
und Zorn mich gezwungen, dasselbe Bild noch einmal anzu-
fangen und mir die größte Strenge zum Gesetz gestellt. Es wird
jetzt erst ein Bild, das diszipliniert und festgefügt vielleicht ein-
mal ein „Glücksbild" werden kann.
Ein tragisches Geschick hat Marcs Bild „Tierschicksale",
durch Feuersbrunst vernichtet. Wenn ein Künstler unserer
Tage groß und edel schaffte und groß und edel war, war es
Marc.
Knoblauch
Der Ruhm ist das Gut über allen Gütern, und ich soll ihn
untadelig lieben. Er ist klarer Honig, gesunde Milch, des
Weines Würzkraft, begeisternd, unsterblich erhebend.
Er ist der Weg, den der Schöpfer unabhängig, ganz einsam
und fern gehen soll.
* *

Die Scheu vor großen Worten ist die schönste Tugend des
reifen Mannes. Wenn wir tief lieben, baut einer immer mehr
auf den anderen als auf sich, aber in Liebe, und da lernen
wir am besten das Große kennen.
* 3-
*
Es gibt keinen seligeren Genuß, als die Ueberwindung der
alltäglichen Physiognomie, des gemeinen Ausdrucks, der Merk-
male des Abfalls einer trüben Seele von der Sache des Guten
und des Glaubens an die Menschen: durch das Gedicht oder
das Bild. Gewiß kenne ich mich selbst gut, aber ich muß mir
fleißig die Fähigkeit erwerben, mich in meine Mitmenschen zu
versetzen.
In der Tiefe der geistigen Selbstentäußerung beginnt die
Helligkeit des künstlerischen Verstehens der feinen Zusammen-
hänge. Gerade weil ich stets ungeheure Lust empfinde, über
die Klarheit und Begrenztheit des gegenwärtigen Geschehnisses
in seine innerste Begründung vorzudringen, habe ich umso eher
die anderen Ichs nötig. Dann beginnt die Welt zu tönen, Zu-
sammenhang entschleiert sich, und ich verstehe ein wenig mehr
von mir. Eine ruhige sichere Heiterkeit, eine würdige Freiheit
erfreut mich. Ich schaue mich um und sage, wie schön ist es,
daß der Rasen gedeiht, der Nachmittag sonnig geworden ist
und die Katzen am warmen Ofenrohr schnurren.

Feininger
Mein Schreiben ist egoistisch, ich schreibe in der Not der
Stunde und nicht für die Dauer. Nichts ist so sehr Schwankun-
gen unterworfen, als das Gemüt des schaffenden Malers und
die letzte Wahrheit einer Stunde kann in der nächsten schon
glatt "widerlegt werden.
Zu den in Wort und Schrift tätigen Malern wird man mich,
solange ich fähig bin zu b i 1 d n e r n , niemals zählen dürfen.
Eine wahrhaft eigene Anschauung kann, jedes Mal, nur der
Einzelne im Laufe langjähriger künstlerischer und menschlicher
Entwicklung, sich selbst erringen. Nur mit der meinen ver-
wandte Naturen können an meinen Äußerungen und An-
sichten irgendwie Nutzen finden, indem sie Bestätigung
ihrer bereits eigens gewonnenen Erfahrungen darin finden.
Eine fremde künstlerische Anschauung kann nicht ohne weite-
res auf andere übertragen werden, die nur durch eigene,
zu Künstlern im wahren Sinne werden können.
Ich muß weiter im Stillen und Verborgenen schaffen; nur
meine Werke können den Beweis dafür erbringen, daß ich dazu
berechtigt war, s o und nicht anders zu schaffen. Nach meinem
Tode mag man sich zu meinem positiven Lebenswerk meine
schriftlichen Aeußerungen zusammensuchen, um vielleicht über
dasselbe klarer ins Reine zu kommen.
Aber auch, damit dies geschieht, bin ich der Welt wirklich
Großes schuldig.
*
Ich bin kein Allerneuester, sondern ein Mensch, der mit
seiner Zeit brechen muß, um leben zu können. Mag ich dabei
auch hinter der Zeit bleiben, was schert's mich! Die einzig
bestehenden kulturellen und künstlerischen Reingedanken sind
aus Urzeiten her, und moderne Gehirne könnten sie niemals
formuliert haben. Sehen Sie sich unsere geistige Welt nur an!
Wohin jede Kunst-Tendenz strebt: nach Differenzierung,
und Augenblickswirkung, nach Optik und Mechanik, nach „Ge-
fühl" und starken „Reiz", nach Symbolik (für was nur?) und
Aesthetik. Alles Dinge, die ich verabscheue! und in denen ich
auch als Verdammter stecke, weil ich in dieser Zeit geboren bin.
* * *
Ich kenne manche, die Urgewalt besitzen. Es sind nicht
heute die Gefeierten, aber sie werden bestehen, wenn man
längst ihre Namen vergessen haben wird.

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