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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Runge, Wilhelm: Gedichte
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Heynicke, Kurt: Angriff
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0128

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Tornister zuckt und schilt über die Schultern
Aechzen quält Rücken
Arme baumeln Schlaf
Der Willen schreitet
Füße murren Folgen
Die Erde bäumt
Gekreisch und Stäuben splittert
Granaten grinsen Grauen .
gröhlen Sterben
Blut bettelt Atem
Seele lächelt Ahnen
und in den Windeln strampelt ein Gebet.
*
Verbissen knirscht die Erde
reißt ab den Sommerplunder von dem Leibe
blau aus den welken Augen tränt der Himmel
die Steine ziehen ihre Schultern ein
und spötteln Menschen
weichen
starren Sterben
still hebt die Nacht den Finger an den Mund
Kanonen gröhlen ihren grellen Hohn
und poltern hin durch Beten
Fluchen
Schreien *
Herz lächelt nieder sie auf ihre Knie
stumm
blicken ihre heißen Stirnen
Dank.
Heiß winkt dein Auge
Stirne tanzt Vergessen
leichtherzig wirft dein Mund die Kleider ab
an meines Willens Tür.
all deine Worte stoßen
drängen Einlaß
laut bittet Zittern
leise schämen, gehn,
fern in der Seele schluchzt die Ahnung Lieben
und Küssen kränzt der Tränen Kinderstirn.

Angriff
Kurt Heynicke
Zweiundsiebzig Stunden heult die Luft.
Jede halbe Minute durchjauchzt eine wollüstige Granate.
Unser nasser Körper wechselt die Erdlöcher.
Wir pressen uns aneinander.
Die Nässe zerschneidet unsem Körper in tausend fr-eiende
Teilchen.
Unsre Nerven sind tot.
Blut stiert in unsere stumpfen Gedanken.
Blut in die krampfhaften Augen.
Unser Maschinengewehr wächst uns in die Hände.
Der Spaten gräbt kleine Gruben.
Die Geschosse singen sich durch die Ohren.
Pressen die Gehirne zusammen.
Bohren, schreien wuthaft auf,
zersplirren in tausend tötende Teilchen.
Singen der nächtlichen Vögel aus Stahl.
Flirren im Flackerlicht zuckender Raketen.
Unsre Herzen sinken in die Erstarrung
Peitschen sich neu in das Leben.
Stehen sprungauf!
Sinken.
Stehen wiederaufgepeitscht zuck da!
Keine Angst. '

Nur Lust.
Lust am Leben.
Fernes Leben.
Rote Dächer, Wälderberge, Städte im Licht,
Mädchengeflüster, Kinderwiege.
Viel Blut. Schreie. Toten-Tanz. Schlamm,
Dreck. Uferlose Flüche. Gebete. Bete!!
Alle Gedanken schreien nach dem Morgen.
Beten. Fluchen, Toben, Brüllen.
Die Luft wird kühler.
Die Sprengstücke klirren heller.
Sacht sinkt aus der Nacht die Dämmernis.
Jetzt.
Das Rasen ebbt.
Langsam.
Nach und nach.
Flutet wieder. Hinter unserm Rücken, rasend,
tobend, Gardine des lebendigen Todes,
bereitet vom Wahnsinn der menschlichen Hirne.
Gas.
Gasmasken.
Die Kautschukfratze vors Gesicht.
Der Augenblick drückt die Brust zum Bersten.
Handgranaten bellen.
Fremde Flüche,
Deckung.
Braune Menschen-Flut.
Wellen vorbei.
Meer von pfeifenden Geschossen, bellenden Handgranaten
wütenden Händen.
Die Maschine mäht Menschen.
Es singt unser Gewehr.
Blut.
Schlamm.
Tod.
Wieder braune Flut.
Zurück.
Vorbei.
Meer von Geschossen.
Brandung des Todes.
Flut. ' '
Zurück.
Heulen.
Wir sind!
Wir.
Unsre Hände kosen das Gewehr.
Alle Dinge werden schlaff.
Leere schöpft unsere Hirne aus.
Es ist alles süß und müde.
Es ist alles tot.
Dreihundert Meter vor uns hockt ein Tank.
Unsre Granaten treffen an seinem Leibe.
Wir sind tot.
Ruhe.
Da!
Flut! Erde reißt hoch, Dreck und Eisen
peitscht neue Gewalt.
Neuer Tanz.
Schrei und Blut.
Unser liebes Gewehr wächst uns an die Brust.
Der Spaten frißt gelbbraunen Lehm.
Regen durchsticht unseren Rock.
Regen tötet unser warmes Blut
Neuer Tanz.
Tobende Winde.
Blühende Wiese von Schrapnellen über uns.
Kein Ende. , -
Der Tod ist mein lieber Freund.
Lieber Freund, ich bete

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