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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Fünftes Heft
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Runge, Wilhelm: Gedichte
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Ernst, Max: Vom Werden der Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0072

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Gedichte
Wilhelm Runge
Blut schürzt lässig
lose winkt die Wange
Seele sinkt erschrocken in die Knie
Mund springt drüber
stolpernd
stürzt das Lachen
Weinen streichelt das zerzauste Kind
und die Sehnsucht durch der Augen Staub
tastet ihrer Stirne Sternen nach.
* * *
Auge hängt sein Lächeln nach dem Winde
Sehnsucht schlägt die Hände vor die Stirn
blind tappt Heben
hellblau tanzt der Tag
Scherze winken
Lockend läuft dein Mund
mir durchs Haar
mit sommerheißen Sohlen
Deiner Lippen rote Rosen fallen meinen lahmen Blicken in den
[Arm
hasten herzt
Die dürren Hände dürsten
Küsse protzen Schenken
wiegen Hüften
fangen Lachen
fassen Weinen
gehn
kehren stürzen
kichernd biegt ihr blendes Kleid
mir in die Hände.
* *
*
Blumen flattern Sommer
Duft nimmt beide roten Backen voll
Falter wiegen Wald
Goldkäfer schreien
Mücken strampeln himmelauf und ab
Heiß im Arm der Fische hängt das Bächlein
Linken patscht Libellenflügel wach
Zweige lachen
tuscheln
sonnen
strömen
Vögel wogen Wiesen
liegen flach
ziehn die Ahorndolden an den Händen
böse schelten Bienen in den Bart
Zwitschern streckt die sommerschweren Glieder
Taumelnd tollt des Atems Flügelschlag
und der Augen wilde Rosen springen.
* *
*
Wiese blinzelt
Sonne regnet
Steif steht Strahl in tausend Silberhöschen
Blumen raffen ihren Schiller auf
Häschen streicht den Kummer von den Ohren
Nesseln summen
Frösche klatschen Quak
und des Blättchens seidenzarte Brust wiegt des Sommers Atem
ab und auf.
* *
*
Welk ward der Sonne Strauß in deinen Augen
ganz leise weht des Flüstems Flügelschlag
mit weichen Kinderarmen fallen Tränen der Seele Jauchzen
[um den lieben Hals

das hinsinkt auf der öden Flur des Munds
hart trifft des Schweigens Faust ihm ins Gesicht.
* *
*
Stammeln beißt Worten in die eilgen Hände
Lächeln winselt warten
leise lehnt des Wollens Tür
Spalt schielt schlüpf
Schrei schürzt die langen Röcke
stürzt Küssen an den ewgen Kindermund
langsam
tritt Trennen in den Tod
die Pulse
reißt kurz der Augen tiefe Wurzel aus
zuckend schlägt Blut die kurzbeschnittenen Flügel
Weinen läuft Sehnsucht in die Mutterhand
* *
*
In die Sträucher wirft die Sonne ihre goldnen Kleider
Plätschern streckt des Lachens Glieder aus
Jauchzen springt
der Schatten Röcke rauschen
Hitze stickt des Atems zartes Kind
Staub streicht Sommer fluchend aus der Stirne
Wasser hungert Dürsten
Suchen rafft des Auges lange Schleppe
Finden fällt ihm glücklich um den Hals
zahm frißt Wasser aus der Wiesen Händen
sucht des Waldes moosge Krippe auf
Rehe schwimmen
Beeren schüttelt Kreischen
blau wiegt hoch
des Himmels Schmettertag.
* *
*
Schluchzen rinnt in Deiner Haare Bett
Hände stammeln
Blut frißt in die Adern
Atem hängt an deines Lachens Blüte
bange weint sein Flügelschlag
Trennung schlägt
verstümmelt bluten Küsse
langsam
wächst
der Tränen Nacht
Dir
über beide Augen.

Vom Werden der Farbe
Max Ernst
Als der gütig wollende Geist, der heute Chagall will, be-
stimmte: werde Grün und Fruchtbarkeit, wachsend gehorchten
die frommen Pflanzen. Nahrung und Gift waren da. Unbewußt
schuldloses Wunschleben und Abwehr. Farbe der Zellen-
zuwachswunder.
Die Haßfarbe von Pflanzengrün mußte gleichzeitig da sein.
Nicht Zeugung: Spiegelung des Polaren, Rot. Bewußtwerdung
des Pflanzenplaners, Geist. Der Geist, wo er sich selber fassen
wollte, erkannte: seine vielen Leben sind wie Rot und Seele
in der Pflanze Leib, in der sie schaffen oder sündigen können.
Schöpfung ist: Eigenformwerdüng, Sünde: Zurückbleiben hinter
der gesollten Form.
Das Mittelalter bestimmte: töte das Leben, damit der Geist
frei werde. Viele töteten sich ab wegen einer himmlischen
Frau. Die Form sollte „jenseits" sein.
Geistwerdung ist Ueberwindung der Pflanze, Entschleuder-
ung der Eigenformen. Der Leib unseres Lebens kostet grünes
frommes Pflanzenblut, entzeugt rotem zeugendem Leibsaft

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