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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Erstes Heft
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Walden, Herwarth: Pretzfühler
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Behrens, Franz Richard: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0009

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gu.ng zu einer Bedeutung erheben, die ihr nicht zukommt. Man
wäre so über sie zur Tagesordnung übergegangen und hätte
sie an ihrer eigenen Kraftlosigkeit sterben lassen." 1917 aber
heißt es: ,,Es ist nicht zu leugnen, daß einige italienische Futu-
risten dem nahe kommen. Hier ist ein kleines Bild von Seve-
rini „Die Stimme meines Zimmers Das ist nicht nur gedacht
oder gehört, es ist gewachsen. Die Bewegung, statt aui der
Netzhaut im Gehirn gespiegelt, das Ziel aller dieser Maler,
ist so Substanz geblieben, daß sie Malerei werden konnte. Sie
erstarrt nicht, aber fliegt auch nicht weg." Nun hat Severini
aber Herrn Professor Bie nicht etwa den Gefallen getan, ihm
dieses rühmenswerte Bild eigens 1917 zu malen. Dieses Bild
wuchs, um mit dem Herrn Professor zu reden, bereits im Jahre
1911 und wurde vom Sturm bereits 1912 das erste Mal aus-
gestellt, in der Ausstellung, über die Herr Professor Bie zur
Tagesordnung übergegangen ist. Ich habe schon einmal be-
hauptet, daß Herr Professor Bie schläft, also höchstens zur
Nachtordnung übergehen kann. Nachdem der alte Herr fünf-
zig Ausstellungen verschlafen hat, schreibt er heute über die
törichten Bestrebungen der sogenannten Futuristen vom Fort-
schritt der Malerei, wie er ihn sich denkt: „Aus dem Kubismus
kann es nicht kommen. Nur aus jener futuristisch-expressio-
nistischen Linie, die die Methode und das Prinzip nicht über
den Weg und das Ziel stellen." Worauf dieser Tagesschrift-
steller bei Nacht folgenden Satz zu schreiben wagt: „Man
kann Genies nicht fabrizieren, und da dieser Betrieb etwas von
Fabrik an sich trägt, wird es so nicht kommen." Dieser Mann,
der nicht einmal das Handwerk kennt, wagt von einer Fabrik
zu reden. Dieser Mann, der sinnlos Sätze fabriziert, wagt, die-
sen Künstlern seine Tätigkeit zu unterstellen. Dieser Mann,
dem keine Sterne leuchten, weil er am Tage schläft. Diesem
Alann, dem der Himmel voller Gegenstände hängt. „Der Stern
leuchtet, aber die Krippe ist leer." Ich sehe jemanden nach
abermals fünf Jahren an der Krippe stehen, der dann Ja sagen
wird. Aber dieses Ja ist eben so gleichgültig, wie dieses Nein,
das ihn in das Nichts herzlos zurückwirft.
Die Denkende
Eine Frau Baronin von Nauendorf schrieb im Wiesbadener
Tageblatt vom 7. März 1917 über Franz Marc: „Die letzten
Werke aber scheinen von einem geistig Gestörten herzurühren.
An diesem Gewirr gibt es nichts zu bewundern, man steht ein-
fach ratlos und sprachlos. Und der Gedanke taucht auf, ob hier
nicht ein Künstler rechtzeitig den Tod auf dem
Schlachtfeld fand, ehe der Wahnsinn seinem Schaffen
ein trauriges Ende bereitete."
Eine gesunde Hyäne, Hyänen sind gesund, weil sie sich
keine Gedanken machen. Sonst würden sie vielleicht über sich
wahnsinnig werden.
Auch ein Expressionist
Der Geheime Hofrat Max Klinger wird von einem Herrn
Dr. Paul Landau zu seinem sechzigsten Geburtstag also gefeiert:
„So dringt Klinger im Wagnerschen Sinne zum Gesamtkunst-
werke vor. ... So ist Klinger Expressionist im Sinne unserer
Jüngsten, ein Darsteller des Traumes und des Märchens." Ein
Darsteller ist nie Expressionist. Aber so müssen heute selbst
Geheime Hofräte in die Ewigkeit gerettet werden. Wie wird
aber dem ehemaligen Kollegen des Berliner Börsencouriers,
Herrn Professor Oskar Bie, zu Mute werden, wenn Herr Dr.
Paul Landau über seinen Klinger, über beider Klinger, also
schreibt: „So ist Klingers ganze Kunst ein ewiges Ringen um
das Ideale über die Wirklichkeit hinaus, und so ist der Künstler
selbst ein Sinnbild ..." Der Künstler konnte sich und hätte
uns das Malen schenken können, da er selbst das Bild seines
Sinnes ist. Herrn Professor Bie wird es aber beziehungslos
zumute werden. Bezugscheine für Kunst werden sicherem Ver-
nehmen nach nicht ausgegeben.

Prämtum
Herr F. S—s über die fünfzigste Ausstellung des Sturms:
„Wer aber aus Picassos geometrischen Linienkonstruktionen
eine Frau mit Violine herauszukennen vermag, verdient sicher
einen von Herwarth Waiden zu stiftenden Ehrenpreis." Ich
stifte ihn. Herr F. S—s. möge sich also bemühen. Vielleicht
gehen ihm bei dieser Lockung doch noch die Augen auf.
Herwarth Waiden

Gedichte
Franz Richard Behrens
Trommeln
Granaten grüßen gelbe Grenzen
Sehen sich blau
Granaten stellen steile Stirnen
Frühen stiebt lach
Granaten wecken wilde Winzer
Blonden trauen
Granaten klettern gleiche Gluten
Seilen säe Sehnen
Granaten nesseln nasse Nelken
Nehmen nackt Korn
Granaten gürten ganze Gärten
Zäunen kühle Blüte
Granaten knistern kurze Kerzen
Knien roh Gold
Granaten krönen Königsküsse
Glocken segeln Sonnen
Blicken schwerten Würfeln
Schüren hellen Würfeln
Zittern hecken Würfeln
Hügel hirten nattern
Nächte borgen brüte Schwäne
Morgen spellen
Morgen brechen speere Höhlen
Ernten schälen Nächte
Ströme kupfern kemen
Schnee schnitzen Wicken
Ströme schwalben Rosen
Schenken schlingen Purpurschürzen
Flanken eisen fliehe Springen
Tore finden Fassen
Täler schluchzen Durst
Berge tauen Winken
Sterne stielen steine Steilen
Röten erreißen
Sterne stecken stille Stufen
Knicken entrücken
Sterne palmen perlen Beten
Spinnen zerplittem
Sterne baden brause Bienen
Beben bäumen Flehen
Sterne stemen stehe Sterne
Bluten kugeln Ranken
Fahnen töten Kugeln
Schmerzen buchten Kugeln
Kirschen lippen Kugeln
Kugel lacht heilen Abend

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