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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Heynicke, Kurt: Angriff
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Mürr, Günther: Marienlieder
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Willi Wille!
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0130

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Ich hasse alle Menschen.
Ich liebe unser Maschinengewehr.
Ich liebe das Sterben.
Den Schlaf.
Die Luft zerrt wütende Töne.
Es rauscht.
Lieber Tod.
Lieber, lieber Tod.

MarienHeder
Günther Murr
Tausendfach Du
jeden Herzschlag alt und neu Geliebte
Strom und Fisch Du
süßes Blut und Herz
Strahl und Stern Du
milde Hand und Streicheln
Küsse ich den Schmerz aus Deinem Schein.
Blutmeer sündflutbrandend steigt
Wir eng umschlungen, Grenzen hingeschmolzen,
knien uns inbrünstig in alltragende Liebeshand.
*
Sollst Du fallen,
laß die Krallhand los
stürz ab, gleit ab,
sinkst Du in die Ewigkeit.
Dir verschlungen Marie fällt mit Dir,
lichthin, kreuzhin,
liebewärts,
himmelnah und weit,
lichthin, kreuzhin,
über Meer und Stern,
fallend wandelnd Weh und Schmelz,
losgelöst, entbunden,
Schwüngen Freis,
lichthin, kreuzhin,
aufzublühn,
einzuwachsen
in knieenden,
in anbetenden Liebesleib.
Wollen zerfasert in dem eintönigen Wind.
Regen fältt schwer, sinkt schwer,
Sumpf wächst, Sumpf steigt,
Ich sinkt ein, tief und tiefer ein,
umwirrt von Dunst Zigarettenrauch.
Regen tupft, plattert vielsilbigen Einton.
Nur fern, nur klein
süßes Lied vom Du.
*
Nun Strahl,
nun Welle,
überstilles Kreisen,
nicht auf, nicht ab,
lahm bleibt Sonne zurück
Flug fällt
Schuß ab
Auge auch ermattet.
In der Hand tausendliebe Marienlast.
Sünde ab,
Angst ab.
Hell und Dunkel lösch,
Schwingen, Sausen, Stille ewigen Kreises.
Stets Du Demjutgebeugte
zieh mich zu Dir in stillen Staub.
Nie fügen Hände, Arme sich so in einander.
Eines Atem Umarmte wir.

Geist neigt, beugt sich,
wirft sich aufschlagend in Staub,
Herz bleibt hängen an steilem Ich.
Aus Dir erbarmende Strenge
zieh mich geistnach.
Herz, schmilz hin.
Du, Marie mir.
Heiz, brich ihr nach.
Flamm auf,
flamm auf,
bis üb erbrannt verbrenne!
KHng auf,
kling hin,
daß ich mit schwingend verklinge!
Sei ich,
o Du!
Wir
ER
*
Erde kleint, Mond gelbt,
Höhe dunkel steigt jesusweit,
Hasse Rakete zuckt, Verräter,
abfällt, muß todwärts.
Herz steigt auf,
reißt fetzendes, durchsticktes Wolkenkleid,
fliegt in unendliches Herz.
*
Tiefbrauner Samt
heimatschweres Männersingen
hell zieht jungzärtliche Stimme
weißgoldene Streifen.
Fernfernes Mädchen,
nahgeliebtes.

WiHi WiHe!
Mynona
Ach Sie! Tun Sie doch nicht so! Sie kennen ja doch die
Hefe des Volkes, den Mob, den Pöbel, das Volgus, die Plebs (ge-
bildete Leser müssen sich hier mit „der, die, das" sehr in Acht
nehmen), den Janhagel. Sie kennen die Plebs, aber Sie ken-
nen sie nicht genug. Mit einem Worte, Sie kennen den Schwei-
nehirten Willi WiHe nicht. Vertrauen Sie mir, daß seine Ge-
burt über und über bemakelt war. So etwas von befleckter
Empfängnis hat sich, seit Adam und Eva, vielleicht noch niemand
geleistet (selbst Ewers, Alraune nur mit schwerem Herzen aus-
genommen). Seine Ahnen waren sämtlich Verbrecher, die Müt-
ter Dirnen: freche Königsmörder, Unzüchtlinge, Blutschänder
(Oedipus nur Waisenknabe); es ist keineswegs gänzlich auszu-
schließen, daß Willi so etwas wie sein eigener Enkel war, in dem
er sich seiner Großmama .... doch Diskretion. Er war das
Musterstück schlechter Rasse: sein Blut roch nach allem, nach
Negern, Pescherähs, Mongolen, Semiten, Germanen, sogar nach
Menschen-Affen; er erinnerte an den Herrn Haeckelschen Pi-
thekanthropos. Als Houston Stuart Chamberlain ihn zufällig
sah, fühlte er sich vom sogenannten „Versehen" der Schwange-
ren angewandelt: dieser Zufall erst ermöglichte ihm die intui-
tive Einfühlung in solche hysterischen Phänomene. Der Bauer,
der sich diese Spottgeburt von Schweinehirten hielt, hätte, mit
lebhaftem Vergnügen, vor dem geringsten seiner Schweine den
Hut tiefer abgezogen als vor diesem konzentrierten Unflate.
Willi war ein fleischgewordenes Pfui. Es kam eines Tages so
weit, daß sein Hund Willis Kopf als . . . Prellstein benutzte —
und daß Willi nur darüber grinste und sich die Lippen leckte.
Meine teuren Leser verzeihen mir, daß ich sie zum Abstieg in
diese Senkgrube menschlicher Gemeinheit zwinge; das hat ja
auch sein Angenehmes; desto olympischer dürfen sich auch die

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