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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Drittes Heft
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Heynicke, Kurt: Gedichte
DOI Artikel:
Schreyer, Lothar: Das Bühnenkunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0042

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Mädchenstunde
Die Stunden streichen weinend über dunkles Haar,
die Winde wirbeln Nacht und Frühling durch die Wälder.
Die Augen träumen zage durch die Scheiben
erbrausend kniet der Sturm die Wipfel in den Sand.
Sturm
ringe tief dich in mein Blut!
Sturm, wilde Welt aufküsse meinen jungen Tag!
Aufblühen will mein Blut
aufschreiend in den Lenzeswehen gib dich mir,
Sturm in der Nacht!
Lied
Licht,
Leben meiner Liebe helles Leben!
Umschließe mich
ergieße dich
Strom überhand auf meine Seele!
Welthimmelüber tanzen meine Lieder
Sternher auf jauchzen meine wilden Klänge!
Gesänge suchen dich und mich!
Dich
Bruder Gottes
meines Lebens Bruder!
Dich
Freund der Welt
dich Wanderstecken meines Weges!
Ich bin des Lebens Held
lichtfrühlingt neues Land dem König zu!
Gedicht
0 nachts
das dumpfe Lied aus meiner Seele fremden Gärten!
In schwarzen Stunden dunkler Sang der tiefen Brunnen
Auf hellen Kissen horchen die Gedanken.
Schwer liegt das Blut im Dämmern eingeschlossen,
Aus unbekannten Meeren rauscht der Klang
im Grunde meiner Seele singend
fremd '
unfaßbar
dunkel
Gott!
Gedicht
Aufreißen will ich meinen Gang im Kreise
ein klarer Stein, der goldne Kette bricht
ich lebe nicht,
ich bin schon lange tot im Rausch der Tage.
Hoch heben meine Nächte ihre Stunden in die Ferne
aus blauen Schleiern glühen weiße Sterne
und diamantne Schlangen schwimmen in umsonnten Höhen.
In mondbeglänzten Gärten tanzen goldne Farben
ihr Reigen wird zu süßen Abendmelodien.
Das sind die Nächte,
wo mich Liebe überströmt,
Licht - Liebe, Menschenliebe, Einsamkeit.
Das sind die Nächte
wo mich Gott zu Gaste hält.
Das ist die Welt
die hinter fernen Toren ihre Heimat hat.
Das sind die Stunden
die sich einsam heben,
hoch ihre Augen in den Ursprung Gottes,
das ist das Leben, wenn die Sinne fallen,
und Licht entsteigt den fernsten Nachtgestimen.


Das Bühnenkunstwerk
Lothar Schreyer
Die Bühnenkunst im Menschenhaus
Das Menschenhaus hat kein Publikum.
Der Fall der Vergangenheit, die Armut im Geiste, ist das
Publikum.
Die Vergangenheit ist gefallen vor dem Geist der Gegen-
wart. Das Publikum ist gefallen.
Das Publikum hat keine Auferstehung. Der Geist steht auf.
Das Publikum hat keinen Geist. Der Geist ist keine Oef-
fentlichkeit. Der Geist ist eine Innerlichkeit, die das All ergreift.
Die Zeit des Publikums ist vergangen. Das Publikum ist eine
Häufung von Persönlichkeiten. Jede Persönlichkeit will das
Glück. Die Häufung der Persönlichkeiten engt das persönliche
Glück. Die sinnliche Macht aller will ein Machtglück der Natur.
Das Publikum hat keine Kunst. Das Publikum will sich un-
terhalten. Das Publikum will angenehm verdauen. Es will Brot
und Spiele. Der Beifall ist seine schmerzlose Verdauungsgym-
nastik. Bald hat der Spieler sein Brot verspielt.
Die Gegenwart hat keine Persönlichkeit. Die Gegenwart
hat kein Publikum. Die Persönlichkeit hat keinen Wert. Das
Publikum ist wertlos. Es gibt kein Recht auf Glück. Wir leben
nicht für unsere Persönlichkeit. Wir sterben für unser Werk.
Das Werk sind nicht wir.
Die Persönlichkeit ist gefallen. Der Mensch steht auf.
Mensch und Volk sehnen ihre Einheit.
Wir sind die Alenschheit .

Eins sind wir in der Schau der Ekstase.
All sind wir in der Schau der Ekstase.
Die Schauenden sind die Erkennenden.
Erkenntnis ist unbegreifbar. Erkenntnis ist Offenbarung
und Wunder.
Der Erkennende schaut das Wunder in der Gestalt. Kunde
der Erkenntnis ist die Kunst. Künder der Offenbarung ist der
Künstler. Kunststätte ist Stätte des Erlebnisses der offenbar-
ten Erkenntnis.
Wir lebendigen Geister sehnen das Wunder. Wir, geistiges
Leben, sehen das Wunder.
Der Schauende ist Mensch.

Der Mensch hat kein Haus.
Das Menschenhaus laßt uns errichten.
„ Das Menschenhaus ist die Stätte, die dem Erlebnis geweiht
ist. In ihm wird das Erlebnis gekündet und erlebt. Die Erleben-
den und die Kunde des Erlebnisses, das Kunstwerk, sind in ihm.
Es ist die Stätte des Sehers und der Schauenden.
Das Menschenhaus ist Kunstwerk. Das Haus ist Bauwerk.
Das Bauwerk ist Formkunstwerk und Farbkunstwerk und Be-
wegungskunstwerk. Das rhythmische Bauwerk ist farbig und
bewegt.
Der Geist der Gegenwart wirkt das Bauwerk. Die erfüllte
Sehnsucht wird uns im rhythmischen Kunstwerk. Das rhyth-
mische Kunstwerk gibt uns die Baukunst.
Die Häuser der Menschen dienen der natürlichen Wirklich-
keit der Menschen. Sie können nicht sterben, wie die Natur,
weil sie tot sind. Sie sind keine Machtgestalt des Natürlichen.
Sie sind tote Machtmittel eines Lebens, das sich der Natur be-
mächtigt.
Das Menschenhaus dient dem geistigen Leben, das eine
Wirklichkeit ist. Es ist lebendiger Diener des Geistes, wie wir
lebendige Diener des Geistes sind. Es spricht zu uns, wenn wir

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