Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

DOI Heft:
Zweites Heft
DOI Artikel:
Heynicke, Kurt: Gedichte
DOI Artikel:
Knoblauch, Adolf: Gereut, [1]: Erzählung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0030

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ich höre die Mütter aus den Wäldern weinen,
ich sehe alle Bräute ihres Leibes Liebe suchen,
Greise bringen ihr graues Haar in die Kirchen,
aHe Häuser stehen grau im Licht.
Weine, Seele, den Schmerz der Welt.
Weine, Welt, den Schmerz der Seelen.
Weine, Kind in der Wiege, dem Vater der Schlacht.
Eifersucht
Die Stunde hat ein fremdes Angesicht
es lallen Totenschädel von den Blütenbäumen
drin Du.
An deinem Gange hängt mein Blick,
dein Haar verweht in Meeren fremder Männer.
Aus einer Geige schwimmt ein Lied
das Lied bist Du
und aus dem Abend meiner Liebe
gehst du in die fremde Nacht.
In alle Sonnen bette ich dich.
Heber alle Himmel trage ich dich,
deine Seele auf meinen Händen.
Unsere Schritte blühen her und hin
an unsern Fersen zucken Sterne hoch hinauf,
alle Stunden vergißt mein Mund
an deinem Halse zucken Kerzen über Nacht.
Sterne stehen
Wolken wehen
o du überdämmerdunkles Leuchten!
Nun gehen wir zu glühn im Licht
o Seele weine nicht!
Wir sinken in das dunkle Tor
und beben aus der wehen Nacht hervor,
tief beugend Sinn und Herz in Staub.
Von buntem Laub umkränzt der letzte Schritt
die Welten rauschen nahe mit.
Bitte
O laß uns überfließen!
Daß unsre Kelche ineinanderrauschen
laß uns den Nächten lauschen
tief
in uns.
In unsre Seelen ist ein Stern gefallen
von Gott ein Stern
der glühendste von allen.
O laß uns lauschen!

Gereut
Erzählung
Adolf Knoblauch
I
Vor zehn Jahren begaben sich die Dollinge an einem tief-
verschneiten Novembermorgen in den westlichen Waldvorort
hinaus mit einer Schar von erlesenen Familienhäuptern, schrift-
stellernden Damen, Dichtern, Kaufleuten, Journalisten, um das
künftige Heim der von den Dollingen begründeten Gemeinde
der Mündigen zu besichtigen. Vom frühzeitigen Schneefall, An-
blick des offenen dunklen Sees am Grunde der verschneiten
Wälder, dem herrlichen Winter, waren die Großstädter trun-
ken. Die würdigen Familienhäupter kriegten mit den Damen,
und Dolling, der Zappelige, faßte alle an die runden Arme, um-
armte, küßte rote Backen und winterduftende Lippen.

Dollings romantischer Traum stand vor der Erfüllung! Nach
der Revolution der achtziger Jahre hatte Dolling seine Romantik
von 1900. Auf den Vortragsabenden vom Mündigen Geiste
hatte er riesigen Zulauf, Reformer aller Richtungen und Parteien
sammelten sich unter seinen Fahnen, alle wurden in der Forde-
rung weltbeglückender, bunter Mündigkeit geeint: Boden, Le-
bens, Bekleidungs, Nacktheits, Kultur-Reformer! Gott, Kunst,
Schönheits-Sucher! Gartenstadtgründer, Vegetarier, Natur-
mönche, literarische Edel-Anarchisten und andere Lebenskünst-
ler! Enttäuschte Sozialdemokraten, Sozial-Aristokraten, Volks-
erzieher, Monisten, Germanophoben, Arier und andere bunte
Intellektuelle!
Der wegbereitende Prophet verpflichtete eine Zahl erlese-
ner Familien, die mit ihm in die großstadtferne freie Natur hin-
ausziehen, vereint unter einem Dach, im gemeinsamen Hause
leben sollten: im Hause der Allheit, das Allen, doch Niemanden
einzeln gehören sollte.
Die das künftige Menilmontat suchende Schar gelangte
schneeballend auf das kahle Gelände, auf dem das Reich der
bunten Geistesfamilie begründet werden sollte. Hoch und
einsam, im weit gebogenen Rund von schwarzem Forst ragte der
trostlos viereckige Ziegelbau von der nützlichen Kahlheit eines
Gefängnisses. Das Haus diente vordem als Internat verwahr-
loster Mädchen, dann als Vegetarierheim. Es sollte das Haus
der Mündigkeit werden!
Die Schar betrat die riesige, düstre Halle des Hauses und
drang in die Küchenstube der alten Pächtersleute ein. Sie alle
bekamen eine Tasse heißen Kaffee, auch der von den Mündigen
mitgeduldete Knabe Gereut. Denn Gereut war seinen Eltern
davongelaufen und den Dollingen eines Tages zugelaufen, um
in der Mündigkeit sein eigen Fünklein heller zu brennen.
Gereut genoß gierig den Kaffee und trollte sich mit dem
schwarzen, wolligen Spitz in den verschneiten Hof. Mit Wut-
gebell hatte der Spitz die auf den Hof schwenkende Schar be-
stürmt, aber als Gereut sich mit ihm einließ, drängte er sich
freundschaftlich an den Knaben. Beide sprangen um die Wette,
fielen in den Schnee und wälzten sich in der tauigen Fülle. Ge-
reut faßte mit brennenden, roten Händen die weißen Schnee-
ballen und griff den Spitz an, der freudeheulend den Knaben
ujnwarf und siegreich über ihn hinraste. Beide streckten wonnig
alle Viere aus dem Schnee in die ahnungsvollen Lüfte.
Die Dollinge waren mit Gefolge zur Besichtigung des Gar-
tens aufgebrochen und standen lachend vor dem wütenden Knäu-
el von Gereut und Spitz. Diese unbändige zwanzigjährige Le-
benskraft machte erschrecken. Die wilden Sprünge, jähen Ge-
berden, maßloses Jauchzen stürmten urwüchsig über alle Sät-
tigung der verbrauchten Dollinge. Der Junge bebte im Orkan
von Freude, Lachen, Schwungkraft... Ein zum geschichtlichen
Ereignis der Besichtigung mitgefahrener Dichter, ein älterer
Herr, war auf das flache Dach gestiegen und wandelte, sinnend
die Hände auf dem Rücken verschlungen, droben auf und ab.
Eine hohe, schwarze Gestalt vornübergeneigten Hauptes. Die
Dollinge drunten hatten zum Aufbruch gemahnt, man wollte
heim zum Mittagessen, aber Der droben ließ sich nicht stören
oder vernahm nicht die lustigen Anzapfungen von drunten. Als
eine Dame erwähnte, daß man ihn jetzt nur in seiner lyrischen
Empfindung über das erhabene Geschick des Heims der Mündi-
gen stören würde, zog die Schar endlich ab mit Taschentuch-
winken, Hallorufen und Gassenhauern. Gereut abseits hinter-
drein. Als er sich einmal umwandte, sah er die schmale, schwarze
Gestalt des älteren Herrn sinnend am grauen Schneehimmel auf
und abwandeln mit Papier und Stift in den behandschuhten
Fingern.
II
Als der Frühling nahebei war, zogen die Erwählten aus
allen Richtungen, auf allen Straßen zum Heim. Die Möbel-
transporte hatten auf den Sandwegen zur Auffahrt vors Haus
schwere Mühe und blieben stecken. Dann besetzte der
Schwarm das Heim; geschäftige Frauen, streitende Männer
neugierige Kinder, Handwerker, Ziehleute.
 
Annotationen