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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Feininger, Lyonel: Zwiesprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0092
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Knoblauch
Ich habe damals die Wendung vom christlichen Selbst-Haß
und -Verachtung *) fort vollzogen, bin also vom Christentum
weg und bin ohne diese düsteren und verhängnisvollen Schmer-
zen, denen berauschender Aufschwung folgt. Ich habe die
Arbeit in ihrer breiten Einfachheit gewählt, die positiven Freu-
den, von denen ich offenherzig Vergnügen habe, die Lebens-
bejahung nicht als Gnade, sondern als gesundes Mitessen am
Tisch der Welt, das Gechlechtliche, die Natur, die reichen und
schönen Städte.
Ich empfinde das Unglück meiner Mitmenschen, ich bete
mit manchem Ich, ich arbeite, um die Ichs so kennen zu lernen,
wie Gott es den Künstlern befiehlt. Da ich soviele Schwächen
kenne, unsägliche Kleinmütigkeit, Bitterkeit und Schwärze:
liebe ich heiß das strahlende Leben im Blut und das Meer des
Lichtes, aus dem der Frieden kommt, der über allem Verstände
ist.
So bin ich unvermögend geworden, mich selbst zu verach-
ten, und ich glaube an den göttlichen Shakespeare, der mich
auffordert, den Formeln zu entsagen und die Schmerzen der
Menschen in der eigenen Brust zu sammeln. Das kann nur,
der die Kunst einfach und natürlich auffaßt. Hohes Glück eines
kleinen Liebesliedes von Shakespeare oder Goethe oder der
feierlichen Anrufungen der Heimatströme und Heimatebenen
Amerikas von Whitmans ungeheurer Stimme.
Feininger malt, dient, seufzt, quält sich, presst das All zu-
sammen, geht in den dunkelsten Schlüften. Ich dichte, gehe
Hand in Hand mit den Liebsten, halte Kameradschaft, öffne
Brust und Geschlecht, prüfe die Stimme und kläre sie von Trun-
kenheit, Wollust, Sorge, Verdruß. Ich liebe das natürliche
Licht und kann es nicht extensiv genug, auf Alles ausströmend
haben. Feininger kennt die Welt besser und malt also das
Licht, welches er mitten im Dunkel findet. Ich kenne die Welt
schlecht, liebe sie umsomehr und verherrliche ihre Beziehungen.
Schaudernd blicke ich in ihre Abgründe.
Aber wir beide haben Eines gemeinsam: den Haß gegen
Mechanik, die Wut auf seelenlose Vernichtung, und wir machen
Kino, Grammophon, unsere ganze Automaten- und Fabriken-
Kultur lächerlich, indem wir den Glauben an die Ausschließ-
lichkeit unserer Kunstaufgabe hüten und verteidigen.
* * *
Was Sie malen ist — in den düstren Bildern — Härte,
Leid: Die zehnfachen Schichten übereinander in Ihren Arbeiten
wollen nicht die billige Einfachheit der „Glätte". Sie hassen
das „Programm" als billige Erleichterung der Gegenseite zur
Glätte. Sie loben daher das Handwerk, das ja die reine Arbeit
bedeutet. Und dann treten Sie vor Ihre Arbeit und sind nur
im Stande, Ihre Arbeit zu machen, die Sie nicht ausdrücken
können, und die von den Beschauern Ihrer Bilder dann abge-
lehnt wird.
Sie haben übrigens nicht ganz recht, daß jeder schaffende
Mann seinen eigenen Weg gehen müsse, man muß hinzufügen,
daß sein Weg untergehen muß, und er von Gott seine Macht
zum Leben erhalten muß. Es ist ein furchtbares Brausen über
das armselige Geschöpft gekommen, das einmal Schöpfer wer-
den kann.
Aber welch' seltner Fall ist das!
Feininger
Eines fehlt ihnen: es ist das Zu-Ende-Schaffen eines Kunst-
werks!
Ist die „Note" der allgemeine „Wurf" eines Werkes erst
gelungen, „sitzt" eine Sache, dann brechen sie dort ab im
Kunstschaffen, wo eigentlich erst der Anfang gelungen ist.
Wer an seinem Werk aber feilt und glättet und die letzte Form
*) Ich kann die Selbst-Bezweiflung nicht leiden. Sie gilt zwar
als feine Kultur-Eigenschaft! Wenn ich meine Arbeit viele
Male wieder von vom anfange, so ist das in der Ordnung, aber
wenn ich mit dem Zweifel gleich immer vorn anfange, so kann
ich nie im Großen wirken.

vervollkommnen will, wird „kühl" und „temperamentlos" ge-
scholten.
* *
*
Wie ich das Wort „Temperament" im Kunstbegriff hasse!
Wer eben sich nicht hat bemeistern gelernt, seinem Ungestüm
oder seiner Hast nach Gelingen keine Zügel anlegen kann, wird
als „temperamentvoll" gepriesen. Das ist dann der — „warme
menschliche Hauch" in seinem Werke.
Ich brauche nicht erst alte Bilder im Museum zu sehen.
Eine Sammlung mittelmäßiger Abbildungen nach Bildern
des 14. oder 15. Jahrhunderts, vornehmlich der italienischen
Präraffaeliten, läßt mich erschüttert ob der Vollendung
von Absicht und Form in allen Werken. Viele „Neueste"
bringen das rein Handwerkliche wieder zu Ehren. Das
ist schon sehr viel gewonnen und vielleicht unsere
größte Hoffnung auf eine neugeborene Malkunst (allzuviel ist
jedoch dabei artistisches Streben.) Wir kommen nur
schwer zur Verinnerlichung und zum vollkommenen, geraden
Ausdruck geistiger Kunst.
Knoblauch
Zu gewissen Zeiten entstehen große Werke, die voll Hoheit
alles menschliche Treiben beschatten.
Während ihr lebendig Inneres ihren Urhebern im Tode
nachfolgte, wurde ihr Gehäus unsterblich im Tode der Zeiten.
In ihrer Verlassenheit und Einsamkeit überdauern sie alle Ent-
wicklung, selbst des Volkes, das sie hervorbrachte und dem
sie geistiger Atem, Sonne und Ruhm waren.
Die gotischen Kathedralen, einsame Wächter über ver-
sunkenen Städten sind so unheimlich gespenstig wie wuchtig in
der materiellen Macht und sichtbaren Verkörperung der Kräfte,
die Jesus unterworfen waren. Ihr tropisches Gegenstück sind
Indiens Dome vor der Muselmanen und Akbars Zeit.
* *
*
Die großen, künstlerisch hochbegabten Völker in Aegypten,
Indien, Persien, Griechenland, Etrurien gingen zugrunde oder
wurden von Barbaren unterworfen. (Allein Barbaren und Juden
überlebten das Altertum.) Was ist von je den Barbaren so ver-
haßt gewesen, wie das gute Kunstwerk, das sie vorfanden,
mochten es nun Mohammedaner oder Engländer sein, die ihre
unfähigen Machwerke eilfertig an die Stelle der eingeborenen
Künste setzten und die einheimischen Götterstätten entweder
gänzlichem Verfall und Verfinsterung überantworteten oder sie
mit dem Hammer demolierten, um „Andenken" zu schinden
oder ins heimische Museum zu verschleppen, wo die ehrfurcht-
gebietenden Bildwerke ein obskures, verdorbenes und tragisches
Leben auf ihre alten Tage zu tragen verflucht sind.
* *
*
Aber wenn die Kultur verfinstert ist, wenn der leichte
Glaube an die vielen Allheilmittel zur Abstellung des Uebels
und des Leidens wankend geworden ist, wenn es klar wird,
daß die Schöpfung ihre Kräfte ökonomisch unter den Völkern
verteilte und diese einander beiordnete zur Hervorbringung der
Werke, die die kurze Spanne des Lebens eines Volkes über-
dauern, wenn es schließlich eine Kleinigkeit ist, das Genie so
gut wie eine Kathedrale oder ein ganzes Volk zu Grunde zu
richten: dann wird es schwer, die unverwüstliche Wohlmeinung
über sich selbst beizubehalten.
*
Laßt uns die ewig frische Epoche der Werke ankündigen,
die aus unbekannten Ueberwindungen, Not und Kraft und
Leiden eines großen ringenden Herzens hervorströmen, wenn
der Weg bereit ist und feierlicher Sonntag anhebt. Laßt uns
dies Herz nicht verleugnen.

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