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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Viertes Heft
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Walden, Herwarth: Die Kunst in der Freiheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0056
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Die Kunst in der Freiheit
Herwarth Waiden
Der Kleinbürger Adolf Behne sucht seine
Freiheit dadurch zu beweisen, daß er in der
,.Freiheit" behauptet: ,,Der ,,Sturm" sei heute
gut bürgerlich. Noch mehr: ,,Ich kann seinen
Besuch den Bürgern nur sehr empfehlen. Sic
brauchen nicht zu befürchten, dort etwas von
revolutionärer Gesinnung zu finden. Er
bringt den Expressionismus nur noch, so weit
er Alodesache",
Ich muß Herrn Adolf Behne enttäuschen.
Im ,,Sturm" war nie etwas von revolutionä-
rer Gesinnung zu finden, wohl aber aus-
schließlich Werke von künstlerischer Ge-
sinnung. Sie hat allerdings, auch auf das Ge-
hirn des Herrn Adolf Behne, vorübergehend
revolutionierend gewirkt. Allerdings nur so
lange, wie sein Gehirn diese Erschütterung
aushielt. Jetzt hat es sich beharrlich zur
Ruhe gesetzt, schreibt Kunstkritiken und
fälscht die Tatsachen. Oder ist es keine Fäl-
schung, zu behaupten, daß jungö, Künstler
wie Oskar Fischer und Heinrich von Boddien
deswegen ausgestellt werden, weil sie M.o-
desache sind. Oder ist es keine Fälschung,
zu behaupten, daß der ,,Sturm" sie ausstellt,
um ,,auch dadaistisch zu tun". Oder ist es
nur die schlichte, übliche Unkenntnis der
Kunstkritiker, daß Herr Behne glaubt, im so-
genannten Dadaismus auch nur eine Kunst-
r i c h t u n g zu sehen. Ist es Herrn Behne
wirklich nicht bekannt, daß diese sogenann-
ten Dadaisten formale Nachahmer von
Picasso und Kandinsky sind, so weit sie Bil-
der machen und Nachahmer von Marinetti,
so weit sie Literatur treiben. Oder ist es
nicht geradezu lächerlich, daß Herr Adolf
Behne zwei junge Leute als führende Künst-
ler hinzustellen wagt, von denen der eine so-
gar Schüler der Sturmschule gewesen ist.
Oder ist es nicht böswillig, zu behaupten,
,,daß der Sturm, was uns nicht unbekannt
war, wirklich eine sehr achtenswerte Ver-
gangenheit hat". Wo diese sehr achtens-
werte Vergangenheit etwa Kandinsky, Cha-
gall, Franz Marc, Archipenko, Paul Klee
heißt, und diese sehr achtenswerte Vergan-
genheit noch immer Gegenwart ist. Oder ist
es nicht böswillig, Bildejr eines Künstlers
dilettantische Fadheiten zu nennen, von dem
man sich aus Begeisterung Bilder zum Ge-
schenk erbittet. Und warum ist der Herr

Adolf Behne so böse. Weil sein Gehirn er-
starrt ist und er behauptet, diese Erstarrung
sei im Sturm vorhanden. Insbesondere des-
halb, weil einige Künstler des Sturm gele-
gentlich abends Zusammenkommen und Wein
trinken. Früher schob man die eigene künst-
lerische Unfähigkeit auf das Kaffeehaus der
anderen, heute auf das Weinhaus. Trotzdem
kommt die neue künstlerische Erleuchtung
des Herrn Adolf Behne immerhin durch einen
Sturmschüler. Trotzdem findet er die Bil-
der von Künstlern des Sturm sofort wieder
schön, wenn er sie durch seine Vermittlung
in anderen Ausstellungslokalitäten wieder
findet. So findet er von dem Bildhauer Os-
wald Herzog am besten ,,das bereits im Ar-
beitsrat für Kunst gezeigte Alodell für ein
Kunstbaus". In demselben Arbe,itsrat für
Kunst nämlich, den Herr Adolf Behne als Ge-
schäftsführer leitet, Oder ist es nicht bös-
willig, die Künstler des Sturm als unbedeu-
tend oder minderwertig hinzustellen und sich
gleichzeitig dringend auf jede erdenkbare
Weise zu bemühen, dieselben Künstler für
andere Vereinigungen zu gewinnen, wie
Herr Adolf Behne und seine Gesinnungsge-
nossen es tun.
Herr Adolf Behne, der Kunstkritiker,
schreibt: ,,Wer gestaltende Phantasie hat...
erfindet ganz andere Formen als diese paar
Blasen, Kugeln, Spitzen und Zacken. Nein,
das genügt mir nicht als expressionistische
Plastik! Ich warte auf Bogen und Brücken,
auf Sterne, Grate — auf letzte harte kosmi-
sche Formen." Das schreibt ein Kunstkriti-
ker. Er bildet sich also ein, daß die Kunst in
Erfindung von ganz anderen Formen besteht,
daß Kunst Erfindung ist. Und daß diese For-
men kosmisch sind, wenn sie aus letzten har-
ten Bogen, Brücken und Sternen bestehen.
Darauf wartet er. Auf der Brücke steht er
und wartet, die er vorausschauend sich schon
denken kann, den Regenbogen über sich.
Oder er wartet auf kosmischen Graten und
sieht weit blickend schon die Sterne über
sich. Das genügt ihm als expressionistische
Plastik. Was sind ihm ein paar Blasen und
Kugeln. Auf die Brücke kommt es an. Ja,
er hat gestaltende Phantasie, der Herr Adolf
Behne. Das zeigt auch sein revolutionärer
Stil: ,,Durch das Entgegenkommen kam nun
eine Ausstellung zu Stande, in der die junge
Genossenschaft zum erstenmal ihre Visiten-
karte abgibt." Dieses Bild des Herrn

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