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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Viertes Heft
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Walden, Herwarth: Die Kunst in der Freiheit
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Walden, Herwarth: Die Freiheit in der Fachkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0057

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Behne ist durchaus bürgerlich oder ist es
das Entgegenkommen der revolutionären
Gesinnung, die ihre gut bürgerliche Visiten-
karte abgibt. Und während Herr Behne die
Arbeiterschaft vor dem Sturm mit der sehr
achtenswerten Vergangenheit warnt, fordert
er sie auf, in einer Dilettantenausstellung
sogenannter sozialistischer Künstler die
neue Kunst durch den erwähnten Sturm-
schüler kennen zu lernen. Auf diese Weise
wird die Arbeiterschaft in der ,,Freiheit" hin-
ter die Kunst geführt.
Aber Herr Adolf Behne mag sich drehen und
wenden, wie er will. Immer wird ihn der
Sturm packen, ihn, der auf der Brücke steht
und wartet. Die Arbeiterschaft möge sich
merken: Die Revolution ist keine Kunst, wie
ihr ein Verlagsangestellter der ,,Freiheit"
einschmeichelnd schwarz weismachen will.
Die Revolution ist keine Kunst. Aber Kunst
ist Revolution.


Die Freiheit in der Fach-
kritik
Die Harmlosigkeit der Berliner Kunstkritik
wirkt nachgerade rührend. Nachdem die
Künstler des Sturm gegen den Willen der
Berliner Presse gesiegt haben und'die Kunst-
kritiker durch diesen Sieg gezwungen sind,
nun gütigst von ihnen Kenntnis zu nehmen,
suchen sie angstvoll nach einem andern Mit-
tel der Schädigung. Mit Totschweigen geht
es nicht mehr. Zum Totreden fehlt ihnen
die Fähigeit, Herr Adolf Behne hat das ge-
schichtliche Verdienst, der Kunstkritik zwei
neue Mittelchen vorgesetzt zu haben. Die
Mittelchen heißen Sturm-Klub und Sturm-
Schule. Vom Sturm-Klub werden die Leser
dieser Zeitschrift erst hiermit etwas er-
fahren. Und zwar deshalb, weil er aus-
schließlich eine private gesellige Vereini-
gung der Künstler und Mitarbeiter des Sturm
ist. Das Wort Klub ist dem Herrn Behne in
die Glieder gefahren. Er stellt sich unter
Klub offenbar eine orgiastische Spielhölle
vor, in der die Besucher ihre Riesengewinne
aus Kunstwerken mit Wein, Weib und Ge-
sang verjübekn. Es iht die typische Vorstel-
lung des Kleinbürgers, daß Wein etwas un-

erhört vornehmes und teures sei, was man
sich nur zur goldenen Hochzeit und zum
fünfzigjährigen Kunstkritikerjubiläum leisten
darf. Ich warte immer noch mit Spannung
auf die psychologische Analyse, wieso die
gesellige Zusammenkunft beim Wein eine
Versündigung gegen den sogenannten Geist
der Kunst darstellt. Die meisten Kunstkri-
tiker bedienen sich dieses Mittelchens des
Herrn Behne nicht, weil sie sich offenbar
selbst nicht ganz weinrein fühlen. Hingegen
ist das zwieiste Miktelchen, die Sturm-Schule,
recht beliebt geworden. Die Herren Kunst-
kritiker stellen sich das so vor, als ob die
Sturm-Schule monatlich etwa tausend Schü-
ler ausbildet und diese Schüler dann der
Kunstkritik als Künstler des Sturm präsen-
tiert. Nun muß ich leider wieder einmal die
Kunstkritik bitter enttäuschen. Die Sturm-
Schule hat seit ihrem Bestehen bisher zehn
Schüler aufgenommen. Die sehr große Zahl
der sogenannten Kunstjünger, die sich fort-
gesetzt anmelden, wird aber sofprt läbge-
wiesen oder nach einem Monat wieder ent-
lassen. Denn die Sturm-Schule nimmt jeden
grundsätzlich nur erst auf einen Probemonat
auf. Nicht die Sturm-Schule ist also für die
zahlreichen Epigonen des Expressionismus
verantwortlich. Verantwortlich hingegen
ist die Kunstkritik, die mit tötlicher Sicher-
heit jeden Epigonen unterstützt und jeden
Künstler verwirft. Die Kunstritik ernennt
aber mit Vorliebe irgend welche Epigonen
zu Sturm-Schülern, die ihr ausnahmsweise
auch einmal nicht passen. So äußert sich
Herr Professor Kurt Glaser in einer Fach-
zeitschrift über die Dresdener Gruppe 1919:
,,Die Dresdener Talentchen zeigen, was man
bei bescheidener Begabung in einer Sturm-
Kunstschule etwa lernen kann. Sie zeigen
in geradezu erschreckender Weise, wohin
es führt, wenn eine ausgesprochen individu-
elle Ausdrucksform zum Schulgut erniedrigt
wird, und man 'denkt nicht ohne Heimliches
Grausen an die künftigen Lehrerfolge der
neuen Akademieprofessoren in Weimar".
Hierbei ist beachtenswert, daß Herr Glaser
seit seiner Entdeckung Feiningers bereits
den Expressinonismus so hoch einschätzt,
daß er ihn vor einer Erniedrigung schützen
muß. Nur weiß er nicht, was Expressionis-
mus ist. Er versteht nämlich darunter, die
Uebersyannung des Ihdividualitätsbegriffs.
 
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