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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Drittes Heft
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Walden, Herwarth: Die Freiheit der Presse
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0040

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Die Freiheit der Presse
Jeder demokratische Staat ist stolz auf
sein Grundrecht der freien Meinungsäuße-
rung in Wort und Bild. Die gedruckte öf-
fentliche Meinung entsteht dadurch, daß ein
Unternehmer oder eine Vereinigung von Un-
ternehmern sich Leute anstellen, die nach
ihren Richtlinien öffentliche Meinung machen,
nicht aber öffentliche Meinung sind. Jeder
Mensch kann zwar seine eigene Meinung
veröffentlichen, wenn er die nötigen Mittel
besitzt. Er kann sie aber nicht verbreiten.
Die Verbreitung der Meinung eines Einzel-
nen hängt von dem Zufall ab. Nämlich von
dem Zufall, daß die Verlagsangestellten sei-
ner Meinung sind und sie veröffentlichen.
Hingegen hält der Verlagsangestellte seine
Meinung stets für die öffentliche, trotzdem
ihm seine Aleinung von dem Unternehmer
diktiert ist. Nichts ändert sich bekanntlich
leichter und häufiger als die öffentliche Mei-
nung. Denn diese Art öffentliche Meinung
ist keine Anschauung, sie ist eine nicht nach-
geprüfte Uebernahme von Begriffen. Der
Einzelne wird durch das Leben, durch seine
Erfahrungen und seine Empfindungen ge-
zwungen, sich fortgesetzt einzustellen und
umzustellen. Er kann die Interessen seiner
näheren Umgebung mit seinen eigenen durch
Wort und Tat in Einklang bringen, auf geben
und aufnehmen, wie es die äußere oder in-
nere Zweckmäßigkeit der Beteiligten for-
dert. Dieser Ausgleich erstreckt sich aber
immer nur auf eine beschränkte Minderheit.
Dieser Ausgleich wird nie öffentliche Alei-
nung, weil ihm die öffentliche Meinung ent-
gegensteht. Denn diese Art öffentliche Mei-
nung, insbesondere die gedruckte, ist nicht
im Ausgleich der Einzelinteressen entstan-
den, die öffentliche Meinung wird von me-
chanischen Begriffen diktiert, und zwar dik-
tiert von Angestellten, die leblose Begriffe
nach den Interessen interessierter Auftrag-
geber verewigen und auslegen. Religion,
Staat, Ehe und Kapital sind solche Begriffe.
Die gemachte öffentliche Meinung hat keine
lebendige Vorstellung von ihnen, die Besitzer
der Macht und Geldmittel wenden sie so an,
wie es ihnen nützlich erscheint, sich den Be-
sitz dieser Mittel zu erhalten. Daher muß
der Einzelne diese Begriffe als unerträglichen
Zwang empfinden, nicht weil er sein Einzel-
leben in das der andern einordnen muß, son-

dern weil eine Ueberordnung besteht, gegen
die der Einzelne fortgesetzt verstoßen muß,
um sein eigenes Leben in Ordnung zu brin-
gen. Die Gesamtheit der Gemeinschafts-
begriffe nennt man Gesellschaftsordnung. Sie
ist eine Herrschaftsordnung und wie zum
Hohn nennen sich die Herrschenden die Stüt-
zen der Gesellschaft. Jeder einzelne sucht
sein Leben so zu gestalten, wie es ihm am
lebenswertesten erscheint. Er tauscht zu
diesem Zweck an körperlichen und geistigen
Gütern ein, was ihm fehlt, gegen das, was er
zu geben hat. Niemand ist so arm an Kör-
per und Geist und Gut, daß er nicht etwas
geben kann. Niemand so reich, daß ihm
nicht etwas fehlt. Dieser Ausgleich ist die
Ordnung der Einzelinteressen und der Ge-
meinschaftsinteressen. Und wie sich die Vor-
aussetzungen und Bedingungen des Augleichs
zwischen den einzelnen ändern, so ändern
sie sich auch für die Gesamtheit. Man kann
daher nicht die Gesellschaft nach der Ord-
nung, man muß die Ordnung nach der Ge-
sellschaft einrichten. Niemand hat das Recht
auf Leistung ohne Gegenleistung. Niemand
hat das Recht auf Mehrleistung. Denn es
gibt kein Recht auf Geschenke. Nun sind
zweifellos die Leistungen verschieden, ver-
schieden durch die Anlagen des Einzelnen.
Wer mehr leistet hat ein Recht auf ein Mehr,
nicht aber ein Recht auf ein Weniger des
andern. Nur die Gegenleistung gibt ein
Recht auf Leistungen. Daher muß auch die
Gemeinschaft dem Einzelnen leisten, was der
Einzelne der Gemeinschaft leistet. Da die
Gemeinschaft aber die Gesamtheit der Ein-
zelnen ist, darf kein Einzelner schlechter als
d'e Gemeinschaft existieren. Denn nur durch
d'e Gemeinschaft wird die Existenz der Ein-
zelnen geschaffen. Denn nur durch die Ge-
meinschaft erleichtern sich die Einzelnen das
äußere Leben. Ein Recht ist aus Stärke
nicht herzuleiten. Zwar kann manchmal einer
tragen, was zehn andere tragen. Die zehn
andern haben also die Stärke des Einen. Die-
ser Eine hat aber nicht das Recht, zehn an-
dere am Tragen zu verhindern, solange die
zehn anderen es wollen. Er hat dazu kein
Recht, denn er braucht jetzt nur ein Zehntel
seiner Stärke zu geben. Wollen die andern
zehn ihn aber allein tragen lassen, so trägt
er ihr Vertrauen, was ihm Pflichten, aber
nicht Rechte gibt. In der Zeitung ergreift
nun jemand das Wort, den nie das Wort er-

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