Du lieber Cohn-Wiener, alte ehrliche Haut,
da hast Du den Bruderkuß zurück. Ja, so
solls sein. Aul Du und Du! Alles vergeben,
alles vergessen. Vergessen, daß einst auch
Dir Der Sturm kein lieber Sturm war. Ver-
gessen, daß Kokoschka, Kandinsky, Chagall,
die Futuristen, Marc und vieles andere von
Euch Kunstkritikern verhöhnt und verlacht
wurde, genau so, wie jetzt Kurt Schwitters.
Vergessen sei, was Du lieber Cohn-Wiener
noch vor einigen Wochen gegen Kandinsky
geschrieben hast. Vielleicht, Du lieber Cohn-
Wiener, wird einmal die Zeit kommen, da so-
gar ein Fritz Stahl vergessen wird, was er
jahrelang vergessen hatte. Heute tut Ihr, als
ob Ihrs schon immer gesagt hättet. Denn
immer nach sieben Jahren seht Ihrs auch.
Und wieder nach sieben Jahren wirst Du,
lieber Cohn-Wiener, diese Kritik schreiben:
,,. . . Du, lieber Sturm, hast uns zuerst Merz-
bilder gezeigt. Welcher Maler versucht sich
heute nicht in Merzbildern. Aber welcher
Maler erreicht den künstlerischen Ausdruck
eines Schwitters, wer die Notwendigkeit sei-
ner Komposition! Du, lieber Sturm, Du de-
gradierst Kurt Schwitters durch das, was Du
jetzt ausstellst."
Du, lieber Cohn-Wiener, Du wirst gleich
allen Deinen Kollegen immer wieder die Mit-
telmäßigkeit loben. Das neue, Du lieber
Cohn-Wiener, wirst Du nie begreifen. Denn,
Du lieber Cohn-Wiener, Du bist voll und ganz
ein Kunsthistoriker. Du siehst erst nach
sieben Jahren und weißt heute nur, ob sich
einer gegen Euch durchgesetzt hat oder
nicht. Aber, Du lieber Cohn-Wiener, es ist
Dir nicht gegeben, aus eigenem künstleri-
schen Empfinden zu urteilen, zu erkennen
und zu unterscheiden. Erst in sieben Jah-
ren, Du lieber Cohn-Wiener, in sieben Jah-
ren wirst Du unter denen sein, die Kurt
Schwitters entdecken. In sieben Jahren, Du
lieber Cohn-Wiener, in sieben Jahren!
Herzlichst
Dein anhänglicher
Rudolf Blümner
P.S. Eben fällt mir ein, Du lieber Cohn-
Wiener, daß Du vielleicht keine sieben Jahre
zu warten brauchst. Es sind nämlich schon
einige Merzbilder verkauft. Zahlreiche Aus-
stellungen und Kunsthändler interessieren
sich für die Merzbilder von Kurt Schwitters.
Vielleicht, Du lieber Cohn-Wiener, kannst
Du schon in einem Jahre die Merzbilder in
die Novembergruppe hineingezaubert sehen.
Oder sie kommen im Schleichhandel zum
I. B. Neumann. Und dann, Du lieber Cohn-
Wiener, dann wirst Du die Merzbilder von
Kurt Schwitters sowohl für revolutionär als
auch für erschütternd erklären.
Nochmals herzlichst
D. O.
Apropos ,,und viele andere!" Sei doch so
gut, Du lieber Cohn-Wiener und schreibe in
Deinem nächsten Artikel (,,über Paul Busch
und ,,viele andere"), wen Du mit den ,,vielen
anderen" meinst. Vielleicht Paul Klee und
Delaunay? Oder die Heemskerck und Cam-
pendonk? Oder Metzinger und Bauer? Oder
Leger und Feininger (entschuldige den Aus-
druck)? Oder Gleizes und Stuckenberg?
(Denk mal: neulich schrieb der Behne Adi,
'der I. B. hätte Stuckenberg zuerst gezeigt! Da
wurdest Du wütend.) Oder Muche und Topp?
(Denk mal: auch von dem hat Adi gesagt,
der I. B. hätte ihn entdeckt, aber das war
Dir denn doch zu toll!) Also schreib bald
mal, Du lieber Cohn-Wiener, wen Du mit
den ,,vielen anderen" meinst.
Nochmals
D. 0.
Ein solider Artikei
Eine Anwiener ung im Sturm
Doktor: Verzeihen Sie, was bedeuetet das
Wort Merz? (Ausmerzen warnt Iden.)
Ich: Das Wort ist neu, ich wählte es zur
Bezeichnung meines neuen Stils. (Komm,
spiel mit mir.)
Doktor: Woher nahmen Sie das Wort?
Ich würde mir nie Zutrauen, vier Buch-
staben zusammenzusetzen.
Ich: Ueberwindet Merz Schwierigkeiten.
Merz nannte sich selbst. (Automati-
scher Kohlensäuretrockenlöscher „To-
tal".) Können Sie lesen? (Hier auf
dem Merzbild.
Doktor: (Berliner Leichtathletikmeister-
schaften.) Lesen? Manchmal, wenn das
Wort einen soliden Sinn hat. Ich liebe
das Wort „solide". (Berliner Ring-
76
da hast Du den Bruderkuß zurück. Ja, so
solls sein. Aul Du und Du! Alles vergeben,
alles vergessen. Vergessen, daß einst auch
Dir Der Sturm kein lieber Sturm war. Ver-
gessen, daß Kokoschka, Kandinsky, Chagall,
die Futuristen, Marc und vieles andere von
Euch Kunstkritikern verhöhnt und verlacht
wurde, genau so, wie jetzt Kurt Schwitters.
Vergessen sei, was Du lieber Cohn-Wiener
noch vor einigen Wochen gegen Kandinsky
geschrieben hast. Vielleicht, Du lieber Cohn-
Wiener, wird einmal die Zeit kommen, da so-
gar ein Fritz Stahl vergessen wird, was er
jahrelang vergessen hatte. Heute tut Ihr, als
ob Ihrs schon immer gesagt hättet. Denn
immer nach sieben Jahren seht Ihrs auch.
Und wieder nach sieben Jahren wirst Du,
lieber Cohn-Wiener, diese Kritik schreiben:
,,. . . Du, lieber Sturm, hast uns zuerst Merz-
bilder gezeigt. Welcher Maler versucht sich
heute nicht in Merzbildern. Aber welcher
Maler erreicht den künstlerischen Ausdruck
eines Schwitters, wer die Notwendigkeit sei-
ner Komposition! Du, lieber Sturm, Du de-
gradierst Kurt Schwitters durch das, was Du
jetzt ausstellst."
Du, lieber Cohn-Wiener, Du wirst gleich
allen Deinen Kollegen immer wieder die Mit-
telmäßigkeit loben. Das neue, Du lieber
Cohn-Wiener, wirst Du nie begreifen. Denn,
Du lieber Cohn-Wiener, Du bist voll und ganz
ein Kunsthistoriker. Du siehst erst nach
sieben Jahren und weißt heute nur, ob sich
einer gegen Euch durchgesetzt hat oder
nicht. Aber, Du lieber Cohn-Wiener, es ist
Dir nicht gegeben, aus eigenem künstleri-
schen Empfinden zu urteilen, zu erkennen
und zu unterscheiden. Erst in sieben Jah-
ren, Du lieber Cohn-Wiener, in sieben Jah-
ren wirst Du unter denen sein, die Kurt
Schwitters entdecken. In sieben Jahren, Du
lieber Cohn-Wiener, in sieben Jahren!
Herzlichst
Dein anhänglicher
Rudolf Blümner
P.S. Eben fällt mir ein, Du lieber Cohn-
Wiener, daß Du vielleicht keine sieben Jahre
zu warten brauchst. Es sind nämlich schon
einige Merzbilder verkauft. Zahlreiche Aus-
stellungen und Kunsthändler interessieren
sich für die Merzbilder von Kurt Schwitters.
Vielleicht, Du lieber Cohn-Wiener, kannst
Du schon in einem Jahre die Merzbilder in
die Novembergruppe hineingezaubert sehen.
Oder sie kommen im Schleichhandel zum
I. B. Neumann. Und dann, Du lieber Cohn-
Wiener, dann wirst Du die Merzbilder von
Kurt Schwitters sowohl für revolutionär als
auch für erschütternd erklären.
Nochmals herzlichst
D. O.
Apropos ,,und viele andere!" Sei doch so
gut, Du lieber Cohn-Wiener und schreibe in
Deinem nächsten Artikel (,,über Paul Busch
und ,,viele andere"), wen Du mit den ,,vielen
anderen" meinst. Vielleicht Paul Klee und
Delaunay? Oder die Heemskerck und Cam-
pendonk? Oder Metzinger und Bauer? Oder
Leger und Feininger (entschuldige den Aus-
druck)? Oder Gleizes und Stuckenberg?
(Denk mal: neulich schrieb der Behne Adi,
'der I. B. hätte Stuckenberg zuerst gezeigt! Da
wurdest Du wütend.) Oder Muche und Topp?
(Denk mal: auch von dem hat Adi gesagt,
der I. B. hätte ihn entdeckt, aber das war
Dir denn doch zu toll!) Also schreib bald
mal, Du lieber Cohn-Wiener, wen Du mit
den ,,vielen anderen" meinst.
Nochmals
D. 0.
Ein solider Artikei
Eine Anwiener ung im Sturm
Doktor: Verzeihen Sie, was bedeuetet das
Wort Merz? (Ausmerzen warnt Iden.)
Ich: Das Wort ist neu, ich wählte es zur
Bezeichnung meines neuen Stils. (Komm,
spiel mit mir.)
Doktor: Woher nahmen Sie das Wort?
Ich würde mir nie Zutrauen, vier Buch-
staben zusammenzusetzen.
Ich: Ueberwindet Merz Schwierigkeiten.
Merz nannte sich selbst. (Automati-
scher Kohlensäuretrockenlöscher „To-
tal".) Können Sie lesen? (Hier auf
dem Merzbild.
Doktor: (Berliner Leichtathletikmeister-
schaften.) Lesen? Manchmal, wenn das
Wort einen soliden Sinn hat. Ich liebe
das Wort „solide". (Berliner Ring-
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