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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Bab hat sie
DOI Artikel:
Schreyer, Lothar: Die neue Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0089

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Alte Brüder Schwestern kennen
kann nur Julius Bab
Hymnisch opfert Zeus er Scheite
Birmas Seele weint
Julius' Seel' klingt in die Weite
Wenn mans kosmisch meint.
0 großer Bab, wie grün sind Deine Blätter
Herwarth Waiden


Die neue Kunst
Lothar Schreyer Fortsetzung
Die Künstler der Kunstwende der Gegenwart
haben zum ersten Male in der Gegenwart
Gesichte gestaltet. Diese Künstler sind einer
fremden Welt als Fremde unter den Namen
der Futuristen, Kubisten, Expressionisten er-
schienen, Die fremde Welt tobte, weil sie
nicht verstehen konnte und mißverstand,
weil sie verstehen wollte. Die Künstler aber
künden notwendig und unbeirrt ihre Ge-
sichte. Und nun sich im Jahre 1918 die
europäische Welt allen Menschen sichtbar
zu wenden beginnt, fürchten die Tober und
Mißversteher den Anschluß zu verpassen,
und rufen durch ihre Händler und die Tages-
presse aus, daß sie auch Futuristen, Kubisten
und Expressionisten sind. Sie sind keine
Künstler. Sie sind keine Künder der Ge-
sichte. Sie haben ein Schlagwort ergriffen,
das sie nun erschlägt trotz all ihrer Worte.
Denn nur das Kunstwerk macht den Künst-
ler. Sie aber machen rasch Nachahmungen
von Kunstwerken, machen eine Kunstge-
schichte, eine Kunstlehre, verkünden eine
neue Kunst und ,,vergeistigen" mit ihr ihre
Privatinteressen. Das sind die Menschen,
die umgelernt haben, die sich nach dem Be-
ginn der Weltwende ,,auf den Boden der
Tatsachen stellen". Sie haben von den Tat-
sachen gelernt. Aber sie haben nichts ver-
lernt. Sie sind die unehrlichen Feinde der
neuen Welt. Sie verhandeln die Kunstwerke
der Künstler. Sie vermenschlichen die Kunst-
werke der Künstler. Sie sind unsere Wider-
sacher.
Ehe nicht die Menschen verlernen, Men-
schen zu sein, ist die Weltwende nicht voll-
endet.

Die Künstler mühen sich, den Menschen zu
verlernen. Sie gestalten das Gesicht.
Die Maler gestalten das Gesicht mit Farben
und Formen. Ihre Kunstwerke heißen Bil-
der, Das Bild ist ein Gebilde aus Formen
und Farben, Das Bild ist die rhythmische
Farbformgestalt des Gesichts. Wir haben
Gesichte und können sie künden, wenn wir
das Sehen verlernen. Die Maler verlernen
es, Abbilder der äußeren Erscheinung zu bil-
den. Denn dieses Abbilden ist kein Bilden.
Es ist das Nachahmen einer einzelnen Er-
scheinung äußerer Wirklichkeit, losgelöst
aus der Gesamtheit der Erscheinungen. Die
Gesamtheit der Erscheinungen ist eine Ein-
heit und das Gesicht ist eine Einheit. Wer
aus der Einheit der Erscheinungen eine Ein-
zelheit loslöst, zerstört die Einheit der Er-
scheinung und schafft keine Einheit. Dar-
über hilft auch keine Verwandlung der äuße-
ren Erscheinung hinweg, kein vermeintliches
Schaffen eines Typs oder die sonstige Unter-
ordnung unter eine Idee, Stückwerk bleibt
Stückwerk und kann nie Ganzwerk, nie
Kunstwerk werden. Das Kunstwerk wird
nicht. Das Kunstwerk ist. Es ist im Gesicht
des Schöpfers und der Schöpfer stellt es aus
sich heraus. Die Gestalt wird nicht gemacht.
Sie ist offenbar. Das gekündete Gesicht,
das offenbarte Bild empfängt die Farbform
aus sich. Die Farbform ist nach dem Gesetz
ihrer Gestalt gebildet. Wir wissen das Ge-
setz nicht, ehe es das Bild gestaltet hat. Von
jedem Kunstwerk können wir das werk-
gestaltende Gesetz der Farbform ablesen.
Jedes Bild hat ein anderes Gesetz. Die
Wahl des Gesetzes steht nicht im Willen des
Künstlers. Das eine Gesetz kann das an-
dere brechen. Die Notwendigkeit der Ge-
staltung des Gesichts ist das einzige Gesetz
des Künstlers. Doch das ist kein Gesetz der
Kunst. Die Farbform des geschaffenen Bil-
des ist eine äußere Erscheinung. Diese Farb-
form kann Gegenständen der Außenwelt
ähneln. Es ist nicht notwendig, daß die
Farbform einem Gegenstand der Außenwelt
ähnelt. Es sind nur Einzelfälle, wenn
die Farbformen einem Gegenstand der
Außenwelt gleichen, und solche Ausnahme-
farbformen sind dann stets nur Teile der
kompositionellen Einheit des Bildes. Das
Bild ist komponiert, das heißt: es ist nach
seinem Gesetz gestaltet. Der Maler sieht

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