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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Zweites Heft
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Herzog, Oswald: Der abstrakte Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0035

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Der abstrakte
Expressionismus
Oswald Herzog
Expressionismus ist Ausdruck des Geistigen
durch Form. Form ist Bewegung-Rhyth-
mus. Das Alaterielle der Form für, die bil-
denden Künste sind: die Linie, Fläche und
das Licht (Farbe). Abstrakter Expressionis-
mus ist vollendeter Expressionismus; er ist
die Reinheit der Gestaltung. Er gestaltet
geistiges Geschehen körperlich, er schafft
Objekte und nimmt nicht Objekte — Gegen-
stände. Gegenstände sind an sich schon
ganze Komplexe von Ausdrucks-Bewegungs-
vorgängen.
Dem materiellen Expressionismus dient
noch das Objekt zur Gestaltung. Er abstra-
hiert das Wesen eines Gegenstandes durch
Ausscheiden alles Unwesentlichen zur Rein-
heit und Größe. Es ist das Nacherleben
eines Objekts — Gestaltung in Vergangen-
heit. Die Abstraktion offenbart den Willen
des Künstlers; sie wird Ausdruck. Der Künst-
ler zwingt durch seinen Willen zum Miter-
leben.
Der abstrakte Expressionismus ist das
Gestalten des Geschehens — des Lebens an
sich; es ist Gestaltung in Gegenwart. Der
Künstler hat bei seiner Intuition keine Vor-
stellung von Gegenständen. Leben fordert
nur Gestaltung. Er läßt Formen entstehen,
die Träger seines (Erlebens sind und sein
müssen. Nichts ist Willkür, alles ist Wille.
Wille ist Kunst.
Gestaltung des Geschehens durch Abstrak-
tion der Form ist ein Gebären in der Natur.
Es werden Objekte, die nicht der Natur ent-
nommen aber der Natur verwandt sind.
Die Einheit des allumfassenden Lebens —
der Rhythmus — ergibt die Verwandtschaft.
Dinge zu schaffen, die sich jeder Verwandt-
schaft der Natur entziehen, wird es niemals
geben. Selbst die freiste Gestaltungsform —
die Gestaltung des Dinges an sich — das
Spiel der Fantasie — ein intellektueller Im-
pressionismus — wird seine objektive Spie-
gelung dort finden, wo das Leben der Natur
zerstört ist — im Chaos — wo der Wille
vernichtet ist und es jedem überlassen bleibt
zu sehen, was er will. Der intellektuelle Im-
pressionismus ist das Spiel des Künstlers
mit Formen nach Willkür und Laune. Es ist

eine rein persönjiche Angelegenheit, die
nicht zum Miterlehen zwingt; cs fehlt die
Ueberzcugung der Gestaltung, Schön-
heit in der Freiheit der Fantasie zu empfin-
den ist eine Verflachung der Kunst, wie wir
es erst vor kurzem im Realismus erfahren
haben. Schönheit im allgemeinen Sinne ist
dekorative — oberflächliche — Geistigkeit.
Absolute Schönheit ist der Wille. Wo kein
Wille ist der Zufall; Zufälligkeit ist das Chaos
— die Unordnung — das Fehlen organischen
Lebens. Jeder großen Kunstepoche ist die
Gestaltung des Willens eigen — inForm einer
Neugestaltung.
Der abstrakte Expressionismus ist die Evo-
lution des Naturalismus, die aus der Revo-
lution des Kubismus und Primitivismus her-
vorgegangen ist. Jede Flucht zur alten Kunst
war ieine Kunstlaune — Mode — und keine
Kunst. Nur aus Reaktion zum Naturalis-
mus bildeten sich Kubisten und Primitivisten,
Durch Nacherleben ältester Kunstformen
werden sie zu einseitigen Stilisten. Will man
Kunst nacherleben, darf man nicht einseitig
nur etwa die Kunst des Baroks und Rokokos
unbeachtet lassen. Oder will man sie für
eine größere Kunstlaune reservieren? Der
Rhythmus des Baroks und Rokokos ist an
sich eine ebenso starke Form als der Rhyth-
mus der ägyptischen oder frühgriechischen
Kunst. Das einseitige, aus Reaktion hervor-
gegangene Nacherleben ältester Kunst hat
wenig mit einer Vergeistigung der Kunst ge-
mein. Aus rein geistigem Gestaltungsdrange
ging der Futurismus hervor. Er sucht Ge-
staltung der Expression durch Gegenstände.
Gegenstände sind aber schon gestaltet. Er
benutzt demnach das Gleichnis — Sinnbild
— er ist erzählend aber nicht seiend. Kunst
gestaltet das Geschehen selbst.


Inhalt
Lothar Schreyer: Der neue Mensch
Wilhelm Schlichtkrull: Wehbrausen
Wilhelm Schlichtkrull: Schweigen
Wilhelm Schlichtkrull: Gedichte
Oswald Herzog: Der abstrakte Expressionis-
mus
Oswald Herzog: Drei Holzschnitte / Vom
Stock gedruckt
Rudoli Bauer: Farbenholzschnitt / Vom Stock
gedruckt
Mai !9)9

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