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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Zweites Heft
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Schreyer, Lothar: Der neue Mensch
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Schlichtkrull, Wilhelm: Wehbrausen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0026

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Kampf ums Dasein ist zu Ende. Wir treiben
bewußt im Werden der Welt. Wir sind ein
Trieb des Werdens. Trieb wie Tier und
Pfianzc, Sturm und Licht. Wir erheben uns
nicht über unsere Schwester Blume, über un-
seren Bruder Tier. Es gibt keinen anderen
Menschen neben uns, immer lebt ein zweiter
Mensch mit uns. Was wir machen, ist nicht
gemacht, um Macht zu gewinnen. Denn
unsere Taten sind Taten, in denen das innere
Leben alles Lebendigen wächst. Arbeit ist
Schöpfung. Tun ist Teilnahme am Wachsen
der Welt, Wir haben keine Güter. Unser
Gut ist die Güte.
Wo immer Menschen auf dem neuen Wege
sind, sind sie eins. Sie sind eine Gemein-
schaft mit jeder Tat. Was der eine tut,
nimmt dem anderen nichts, sondern hilft auch
ihm vorwärts auf dem Weg, Jeder ist Teil
des Alls, jeder ist Teil der Welle, aus der die
neue Welt geboren wird. Alle behüten ein-
ander, daß das Geheimnis, das alle umhüllen,
unzerstört und unzerstörbar sich enträtsele.
Diese Gewißheit der Schöpfung, diese
Schickung, an der jeder einzelne trägt, macht
alle allen sicher und gut.
In der Hingabe dieser Güte aufersteht alles
Leben, das die Gemeinschaft umgibt. Die
Erde mit Stein und Tier und Pflanze und
Mensch erschließt sich zu erlöstem Sinn. Die
eine Gemeinschaft gibt sich der zweiten hin,
bis sie nicht mehr gezählt werden und über
die Länder die Erde umspannen. Das ist
keine Macht der Güter. Das ist die Macht
der Güte. Sie wächst aus der LIingabe des
einen an alle. Sie ist die Hingabe des Eins an
das AH,
Das ist der erste Weg zur Aufhebung des
Leidens.
Den zweiten Weg gehen die in der Gemein-
schaft Berufenen. Sie erkennen, daß der
Mensch nicht um des Menschlichen willen
lebt. Sie handeln danach. Sie handeln nicht
mehr. Sie lösen sich von den treibenden
Triebgestalten. Sie heben die Erscheinun-
gen ihres Körpers auf. Ihre Hingabe ist Auf-
lösung der Erde, Erlösung der Erde, der Ein-
gang in das Unfaßbare, das keinen Sinn und
kein Wort mehr hat, Menschen nennen es:
das Nichts.
Das ist die Aufhebung des Leidens.
Den zweiten Weg kann nur gehen, wer den
ersten ging. In ihm vereinen sich All und

N eids. So schließt sich der Ring von Neu-
geburt und Tod. Und so wird ein jeder den
zweiten Weg gehen, der den ersten ging.
Denn jeder ist zum Tod berufen. Aber es ist
der neue Tod ohne Sterben.
Denn die Erde kreist im Himmel.
Die Erde ist ein Stern.


Wehbrausen
Wilhelm Schlichtkrull
Tosend wühlt Straßenlärm
Männer wälzen große Worte
Frauen keifen
Aus dem Gelärm erhebt sich
ICH:
Meine Worte schmettern
Wühlen brausend
Eure Zungen platzen
Meine Worte fruchten
Schlagen Flammen
Und am Ende
Bin ICH der Herr
Das Gelärm:
Du unser Herr?
Wir töten Deine Zunge
Wir zerstören Ton
Du!
ICH:
Mein Arm siegt
ICH bin!
Das Gelärm:
Du bist unser Narr
Wir hassen Dich!
Stimmen:
Steinigt!!
Ein Ruf:
Dienen
Eine sanfte Frau:
ER ist unser Herr
Tosende Wut:
Zerreißen!
Ein Mann:
Galgen!
Galgen!
Hängen!
Er hintergeht das Volk!!
Latefnengalgen!
Hängen!

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