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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Bab hat sie
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0088

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Bab hat sie
Herr Julius Bab hat sie gefunden, die
größte deutsche Dichterin. Julius Bab
sucht schon lange nach ihr, er hat sogar
schon verschiedene größte deutsche Dich-
terinnen entdeckt. Aber jetzt hat er
die richtige: ,,Man kann behaupten, daß
wir seit der einzigen großen Annette
Droste-Hülshoff dergleichen in vollem Sinne
überhaupt nicht wieder gehabt haben!" Das
kann man behaupten. ,,Das Zeichen der größ-
ten deutschen Dichterin ist, daß sie ganz
schlicht die Welt umfaßt." Selbstverständlich
einschließlich Julius Bab, der nun die Ent-
wicklung schildert: ,,Sie beginnt am Boden,
mit dem innerlichsten Erleben der einfach-
sten, fest umrissenen Naturstücke." Wo-
runter nicht etwa Herr Julius Bab zu ver-
stehen ist, sondern der Tannenbaum. Dieses
Naturstück nennt sie den .,,Grünen Bruder"!
Das innerliche Erleben dieses umrissenen
Naturstückes ist sogar schon kommunistisch,
die Welt biegt sich vor soviel kosmischem
Gefühl. Das zweite Naturstück ist der ,,Kind-
heitsgarten". Es beginnt mit den erlebten
Zeilen: ,,Als ich Dein war, weißt Du's noch?"
Ich weiß es längst, ich sah dich ja im Traume.
Das dritte Gedicht greift in seinem Erleben
bereits nach jenem verdichteten Rom. Das
Gedicht heißt innerlich und schlicht ,,Genius
loci". Und damit noch nicht genug: ,,Und
sie ist nun aufgestiegen zu einem Gefühl, das
den ganzen Ball umgreift, mit allen Leben-
digen und angeblich Toten in seinem feurigen
Kern . . .!" Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
jetzt vergreift sich die größte deutsche Dich-
terin bereits an demBall. IhrGefühl singt eine
,,Totenhymne", Nach den philosophischen
Auslegungen ihres Herrn Julius Bab hätte
sie das Gedicht richtiger ,,angebliche Toten-
hymne" nennen müssen. Es beginnt mit echt
Babschem Germanistenschwung: ,,0 großes
Herz der Erde, sei gegrüßt!" Und auch du,
mein Berg mit dem rötlich strahlenden
Gipfel. Man fühlt, daß der Kollege Schüler
mehr auf das Irdische gerichtet war, wäh-
rend die größte deutsche Dichterin sich un-
mittelbar an das große Herz der Erde wen-
det. Aber auch die Erde ist ihr zu klein,
,,ihre Seele hat sich vollgesogen mit allem
sinnlichen Wachstum der Welt und schwillt
nun auf, ganz ebenbürtig den Planeten". Die
Planeten müssen sich ganz unebenbürtig Vor-

kommen, wenn diese vollgesogene, aufge-
schwollene Seele kosmisch losprustet: ,,Erde,
du bist nicht älter als ich, wir sind in einer
Stunde geboren. Erde, als ich dich nun ent-
deckte, seelig waren w'r alle zwei, als ich
meine Orpheusseele weckte und der Wildnis
Tiere zog herbei!" Wenn das keine Entwick-
lung vom Naturstück zur Orpheusseele ist,
will ich Julius Bab heißen. Der Tannenbaum
als Bruder, die Erde als Schwester und Ju-
lius Bab als Euridice, da kann sich Annette
von Droste-Hülshoff begraben lassen. Das
ist für Herrn Julius Bab wenigstens der
,.göttliche Weltrausch des Ich". So denkt
sich ein Oberlehrergemüt den Weltrausch
und bricht hymnisch aus: ,,Hier ist der Welt-
rausch von Grund auf erlebt, bietet sich dar-
in so reinen Bildern (Orpheusseele, vasteh-
ste), klingt so in seinem eigensten Gesang
(entdeckte, zwei, weckte, herbei), ist so von
einfachster Wirklichkeit (Genius loci), daß
er sie schließlich sogar mit meinem Lächeln
zurückbiegen kann (der Weltrausch nämlich,
vastehste)". Worauf dann die Perle des
Weltrausches vorgesetzt wird, um mich der
reinen Bildsprache Julius Babs zu bedienen:
,,Ewige Brahmanen ruf' ich
Und mit meinem Hauch
Alle Deine Völker schuf ich . . .
Die Chinesen auch."
Zu dieser Perle murmelt Herr Julius Bab
aus seiner Muschel: ,,Es ist ganz reife und
ganz große lyrische Kunst. Deutschland be-
sitzt wieder eine Dichterin in dem vollen
schweren Sinne des Wortes. Wenn es heute
nach Bestätigungen seiner sich immer neu
gebärenden Schöpferkraft Umschau hält,
kann es auch auf diese Dichterin einen dank-
baren stolzen und hoffnungsvollen Blick
ruhen lassen." Deutschland kann also wie-
der getrost an die Arbeit gehen, in dem
hoffnungsvollen Bewußtsein, daß der Selbst-
beauftragte Julius Bab Umschau nach der
sich immer neu gebärenden Schöpferkraft
hält. Da aber auch seinem stolzen Blick
vielleicht etwas entgehen könnte, möchte ich
ihn auf die kosmischen Verse der größten
deutschen Dichterin aufmerksam machen,
wofür mir Herr Julius Bab sicher dankbar
sein wird:
Alle deutschen Dichter rennen
stets in gleichem Trab

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