che zusammenzuleimen. Sie ist ebenso ernst-
haft ausgestellt und wirkt ebenso überzeu-
gend, wie der nicht geleimte Kubismus." Ein
Schalk, der Westheim, aber der Schalk packt
ihn jetzt im Nacken. Denn der Vorkämpfer
der neuen Kunst ist mir noch vielmehr auf
den Leim gegangen: ,,Man denke sich eine
Malerei, (die ohne Einbuße an seelischem
und geistigem Gehalt durch eine Buntpapier-
schnitzelei ersetzt werden kann, man denke
sich einen Holbein, einen Rembrandt, einen
Leonardo mit Scheere und Kleister überwun-
den und man philosophiere heiter über eine
Kunstübung . . Der seelische und geistige
Gehalt eines Bildes liegt bekanntlich in der
Oelfarbe. Das wird doch der Kunstkritiker
der Frankfurter Zeitung wissen. Aber dieser
Herr Westheim soll mir noch mehr aus dem
Leim gehen: ,,Wenn einer der fünf Original-
futuristen Gino Severini das Porträt eines
Mannes zeigt, dem er an die gemalten
Backen zwei Büschel richtiger Schnurrbart-
haare, auf den gepinselten Rock einen Re-
vers von echtem Samt geklebt hat, so wird
wohl auch der gelehrteste der blauen Reiter
nichts dawider haben können, wenn man
dieses futuristische Kleisterwerk als ganz
banalen Kitsch bezeichnet." Was sagen Sie
nun zu Ihrem Freund Westheim, Herr Henry
aus Zürich. Ein Bild ist Kitsch, weil der
Samt zu echt ist. Leonardo hat zwar auch
Samt verwandt, aber die Berühmtheit von
Leonardo ist Herrn Westheim bestens be-
kannt gewesen.
Doch der unverdächtige Zeuge soll mir ganz
aus Rand und Band gehen. Er hat zwar im
Herbstsalon des Sturm 1913 die Bilder von
Feininger nicht gesehen, dem er jetzt in sei-
ner Eigenschaft als Vorkämpfer des Ex-
pressionismus ganze Hefte widmet, dafür
aber über Leger folgendes geschrieben:
,,Man sehe sich jene Leistung, Nacktes Mo-
dell im Atelier geheißen, an. Hat je einer die
Reize eines weiblichen Körpers verführeri-
scher geschildert gesehen? Da junge Mäd-
chen, auch wenn sie gemalt sind, keine
Schnurrbärte zu tragen pflegen, so ist nicht
recht ersichtlich, wo das liebliche Geschöpf
den Kopf und wo es die Beine hat." Sieh mal
einer an, das ist nicht recht ersichtlich für
ihn, den Vorkämpfer, der aber dafür gemal-
ten von echtem Samt unterscheiden kann.
Das sind Kunstkenntnisse, die berechtigen,
sn Potsdam ein Kunstblatt herauszugeben
und Werte festzustellen. Der unbeträchtliche
Schwitters. Und da mir nun einmal der
Schalk im Nacken sitzt, will ich den harm-
losen Lesern des Kunstblattes mitteilen, was
der Führer, Herr Westheim, im Jahr 1913
über denselben Kandinsky äußert, den
die jungen Leutchen falsch verstehen: ,,Statt
des Stuckrezeptes gibt es jetzt ein bischen
Kandinsky, ein bischen Picasso, oder was
sonst gerade im Cafe Stephanie in Kurs ist."
Also, Herr Henry, ich kann ihnen nur raten,
Ihre wissenschaftlichen Aeußerungen nicht
weiter im Kunstblatt zu veröffentlichen.
Lassen Sie dem Sturm seine Sensationen und
warnen Sie Herrn Westheim vor Urteilen.
Ich werde ihm stets seine Vor-Urteile durch
seine Nach-Urteile verbittern können. Herr
Westheim möge es endlich aufgeben, den
Vorkämpfer spielen zu wollen. Er möge lie-
ber nicht jedes Jahr seinen Beruf als Nach-
beter verfehlen. Wenn Herr Westheim mir
folgt, wird er wenigstens nicht jedes Jahr
noch unbeträchtlicher scheinen.
Herrn Henry aber möchte ich für weitere Ar-
tikel seiner Kunstwissenschaft ergebenst
darauf aufmerksam machen, daß Bildwerke
aus vielerlei Stoffen zuerst in der vorge-
schichtlichen Zeit geschaffen sind, einer Zeit,
in der man noch nicht Kunstgeschichte aus
Legendenbildung machte und daß das Tafel-
bild die Abstraktion des Bildwerks aus vie-
lerlei Stoffen ist. Nichts für ungut. Hoch
Zürich 1915, die sehr geehrten Dadaisten,
Leonardo und die echte Oelfarbe von bestem
geistigen und seelischen Gehalt, zu beziehen
durch die einschlägigen Firmen und die
Schriftleitung des Kunstblatts.
Hoch Daniel Henry-Kahnweiler, Kunsthänd-
ler aus Frankfurt in Paris.
Herwarth Waiden
Der Denker
Herr Professor Worringer hält zeitgemäße
Vorträge über den Expressionismus. Da Herr
Worringer nicht im geringsten ahnt, was
Kunst ist, versucht er es mit einer mißver-
standenen Mystik. Aber er ist auch positiv:
,.Während die alte Kunst aus einer einheit-
lichen Weltanschauung fließt, und so eine
ruhige Darstellung erzielt, die wir so sehr
bewundern, drückt sich in der modernen
132
haft ausgestellt und wirkt ebenso überzeu-
gend, wie der nicht geleimte Kubismus." Ein
Schalk, der Westheim, aber der Schalk packt
ihn jetzt im Nacken. Denn der Vorkämpfer
der neuen Kunst ist mir noch vielmehr auf
den Leim gegangen: ,,Man denke sich eine
Malerei, (die ohne Einbuße an seelischem
und geistigem Gehalt durch eine Buntpapier-
schnitzelei ersetzt werden kann, man denke
sich einen Holbein, einen Rembrandt, einen
Leonardo mit Scheere und Kleister überwun-
den und man philosophiere heiter über eine
Kunstübung . . Der seelische und geistige
Gehalt eines Bildes liegt bekanntlich in der
Oelfarbe. Das wird doch der Kunstkritiker
der Frankfurter Zeitung wissen. Aber dieser
Herr Westheim soll mir noch mehr aus dem
Leim gehen: ,,Wenn einer der fünf Original-
futuristen Gino Severini das Porträt eines
Mannes zeigt, dem er an die gemalten
Backen zwei Büschel richtiger Schnurrbart-
haare, auf den gepinselten Rock einen Re-
vers von echtem Samt geklebt hat, so wird
wohl auch der gelehrteste der blauen Reiter
nichts dawider haben können, wenn man
dieses futuristische Kleisterwerk als ganz
banalen Kitsch bezeichnet." Was sagen Sie
nun zu Ihrem Freund Westheim, Herr Henry
aus Zürich. Ein Bild ist Kitsch, weil der
Samt zu echt ist. Leonardo hat zwar auch
Samt verwandt, aber die Berühmtheit von
Leonardo ist Herrn Westheim bestens be-
kannt gewesen.
Doch der unverdächtige Zeuge soll mir ganz
aus Rand und Band gehen. Er hat zwar im
Herbstsalon des Sturm 1913 die Bilder von
Feininger nicht gesehen, dem er jetzt in sei-
ner Eigenschaft als Vorkämpfer des Ex-
pressionismus ganze Hefte widmet, dafür
aber über Leger folgendes geschrieben:
,,Man sehe sich jene Leistung, Nacktes Mo-
dell im Atelier geheißen, an. Hat je einer die
Reize eines weiblichen Körpers verführeri-
scher geschildert gesehen? Da junge Mäd-
chen, auch wenn sie gemalt sind, keine
Schnurrbärte zu tragen pflegen, so ist nicht
recht ersichtlich, wo das liebliche Geschöpf
den Kopf und wo es die Beine hat." Sieh mal
einer an, das ist nicht recht ersichtlich für
ihn, den Vorkämpfer, der aber dafür gemal-
ten von echtem Samt unterscheiden kann.
Das sind Kunstkenntnisse, die berechtigen,
sn Potsdam ein Kunstblatt herauszugeben
und Werte festzustellen. Der unbeträchtliche
Schwitters. Und da mir nun einmal der
Schalk im Nacken sitzt, will ich den harm-
losen Lesern des Kunstblattes mitteilen, was
der Führer, Herr Westheim, im Jahr 1913
über denselben Kandinsky äußert, den
die jungen Leutchen falsch verstehen: ,,Statt
des Stuckrezeptes gibt es jetzt ein bischen
Kandinsky, ein bischen Picasso, oder was
sonst gerade im Cafe Stephanie in Kurs ist."
Also, Herr Henry, ich kann ihnen nur raten,
Ihre wissenschaftlichen Aeußerungen nicht
weiter im Kunstblatt zu veröffentlichen.
Lassen Sie dem Sturm seine Sensationen und
warnen Sie Herrn Westheim vor Urteilen.
Ich werde ihm stets seine Vor-Urteile durch
seine Nach-Urteile verbittern können. Herr
Westheim möge es endlich aufgeben, den
Vorkämpfer spielen zu wollen. Er möge lie-
ber nicht jedes Jahr seinen Beruf als Nach-
beter verfehlen. Wenn Herr Westheim mir
folgt, wird er wenigstens nicht jedes Jahr
noch unbeträchtlicher scheinen.
Herrn Henry aber möchte ich für weitere Ar-
tikel seiner Kunstwissenschaft ergebenst
darauf aufmerksam machen, daß Bildwerke
aus vielerlei Stoffen zuerst in der vorge-
schichtlichen Zeit geschaffen sind, einer Zeit,
in der man noch nicht Kunstgeschichte aus
Legendenbildung machte und daß das Tafel-
bild die Abstraktion des Bildwerks aus vie-
lerlei Stoffen ist. Nichts für ungut. Hoch
Zürich 1915, die sehr geehrten Dadaisten,
Leonardo und die echte Oelfarbe von bestem
geistigen und seelischen Gehalt, zu beziehen
durch die einschlägigen Firmen und die
Schriftleitung des Kunstblatts.
Hoch Daniel Henry-Kahnweiler, Kunsthänd-
ler aus Frankfurt in Paris.
Herwarth Waiden
Der Denker
Herr Professor Worringer hält zeitgemäße
Vorträge über den Expressionismus. Da Herr
Worringer nicht im geringsten ahnt, was
Kunst ist, versucht er es mit einer mißver-
standenen Mystik. Aber er ist auch positiv:
,.Während die alte Kunst aus einer einheit-
lichen Weltanschauung fließt, und so eine
ruhige Darstellung erzielt, die wir so sehr
bewundern, drückt sich in der modernen
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