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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Drittes Heft
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Walden, Herwarth: Die Freiheit der Presse
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Schwitters, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0041

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griffen hat. Er ergreift daher auch nicht
Worte, er ergreift Begriffe. Diese Begriffe
sind die öffentliche Meinung derer, die durch
diese Begriffe herrschen. Diese Zeitungs-
schreiber behaupten aber nicht einmal ihre
eigene Meinung zu haben. Sie nennen sich
stolz Sprachrohr. Sie sind aber nicht ein-
mal das Sprachrohr stummer Leser. Sie
setzen es an ihren eigenen Mund und aus
dem Munde dringt das Geräusch verhallter
Wortwellen. Die Presse ist nicht der Nie-
derschlag der Meinung, sie ist der Nieder-
schlag des Anzeigengeschäfts. Sie verbreitet
ungemeinschaftliche Interessen gemeinschaft-
lich Interessierter. Die Gesellschaftsordnung
ist ihr eine Geschäfteordnung durch Ge-
schäftsunordnung. Die menschlichen Einrich-
tungen sind ihr Konjunktur. Die Wissenschaft
ist ihr Anwendung durch Geschäftemacher,
die KunstUnterhaltung der Geschäftemacher.
Was die Einzelnen öder die Vielheit der Ein-
zelnen bewegt, rührt sie nicht. Sie lebt von
Anzeigen für Begriffe, sie lebt von Begriffen
für Anzeigen. Das ist die Freiheit der Presse.
Es ist die folgenschwere Verwechselung der
Freiheit der Schrift und der Freiheit der
Presse. Mit der Veröffentlichung von Nach-
richten und dem Suchen von Menschen und
Waren dürfen nicht Meinungen verbreitet
werden. Mit diesen Bedürfnissen der Ge-
samtheit wird ein Mißbrauch der organisier-
ten Verbraucherschaft getrieben, die sich zu
einem anderen Zweck organisiert hat. Die
Verbraucherschaft, die Abonnenten, werden
systematisch ausgebeutet. Ausgebeutet, weil
ihnen geschäftliche Sonderinteressen als Ge-
meinschaftsinteressen vorgesetzt werden,
Der Leser verl äßt sich auf die Richtigkeit
der Tatsachen und auch auf die Meinung
seiner Zetung. Er nimmt die Meinung an,
weil er annimmt, daß sie die Meinung seiner
übrigen Mitleser sei. Er ist daher immer ge-
neigt, seine eigene Meinung für falsch zu
halten, weil sie scheinbar der öffentlichen
Meinung widerspricht. Durch die Art des
heutigen Pressewesens wird also gerade die
Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung
verhindert. Nur wer Verlagsangestellter eines
Veröffentlichungsunternehmens ist, kann eine
Meinung verbreiten und vertreten. Die über-
große Mehrheit der Volksgenossen, ja fast
die Gesamtheit, ist an der gedruckten freien
Meinungsäußerung verhindert. Zum minde-
sten aber an der Verbreitung.

Es muß daher gefordert werden, daß die
Veröffentlichung von Nachrichten und An-
zeigen nicht mit der Veröffentlichung von
Meinungen verbunden werden darf. Erst
dann wird eine Freiheit der Presse entstehen.
Man nehme den Zeitungsunternehmern zu-
nächst einmal die Anzeigen, man sozialisiere
also das Anzeigenwesen, und die öffentliche
Meinung wird erstaunt sein, wie sich die öf-
fentliche Meinung ändert. Auch die V er-
öffentlichung von Nachrichten ist keine An-
gelegenheit zur Bereicherung einzelner. Nach-
richtenblätter sind Angelegenheiten der Kom-
mune. Freiheit der Presse ist ein sinnloser
Begriff. Er bedeutet weiter nichts als das
Recht auf geistige Vergewaltigung der Ge-
samtheit durch verdeckte Geschäftsunter-
nehmungen. Auch für die Freiheit der öf-
fentlichen Meinungsäußerung muß gleiches
Recht für alle gefordert werden. Die Tages-
presse in ihrer heutigen Form verhindert
systematisch die wirtschaftliche und geistige
Entwicklung und Befreiung der einzelnen
Volksgenossen.
Herwarth Waiden


Gedichte
Kurt Schwitters
Nächte
Innige Nächte
gluten Qual
zittert Glut Wonne
schmerzhaft umeint
siedend nächtigt Brunst
peitscht Feuer Blitz
zuckend Schwüle
0, wenn ich das Fischlein baden könnte!
Zagt ein Innen
zittert enteint
giert schwül
herb
Du
Duft der Braut
Rosen gleißen im Garten
schlank stachelt Fisch in der Peitscheluit
wunden Knie
wogen Brandung Wonne
Wenn das Fischlein fliegen könnte
ich umwoge
innenjauchzt
peitscht still Inbrunst
überquillt schrill

IT t

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