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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Drittes Heft
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Schwitters, Kurt: Erweiterung
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Blümner, Rudolf: Kleine kritische Fabeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0041
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fällig das Korsett 3—4 cm im Umfange, auch
mehr, erweitern könnte.) Verzeihen Sie mir,
dass ich ein wenig einfallend geworden bin.
Ich habe nämlich die Augeneinfältigkeit,
die Splitter im Auge des anderen aus Prinzip
stets gern zu sehen, meine eigenen Balken
aber sehe ich niemals. Dadurch unterscheide
ich mir von Sie und mich von Ihnen. Ausser-
dem wünsche ich Ihnen weiter angenehme
Bettruhe. (Diesem Uebelstande ist mit
einem Schlage durch Franz Müller Korsett-
erweiterer „Einfalt" abgeholfen. D. R. G.
Müller.) Kurt Schwitters

Kleine kritische Fabeln
i
Gott zog den Vorhang hoch und zeigte
zum ersten Male das Pferd. Da rief einer
aus dem Publikum: Wo sind die Federn?
Herbert Jhering gewidmet
II
In Arkadien wurden, wie man weiss, die
Musikstücke nur auf Schalmeien geblasen.
Einer spannte Saiten über Holzkästchen
und strich mit einem Bogen über die Sai-
ten, dass sie klangen. Auf diesem Instru-
ment konnte er mehr Töne hervorbringen als
auf der Schalmei. Aus Spass nannte er
das Instrument Violine, gab ein Konzert
und lud die Kritiker ein. Zufälligerweise
schrieben alle das Gleiche: Nein — da
gehen wir nicht mit, und einige fügten hin-
zu: Violine — ein recht abgeschmacktes
Wort.
Franz Servaes gewidmet
III
Es war einmal ein Kannibale. Er hatte
schon viele Menschen gefressen. Als er
merkte, dass es nicht mehr schick sei,
Menschen zu fressen, gründete er das Men-
schenblatt, in dem er auf alle Kannibalen
schimpfte. Gleichwohl frass er weiter
Menschen, da er es doch so gewöhnt war.
Als ihn der Menschenfreund darüber zur
Rechenschaft zog, entgegnete der Kannibale:
1. lasse er sich nicht anrempeln, 2. habe
er die gefressenen Menschen für Beefsteaks
gehalten und 3. hätten schon viele
Menschen aus dem Hinterhalt auf den
Menschenfreund geschossen.
Paul Westheim gewidmet

IV
Es war einmal ein grosser Ochse. Er hatte
noch nie einen Menschen gesehen. Aber
Gott wusste das nicht und beauftragte ihn,
einen Artikel über die Eröffnung der Grossen
Affenausstellung zu schreiben. Der Ochse
ging hin und schrieb: Die Menschen hätten
ihm garnicht gefallen.
.gewidmet: — er weiss schon
V
Ein Held nahm Abschied von seinem treu-
sten Freund und zog in den Krieg. Dort
wurde er von den Feinden erschlagen.
Ein Journalist schrieb: Nun ist er dem
Geschäftsbetrieb seines treuen Freundes
entlaufen.
Paul Westheim gewidmet
VI
Ein Mann pflegte und ernährte einen Hasen.
Da kam ein andrer Mann des Wegs und
setzte dem Hasen eine jährliche Rente aus.
Dafür aber musste ihm der Hase sein Fell
hingeben. Da sagte der Esel, der zufällig
des Weges kam: Das ist nun der Fall Hase.
Paul Westheim gewidmet
VII
In einem Rosengarten wuchsen viele präch-
tige und duftende Rosen. Ein Gelehrter,
der zufällig in den Garten kam, schrieb in
sein Notizbuch: „Sie wachsen alle nach
dem gleichen Gesetz. Es ist nichts als
Doctrinarismus." Später ging der Gelehrte
absichtlich in einen Gemüsegarten. In einer
Ecke blühten drei wunderschöne Rosen.
Da schrieb der Gelehrte: „Die Farben sind
prächtig, der Duft berauschend. Aber die
Rosen blühen falsch. Es ist ein Irrweg."
Am Ende seiner Tage begab sich der Ge-
lehrte zu einem grossen Misthaufen, auf
dem die Häupter des Staates sich gern dem
Volke zeigten. Mitten auf dem Misthaufen
spielten Kinder mit einer Rose. Und der
Gelehrte schrieb: „Man sieht eine echte
Rose in prächtiger Farbenglorie."
Max Osborn gewidmet
VIII
Vor grauen Zeiten, als die Kunst der Ma-
lerei noch in Blüte stand, gab es bekannt-
lich keine Malfarben. Die hochkulzibierten
Maler mussten daher einzelne bunte Teile
Zusammentragen. So verfertigten sie Bilder
aus Hölzchen, Muscheln, Steinen, Metallen,
Knochen, Haaren und Häuten und vielem
anderen. Dieses war die berühmte von

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