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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Drittes Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe gegen Paul Westheim, [6]: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0079
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So, also, Herr Westheim, ruinieren Sie die
Existenz eines Künstlers. Fürchterliches
müssen Sie ihm geschrieben haben, dass
Sie ihn zu diesem verzweifelten Schreiben
bringen konnten. Grosser Gott, wie ist so
etwas nur möglich? Wann hat denn nun
Herr Campendonk recht gehabt? In seinem
ersten Brief oder in dem zweiten? Und
was war das für eine Art der ge-
pflogenen Korrespondenz? Das
muss doch eine Art gewesen sein, die Herrn
Westheim keinen Zweifel liess, dass er den
Brief veröffentlichen dürfe? Es muss eine
Art der Korrespondenz gewesen sein — nun,
was für eine Art war das wohl? Es muss
etwas zwischen diesen beiden Männern ge-
schrieben worden sein, das Herrn West-
heim in den Stand setzte, Campendonk zu
seinem Widerruf zu zwingen. Denn ganz
spontan hat sich Campendonk die Kehle
nicht durchgeschnitten. Ist Ähnliches je
geschehen? Er beteuert Wauer in jedem
Brief, dass er nicht nur die Erlaubnis zur
Veröffentlichung nicht gegeben hat, sondern
dass er sie auch nie gegeben haben
würde. Er hat sogar einen Grund dafür:
nicht den mildernden, dass er seine groben
Ausfälle nur privatim habe tun wollen.
Nein, er will nicht in Polemiken hinein-
gezogen werden. Und das ist nun wirklich
das Einzige, was es hier zu lachen gibt.
Ungefragt und ungebeten schreibt dieser
Campendonk einen Schmähbrief über andere
Künstler und hinterher schreit er, man
habe ihn in eine Polemik hineingezogen!
Soll das ein Witz sein? Hineingezogen?
Wer hat ihn hineingezogen? Doch höchstens
sein grosser Freund Westheim. Aber der
hat ihm den Kopf gewaschen und daran
erinnert, dass er ganz spontan geschrieben
hat, ganz spontan geschrieben haben muss.
Verstanden! Und das Wunder geschieht
auch. Es wurde denkbar, dass Herr
Westheim sich für berechtigt halten durfte.
Nur denkbar? Meinetwegen. Aber doch
denkbar. Und so etwas fällt Herrn
Campendonk erst ein, nachdem ihn West-
heim angefahren hat? I c h habe es schon
lange bewiesen, dass es auch vorher denkbar
war, sehr denkbar. Und nun gibt es der
Verstockte endlich selbst zu. Denn er wirft
Wauer vor, dieser habe eine Stelle des ent-
schuldigenden Schreibens falsch aus-
gelegt. Das wird zwar äusser den beiden

HerrenCampendonk und Westheim niemand
finden. Aber sie sollen beide Recht haben:
Wauer hat falsch ausgelegt Es war also
für Campendonk schon früher denkbar,
dass Westheim seinen Brief abdrucken werde.
Wie aber legt Herr Campendonk selbst
die falsch ausgelegte Stelle in einem früheren
Brief an Wauer aus?
„Seeshaupt, 30. 1. 21.
. . „Nach wie vor bin ich der Meinung,
dass Sie die Angelegenheit mit Herrn
P. Westheim regeln müssten, da ich das
Recht habe, in Privatbriefen mich
über Dinge auszusprechen, wie es mir
behagt, sofern ich diese nicht für eine
Veröffentlichung schreibe.
Dass dies nicht geschah, bin
ich jederzeit in der Lage zu
beweisen . .“
Der Himmel bewahre uns alle, das wir
dieses Schreiben Campendonks falsch aus-
legen. Hier steht: der Brief war nicht
für die Öffentlichkeit bestimmt. Dort steht:
Westheim hatte das Recht, ihn zu ver-
öffentlichen. Und diese beiden Erzwahrheiten
heissen zusammengekoppelt und zusammen-
geschweisst: Westheim hatte das Recht, das
zu veröffentlichen, was Campendonk nicht
geschrieben hatte, damit es veröffentlicht
werde. Versteht dies Keiner? I c h ver-
stehe es. Es heisst: Paul Westheim durfte
glauben, dass Campendonk trotzdem mit
der Veröffentlichung einverstanden sein
werde. Und sein Glaube war kein irrender,
sondern ein wahrer Glaube. Campendonk
war wirklich mit der Veröffentlichung ein-
verstanden. Und dieses endlich heisst unter
uns anderen Menschen: der Brief war
für die Veröffentlichung be-
stimmt.
Nun ist die Wahrheit ans Licht gekommen.
Und damit Herr Westheim, will ich Sie für
heute von dem Verdacht der Indiskretion for-
mell freisprechen. Nur formell. Denn es ist
eine blosse Laune, wenn ich an Campen-
donks letzten Brief glaube. Ebenso gut
könnte ich an seinen ersten Brief glauben,
ganz wie es mir gefällt. Dann aber, Herr
Westheim, hätten Sie doch die Indiskretion
begangen, die Campendorf Ihnen vorwarf.
Solange mir die Herren nicht sagen, welcher
Art die gepflogene Korrespondenz war, bin
ich nicht verpflichtet, das Eine oder das
 
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