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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 13.1922

DOI issue:
Zehntes Heft
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Krug, Walter: Hohe Politik
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https://doi.org/10.11588/diglit.47210#0196
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Hohe Politik
„Vater, ist es wahr, dass Deutschland früher
reich gewesen ist.“
So gewiss, mein Junge, als es jetzt arm ist.
„Damals hat es also gar keine armen Leute
in Deutschland gegeben, Vater?“
Doch, doch, mein Junge, beinahe soviel,
als es im heutigen armen Deutschland reiche
Leute gibt.
„Wenn wir aber heut so viel reiche Leute
haben, so sind wir doch nicht arm, Vater“
Arm ist ein Land, Junge, wenn es viele
Reiche hat und reich ist ein Land, wenn
es viele Arme hat.
„Vater, kann ich das jetzt schon ver-
stehen“
Mein Sohn, das wirst du nie verstehen!-
„Vater, warum ist denn das Brot so teuer“
Weil das Mehl so teuer ist, Junge.
„Und warum ist das Mehl so teuer“
Weil das Korn teuer ist
„Und warum ist das Korn so teuer?“
Weil der Dollar so hoch steht.
„Da kann doch aber nur das amerikanische
Brot teuer sein. Warum kostet denn das
deutsche ebensoviel, Vater“
Weil es den Weltmarktpreis erreichen muss.
„Warum muss es denn den Weltmarktpreis
erreichen.“
Damit es ebenso teuer wie das amerika-
nische wird.
„Vater, kann ich das heute schon ver-
stehen“ —
Mein Kind, das wirst du nie verstehen!“-
„Vater, ist unser Präsident ein Sozial-
demokrat.“
Gewesen, mein Kind.
„Warum ist er es nicht mehr.“
Weil sich das für einen Präsidenten des
deutschen Reiches nicht schickt. Ein Präsident
soll über den Parteien stehen. „Dann stehen
also alle Präsidenten über den Parteien.“

Nur die Sozialdemokratischen, Junge, weil
sie objektiv sind.
„Warum hat man denn nicht schon früher
Präsidenten aus Sozialdemokraten gemacht,
Vater.“
Weil man nicht gewusst hat, dass sie so
objektiv sind. Man glaubte immer, sie
würden den Reichen nehmen und den
Armen geben.
„Das wäre doch aber gut, Vater.“
Gut ja, aber nicht objektiv, Kind.
„Was ist denn objektiv, Vater.“
Wenn ein Armer einem Armen etwas
nimmt und es dem Reichen gibt.
„Das kann ich nicht verstehen, Vater!“
Das wirst du nie verstehen, Kind.
„Warum nennt man denn die Zeitungen
„Presse“, Vater.“
Weil sie dem Volke die Meinung aufpressen.
„ Die Zeitungen haben doch aber sehr viele
Meinungen.“
Die Presse hat nur eine Meinung, jede Zei-
tung jedoch eine besondere Farbe davon.
„Dann muss doch aber das Volk ganz bunt
aussehen, wenn ihm alle diese farbigen
Meinungen aufgepresst werden.“
Nein, mein Junge, die einzelnen Farben
zusammengepresst, ergeben ein wunder-
schönes Bild, einen Vielfarbendruck.
„Dann müssten doch alle Leute in Deutsch-
land dieselbe Meinung haben, warum zanken
sie sich denn, Vater.“
Weil der einzelne nicht weiss,' dass er
ebenso gepresst ist wie sein Nachbar.
Er glaubt nur einfarbig gepresst zu sein.
„Warum sagt’s ihm denn niemand, Vater.“
Weil er’s doch nicht glaubt, Kind.
„Und warum glaubt er’s nicht, Vater.“
Weil’s ihm niemand sagt.
„Muss ich erst gross werden, Vater, wenn
ich das verstehen soll.“
Mein Kind, das wirst du nie verstehen.
Walter Krug

Inhalt
Lothar Schreyer: Das Wort / Fortsetzung
Kurt Heinar: Gedichte
Tristan Tzara: Poem es
Kurt Liebmann: Gedichte
Walter Krug: Hohe Politik
Josef Peeters: Linoleumschnitt / Vom Stock gedruckt
Marc Chagall: Ich und das Dorf / Gemälde
Hans Mattis Teutsch: Linoleumschnitt / Vom Stock gedruckt
Oktober 1922

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