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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Drittes Heft
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Wauer, William: Welträtsel?
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Kassák, Lajos: das pferd stirbt und die vögel fliegen hinaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0052
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Beantwortung. Denn wenn die „wirkliche“
Frage etwa hören wollte: das Woher des
Lebens ist unklar und unbekannt, hätte sie
keinen Sinn mehr, sie wäre sinnlos. Jeder
Sinn „lebt“ allein in der Wahrnehmung.
Alles Leben ist in den Sinnen. Nichtwabr-
genommenes Leben gibt es nicht. Leben
ohne Beziehung zu den Sinnen ist Unsinn:
es ist nicht Leben.
Es gibt keine Welträtsel. „Wie entstand
die Welt?“ ist eine Sprachform, die erst
Sinn erhält durch eine entsprechende Ant-
wortform. Fragt der Sinn, antwortet der
Sinn als Sprache: die Welt entstand durch
mich. Die Weltanschauung, die Welterkennt-
nis, die Weltfrage — ich habe sie ange-
schaut, ich habe sie erkannt, ich habe sie
in Frage gestellt, über alle Fragen gestellt;
denn sie ist in mir. Ich selbst bin die
Welt, ihr Sinn, ihr Rätsel. Und ich bin
kein Rätsel: ich bin „Sprach “-formgewordene
Lautsinnlichkeit, geistig, seelisch, körperlich.
Frage und Antwort sind mir nur Ausdrucks-
gestaltung.
Wenn sich also All (Sein und Nichtsein),
Unendlichkeit (Raum) und Ewigkeit (Zeit)
den Sinnen entziehen, und abstrakt und
absolut gleich sind in ihrer Unsinnlichkeit,
in ihrer Beziehungslosigkeit zum Sinnlichen
— sind sie auch keine Begriffe der Sinne
mehr — sind unbrauchbar, unfassbar für
jeden Sinn.

Nach Übersinnlichem zu fragen, ist sinnlos,
zwecklos auch für den Sinn fordernden und
Sinn forschenden Geist-Sinn. Er fordert
und forscht, weil Jer sich ohne Sinn nicht
„ausdrücken“ kann, weil er ihn für die
Sprachgestaltung braucht. Der Geist kann
ohne sinnvolle Sprachgestaltung nicht leben
nicht einmal ein Gedanke kommt ohne
sprachlichen Ausdruck zustande, selbst
Denken bleibt ohne ihn sinnlos und sinn-
loses Denken ist ein Widerspruch in sich.
Es steht fest: Übersinnliches ist auch ge-
dacht, nicht Sinnvolles ist sprachlich nicht
zu gestalten, also nicht zu denken, es wird
Unsinn, sobald der Gestaltungsversuch unter-
nommen wird. Denn nur die Sinne ge-
stalten sinnvoll, auch das Denken. Alles
Gedachte bleibt sinnlich.
Es gibt auch für das „reine“ Denken nichts
Übersinnliches.
All, Unendlichkeit, Ewigkeit sind Summie-
rungsbegriffe von Zeit- und Raum-Wahr-
nehmungserscheinungen und darum wesent-
lich mit solchen und unter sich identisch.
Unsere Sinne fragen alle Fragen und geben
alle Antworten. Sie geben alle Rätsel auf
und sind ihre Lösungen selbst, denn alles
offenbaren uns unsere Sinne, auch den
letzten Sinn ihrer selbst in der Sprache, in
'der Denkgestaltung.
Im Anfang war das Wort. Und das Wort
war Gott.
Und „Gott“ schuf die Welt.

das pferd stirbt und die vögel fliegen hinaus
Ludwig Kassäk
die zeit wieherte damals vielmehr öffnete sie papageienhaft flügel
ich sage ein breitgeöffnetes rotes tor
mit meiner geliebten der schwarze diamanten ins gesicht gemauert waren
und in ihrer Verzweiflung drei kinder schleppte
sass ich da unter fabriksschloten
wir wussten morgen krümmt es sich
ho schupp ho schupp
sie sagte du gehst mir fort KASS ARCHEN und ich verdorre auf dem brettl
und auf herrn nadlers klecksereien
offenbar offenbar
der herrgott vergisst die schönen frauen
schon kam der holzschnitzer ein halbchristus
jung war er und roch jämmerlich nach Wahrheit
morgen sind wir über die ungarische grenze
in der tat hm jawohl

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