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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Nebel, Otto: Unfeig
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0143
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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Die absolute Dichtung UNFEIG ist eine Fuge um die neun Runen

u
G
T
E
F
N
I
R
z,
die im Raum einer ichfernen An-Dacht
zu
sinfonieren begannen, und im eigen-

sinnigen, künstlerischen Spiel über der Sphäre der Dinglichkeiten und Hemmungs-
losigkeiten als Zeugen einer lauschenden Intuition zeitlos zur Innenwelt kamen.
Und sie erlebten im Reiche aller Möglichkeiten das Wunder einer dreieinigen Ent-
sprechung, Sagen des Daseins und Sinne des Lebens und Wesen des Seins in Einem
zur Sprache zu bringen.
Jene neun abstrakten Elemente der Dichtung sind einzeln genommen ohne jede
künstlerische Bedeutung. Sie wurden Werkmittel und empfingen im Werke ihr
Leben durch die optische und akustische Erfassung zugleich, die sich ihrer in einigen
tausend unterschiedlichen Zusammensetzungen bediente, und deren Beziehungen ord-
nete, ohne auf grammatikalische und sonstige intellektuelle Einwendungen und Her-
kommen, soweit sie dem Wesen des Schöpferischen und der Logik des Kunstwerks
abhold oder zuwider waren, irgendwelche Rücksicht zu nehmen.
Demgemäß ist jedes Wort der Fuge UNFEIG eine reine KOMPOSITION, eine
absolute Spracheschöpfung, und jede Zeile der Dichtung eine unbeirrte Fugierung
jenes Neun-Runen-Themas, dessen fordernder Eigenwille sich in jedem Werkteil
zwingend organisch und selbstprüferisch wachsend äußern mußte, da er sich Buchstabe
um Buchstabe, Wort um Wort, Zeile um Zeile und Satz vor Satz ursprunghaft im
Banne der kontrapunktischen Einheit bewegte, die die Ordnerin jeder reinen Komposition
und die ortlose Vernunft jeder Schöpfung ist.
Obgleich endlich ein Kunstwerk, als ein positives und einmaliges Geschehen oberhalb
der dreidimensionalen Unterwelt, ein Nichts voraussetzt, allso garnichts Begreifliches
vorausschickt, erscheint es ihm nachträglich angebracht, gegenwärtigend voraus-
sagen zu lassen, daß sich sogar eine Dichtung nicht an den spekulierenden Verstand
wendet, und daß sie ihn noch dazu nicht anwendet, und daß der somit leerlaufende
all-gemeine Intellekt und dessen bedauernswerte Anhänger um die fürwitzige
Gelegenheit gebracht bleiben, ihre platte Wieso- Logik wider eine zeitlose Gestalt
der Sprache zu rüsten, deren Wesenheit im ALOGISCHEN frei wird und so frei
bleibt, auf diese Weise das geläuterte Medium der Empfängnis aus den Fesseln seiner
Ich- Haft zu befreien.
Das LOS der Dichtung ist ein FEST im All, und alles Reine ist Gedicht im Licht.
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