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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Gaspar, Andreas: Die Bewegung der ungarischen Aktivisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0182
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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Fürsprecherin des neuerwachten europäischen Gewissens, deren Bedeutung jedoch eine
rein politische geblieben wäre, hätte sie nicht die Kunst und zwar aus naheliegenden
Gründen deren neueste Form, zum Ausdrucksmittel gewählt. So aber mußte eine
neue, immer neu sein wollende Kunst entstehen, die sich von den ähnlichen Richtungen
aller übrigen Länder, vom deutschen Expressionismus und vom italienischen Futurismus
in etwas Wesentlichem unterschied. Die Ungarn suchten zwar auch die neue Form für den
neuen Menschen, unterstrichen aber gleichzeitig das Radikale ihrer Bestrebungen, die
Kraft des Ausdruckes, mit einem Worte ihre Aktivität. Sie waren sich als Schöpfer bewußt
und obwohl Revolutionäre, betonten sie statt der Destruktion schon damals das Element
des Aufbaus, der Konstruktion, des positiven Schaffens. Sie nannten sich Aktivisten
und gründeten die Zeitschrift „Ma“ (Heute), die gegenwärtig im zehnten Jahre steht.
Den Pazifisten der Kriegsjahre fiel bekanntlich die undankbare Aufgabe zu, sich an
die Spitze der Nachkriegsrevolutionen zu stellen, eine Aufgabe, der die ungarischen
Aktivisten auf künstlerischem Gebiet sich unterzogen. Damit aber war ihre
politische Mission so gut wie erfüllt. Der Umstand, daß die ungarischen Aktivisten
ihre Tätigkeit auch in der Epoche der in Defensive gedrängten Revolution fortgesetzt
haben und noch heute mit unverminderter Kraft fortsetzen, beweist, daß sie in erster
Linie Künstler und als solche allerdings auch Revolutionäre waren, während ihre
politische Propaganda sich lediglich als Folge ihrer allgemeinen, durchweg aktiven
Einstellung zu allen Lebenserscheinungen ergab. Es gibt zweierlei Revolutionäre:
solche, die immer Revolution machen wollen und nicht merken, daß es Epochen gibt,
in denen sie sich mit der Revolutionsmacherei außerhalb des Lebens stellen und
Andere, die es sind, weil sie das Leben, die Aktivität des Lebens und das Schöpferische
innerhalb der Grenzen dieses Lebens unbedingt bejahen. Die ungarischen Aktivisten
gehören zur zweiten Gattung. Sie fühlen sich als lebendige Kraft. Als Menschen,
die sich ausdrücken wollen und deren Ausdrucksmittel die Kunst ist. Und so gehören
sie heute zu den radikalsten Künstlern aller Länder. Nach dem Abschluß der politischen
Periode hob sich der konstruktive Charakter ihres Schaffens, das den Aufbau neuer
Kunst- und Gesellschaftsformen erstrebt, womöglich noch mehr hervor.
Was wollen die Aktivisten heute.
Vor allem und auf das Entschiedenste keine Losungsworte. Diese taugen nur, wenn
einer in aktives Stadium gelangten Revolution Ziele gesetzt werden müssen. Heute
heißt es, den revolutionären Menschen, dem keine Möglichkeit der politischen Revolution
gegeben ist, auf allen anderen möglichen Gebieten zum Ausdruck bringen. Für den
Künstler ist die Kunst ein solches Gebiet. Was hier geleistet werden kann, ist eine

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