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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Gaspar, Andreas: Die Bewegung der ungarischen Aktivisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0181

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Die Bewegung der ungarischen Aktivisten
Der Dichter wurzle tief in seinem Volke! — dieses Mahnwort der literarischen
Rassenschützler wurde wohl in keinem Lande so treu beherzigt und so restlos
befolgt, wie im Ungarn der letzten Jahrzehnte vor dem Krieg. Die ungarische Poesie
war von jeher für die Erde hermetisch verschlossen. Nur zur Zeit der Freiheitskriege
um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts, wo das Volkstümliche mehr oder
weniger in der Literatur aller Länder neu gewertet wurde, ist es der magyarischen
Dichtung vorübergehend gelungen, sich im internationalen Konzert der Künste Gehör
zu verschaffen. Nur dieser Tatsache ist es zu verdanken, daß Petöfis Name
und Leben im Ausland nicht so unbekannt geblieben sind, wie die Werke sämtlicher
ungarischen Dichter, Petöfi mitinbegriffen. Nach Petöfi aber hatte der völkische
Charakter der ungarischen Dichtung einen erweiterten Sinn erhalten. Bedeutete er
bislang das Inhaltliche einzelner Werke, so gab er von nun an die Färbung einer
unglücklichen Literaturpolitik ab, die wesentlich darin bestand, daß der ungarische
Dichter sich an die Schollen seiner Heimat gefesselt fühlte, und eine Weiterent-
wicklung der ungarischen Dichtung einzig und allein aus Elementen ihrer früheren
Etappen zu ererreichen bestrebt war. Vergessen haben unsere Dichter seit Petöfi
wenig> gelernt aber — namentlich vom Ausland — noch weniger. So war es unbe-
dingt als eine Tat zu begrüßen, und richtig ging auch ein Sturm der Entrüstung
durch die gesamte konservative Presse, als Andreas Ady, einer der größten Lyriker
unserer Generation, seine Stimme erschallen ließ; dieser Ady war nämlich so frei,
nicht im Lande zu bleiben und sich redlich zu ernähren, sondern eine zeitlang nach
Paris zu gehen, wo er Baudelaire, Verlaine und einige verwandte Geister, nicht
nur dem Namen nach, kennen lernte. Das geschah nicht etwa in den achtziger
Jahren des vorigen, sondern im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Immerhin
war es ein bedeutender Schritt nach vorwärts, dessen Bedeutung dadurch verstärkt
wurde, daß Ady nicht nur ein ungewöhnlich moderner Geist für das damalige
Ungarn, sondern auch ein echter Dichter war.
Trotz allen Bemühungen der literarischen Gruppe um Ady konnte ein selbstbewußter
und künstlerisch orientierter Anschluß des ungarischen Schrifttums an die ausländischen
Bestrebungen vor dem Kriege nicht erzielt werden. Nur der Krieg und der dadurch
ins Leben gerufene literarische Pazifismus, der ja international sein mußte, vermochte
es, Ungarn in das internationale Kunstleben einzuschalten. Es trat eine Gruppe neuer
und vorwiegend junger Literaten auf den Plan, die den Forderungen der Zeit ent-
sprechend, eine antimilitaristische Propaganda entfaltete; sie war in Ungarn die einzige

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